Fassungslose Stille folgte auf die Worte der Elfe. Sereths Gefühle schienen sich von einem Moment auf den anderen einfach wie Nebelschwaden aufzulösen. All die Freude und der Stolz, der ihn bei dem Gedanken an eigene Junge erfüllt hatte, hörten einfach auf zu existieren und an ihre Stelle trat etwas anderes. Glühender Zorn ergriff von ihm Besitz und Karis blickte erschrocken zu ihm auf, als die Wut seines Drachen sich wie eine glühende Nadel in sein Bewusstsein bohrte. Auch Murtagh und Dorn, die etwas abseits standen und die Unterhaltung nicht wirklich mitverfolgt hatten sahen ihren großen Lehrmeister überrascht an, als dieser ein lautes Knurren ausstieß.
Diese Gefühle kannte der Schattenläufer nur zu gut. Erst einmal war sein Seelengefährte dermaßen außer sich gewesen. Damals als die Elfe Nyria ihm den Dolch, den er für sie geschmiedet hatte, in den Rücken gestoßen hatte. Der Hass, der damals Besitz von dem weißen Drachen ergriffen hatte, war so gewaltig gewesen, das er sogar seinem Reiter Angst gemacht hatte und dieses Mal war es nicht anders.
Reflexartig sandte er einen Gedanken an seine beiden Schüler und wies sie an zurückzutreten, während er gleichzeitig Brionna an sich zog, bis sie zusammen mit ihm in Sereths schützendem Schatten stand. Und das keinen Augenblick zu früh. Mit einem Brüllen, in dem lodernder Hass mitschwang, riss der weiße Drache den Kopf zurück und spie einen gewaltigen blauweiß lodernden Feuerstrahl in den Himmel. Die Luft um die beiden Reiter und ihre Seelengefährten, so wie die junge Elfe, gefror fast augenblicklich, während der Zorn des Drachen den Himmel weiß färbte.
Wirbelnde Schneeflocken begleiteten die Flammen, die in der klirrenden Luft zerstoben. Doch das Feuer zerfiel nicht einfach. Stattdessen verwandelte die Wut ihres Erschaffers sie unbewusst in dolchartige Eiskristalle, die überall um Sereth herum zu Boden prasselten. Glücklicherweise standen sein Reiter und die Elfe nahe genug bei ihm um von dem Wutausbruch nicht getroffen zu werden und auch Dorn hatte es geschafft rechtzeitig aus der Gefahrenzone zu kommen. Nachdem Karis Begleiter sich ausreichend Luft gemacht hatte, wagte sich sein jüngerer Artgenosse wieder ein Stück näher und auch Murtagh trat zu seinem Lehrmeister.
„Was ist passiert?", erkundigte er sich vorsichtig, nachdem Karis und Brionna einige Schritte von Sereth zurückgetreten waren. Während die junge Elfe Murtagh dasselbe berichtete, das sie auch Karis erzählt hatte, nahm dieser in Gedanken Kontakt zu seinem Seelengefährten auf. Noch immer brodelte eine gewaltige Wolke aus Zorn und Wut in dem Geist des weißen Drachen und machte es schwer zu ihm durchzudringen. Dennoch nahm er die Gegenwart seines Reiters war und wandte ihm seinen gewaltigen Kopf zu. Ohne ein Wort legte Karis die Hand auf die weißen Schuppen und begann ihm sanft den Unterkiefer zu kraulen. „Wir werden sie finden.", schwor er schließlich laut, als auch nach einiger Zeit, immer noch kein geistiger Kontakt möglich war. „Und wer auch immer für diesen feigen Angriff verantwortlich ist, wird dafür bezahlen."
Sereth stieß ein bestätigendes Knurren aus, als er den Blick seines Seelengefährten erwiderte. Der stumme Austausch der beiden wurde jedoch unterbrochen, als der kleinere rote Drache ein zornerfülltes Brüllen ausstieß. Murtaghs Gesichtsausdruck spiegelte die Emotionen, die in diesem Moment aus dem Geist seines Drachen strömten perfekt wieder. Auch sein Gesicht war zu einer Fratze aus Zorn verzerrt. „Dieser miese Bastard will mit einem weiteren Küken das tun, was er Dorn angetan hat?" Seine Stimme peitschte wuterfüllt durch das Lager.
Karis nickte düster. „Davon müssen wir ausgehen. Offensichtlich hat er nur gewartet, bis Saphira ihr Gelege bekommen hat und dann zugeschlagen." „Das werde ich nicht zulassen.", knurrte die aufgebrachte Stimme von Murtaghs jungem Seelengefährten in den Köpfen aller Anwesenden. Der rote Drache schien beinahe ebenso erregt wie Sereth, auch wenn er glücklicherweise von einer Zurschaustellung seines Zorns absah. „Nie wieder soll ein Mitglied meines Volkes unter diesem Eischänder leiden."
„Werdet ihr uns begleiten?", fragte Karis überrascht, nachdem der junge Drache zu Ende gesprochen hatte. Der plötzliche Themenwechsel, versetzte den beiden Jüngeren einen kleinen Dämpfer und für einen kurzen Moment wurde ihr Zorn von Überraschung überschattet. „Begleiten?", hakte Dorns Reiter verwirrt nach, „Wohin denn?" Ein Lächeln, so kalt, dass der jüngere Reiter unwillkürlich einige Schritte zurücktrat, glitt über die Züge des Schattenläufers. „Wir gehen auf die Jagd."
Für einen kurzen Augenblick musterten die beiden Jüngeren Karis und Sereth erschrocken. Im Laufe der letzten Monate, in denen sie von dem älteren Reiter und seinem Seelengefährten ausgebildet worden waren, hatte sich eine echte Freundschaft zwischen ihnen gebildet und Murtagh war eigentlich davon ausgegangen, dass er die beiden ziemlich gut kannte. Aber als der Schattenläufer gerade die Drohung ausgesprochen hatte, hatte sein Anblick ihn schaudern lassen. Die Aura, die ihn meistens umgab und die Düsternis und Geheimnisse ausstrahlte, war für einen kurzen Augenblick fast vollständig verschwunden und hatte einer Ausstrahlung von purer Blutlust Platz gemacht.
Doch diese unheimliche Aura war so schnell wieder verschwunden, dass sich Murtagh beinahe fragte, ob er sie sich nur eingebildet hatte. Dennoch antwortete er, nachdem er sich kurz mit Dorn beraten hatte, entschlossen: „Ja, wir werden euch begleiten." Sereth stieß ein zufriedenes Brummen aus. Offensichtlich hatte die Entschlossenheit seines jüngeren Artgenossen ihn wieder etwas besänftigt, denn er öffnete seinen Geist und meinte: „Dann packt eure Sachen zusammen, damit wir aufbrechen können."
Während sich die beiden Schüler daran machten ihre Sachen zu packen, trat Karis, der seine Reiseutensilien ohnehin immer in den Satteltaschen seines Seelengefährten aufbewahrte, um notfalls schnell aufbrechen zu können, neben Brionna. „Wie es aussieht werden wir uns eine Zeit lang nicht sehen.", meinte er. Obwohl er sich um einen neutralen Klang bemühte, konnte er an dem Lächeln, dass die Elfe ihm zuwarf genau erkennen, dass sie seinen Unterton durchaus bemerkt hatte. Und auch er konnte in ihren schimmernden blauen Augen eine gewisse Trauer wahrnehmen, doch auch Zurückhaltung konnte er erkennen, so als ob sie nicht wusste, wie sie antworten sollte. Dennoch klang ihre Stimme ausdruckslos, als sie erwiderte. „Das kann ich verstehen. Ich hoffe ihr werdet die Eier retten." Karis nickte. „Das hoffen wir alle."
Für einen kurzen Moment blickte er der jungen Elfe vor ihm ins Gesicht.
Zwar waren sich die beiden die letzten Monate über etwas näher gekommen, aber jetzt gerade schien keiner von ihnen zu wissen, was er als nächstes sagen oder tun sollte. Schließlich unterbrach ein genervtes Räuspern das peinliche Schweigen. Bevor einer der beiden reagieren konnte, sichelte Sereths gewaltiger Schwanz ihnen die Beine unter dem Körper weg, sodass Brionna direkt in die Arme seines Reiters fiel. Reflexartig hielt dieser die junge Elfe fest und schützte sie vor dem Aufprall, als sie zu Boden gingen.
Zufrieden brummte der weiße Drache, während Karis verlegen, die hochrote Elfe in seinen Armen hielt. Einmal mehr dankte der Schattenläufer der Tatsache, dass sein Gesicht, anders als die Haut der meisten Zweibeiner nicht die Farbe änderte, wenn er verlegen war. Mit einiger Mühe gelang es ihm eine halbwegs neutrale Maske aufzusetzen, während er langsam die Arme von Brionna löste und sie aufstehen ließ. Verschämt blickte sie ihn an, während alle anderen, die um das erloschene Lagerfeuer herumstanden keinen Laut von sich gaben. Selbst Murtagh und Dorn hielten im Packen inne um zu sehen was weiter geschehen würde. Bemüht das Thema zu wechseln, meinte Karis: „Bitte übermittle Königin Islanzadi meine herzlichsten Grüße und sag ihr, dass es mir leid tut, dass wir so unverrichteter Dinge aufbrechen mussten. Aber ich hoffe sie versteht, dass es in der derzeitigen Situation nichts gibt, dass meinen Weißen zurückhalten könnte." Sereth stieß ein bekräftigendes Brummen aus. „Ich fürchte, für eine angemessene Verabschiedung lässt er mir keine Zeit." Die Elfe nickte. Und dann tat sie etwas, das Karis am allerwenigsten erwartet hatte. Bevor er reagieren konnte, trat sie einen Schritt auf ihn zu und hauchte ihm einen sachten Kuss auf die Wange. Ein undefinierbares Kribbeln jagte Schauer durch den Körper von Sereths Seelengefährten und setzte sein Blut in Brand.
Wie vom Donner gerührt blickte der Schattenläufer Brionna an, die ihn mit einer Schüchternheit ansah, die normalerweise überhaupt nicht ihrem Wesen entsprach. Die Angst zu weit gegangen zu sein, war deutlich in ihren meerblauen Augen zu lesen, ebenso wie die Scham ob ihrer überstürzten Tat. Doch noch bevor sie sich für ihre Handlung entschuldigen konnte, reagierte der Reiter instinktiv. Mit einer für ihn völlig untypischen Sanftheit, trat er auf sie zu und schloss die junge Elfe in die Arme. Er konnte förmlich spüren, wie der schlanke Köper von Brionna, sich bei seiner Berührung entspannte und ein warmes Gefühl durchströmte den Reiter. Sereth brummte sanft, als er die zarten Gefühle seines Seelengefährten wahrnahm und die für einen kurzen Moment die Wolke aus Zorn und Hass durchdrangen, die sich in seinem Verstand gebildet hatte. Zulange hatte sein kleiner Schatten Emotionen dieser Art, außer ihm gegenüber, nicht zugelassen. Aber das war etwas anderes.
So nahe sich Drache und Reiter auch standen, ein Gefährtin der eigenen Art konnten sie einander nicht ersetzen. Der weiße Riese freute sich, dass Karis zum ersten Mal diese Gefühle kennenlernte, die er bereits mit Saphira Schimmerschuppe erlebt hatte.
Während der weiße Drache diesen Gedanken nachhing, die ihn für eine kurze Zeit von seinem Verlust ablenkten, genoss Karis das sanfte Gefühl des Körpers der Elfe in seinen Armen. Überrascht stellte er fest, als ihr weiches, silberschwarzes Haar sich an seine Wange schmiegte, dass sie fast einen halben Kopf kleiner war als er. Für gewöhnlich strahlte Brionna eine Selbstsicherheit aus, dass man auf ihre Körpergröße gar nicht achtete. Als sich die beiden wieder voneinander lösten, schenkte Brionna Karis ein schüchternes Lächeln, das der Reiter verlegen erwiderte, bis er sich plötzlich abrupt von ihr abwandte ab und zu seinem Drachen trat.
In plötzlich geschäftsmäßigem Ton meinte er: „Ehe ich es vergesse", mit einer geübten Bewegung löste er einige Satteltaschen von der Rüstung seines Seelengefährten und legte sie vor der junge Elfe auf den Boden, „Würdest du die hier bitte Oromis-Elda überbringen. Ich weiß nicht ob du darüber informiert bist, worum es sich dabei handelt, daher werde ich nur so viel sagen. Dabei handelt es sich um die Ursache der unnatürlichen Stärke des Königs." Brionna sog überrascht die Luft ein. Ein Beleg dafür, dass sie aufgrund ihres für Elfen noch recht jungen Alters nicht über die genauen Umstände informiert worden war. „Könntest du Glaedr und seinem Reiter bitte ausrichten, dass er diese Macht dringender benötigt und außerdem kann er ihnen vermutlich besser helfen, als ich."Der überraschte Gesichtsausdruck der silberschwarzhaarigen Elfe wurde verwirrt, als sie zwischen den Satteltaschen und dem Schattenläufer hin und her sah. „Wem helfen?", erkundigte sie sich irritiert. Doch Karis schüttelte den Kopf. „So leid es mir tut, aber das kann ich dir nicht sagen. Dabei handelt es sich um das am besten gehütete Geheimnis des alten Ordens. Und auch wenn ich für die nicht allzu viel übrig habe, so stimme ich ihnen zumindest was dieses Geheimnis angeht zu, dass es gefährlich wäre, wenn es in die falschen Hände gerät. Darum kann ich es dir leider nicht sagen." Einen Moment lang wirkte Brionna fast enttäuscht, ehe sie sich zusammenriss. „Ich verstehe", antwortete sie in neutralem Ton, „Ich werde deine Botschaft Argetlam Oromis überbringen. Einen sicheren Flug, Karis." Karis, dem die plötzliche Kühle schmerzte, strich ihr noch einmal sanft über die Wange und flüsterte so leise, dass Murtagh und Dorn, die inzwischen fertig gesattelt auf ihn warteten, nichts davon mitbekamen: „Ich hoffe wir werden uns bald wiedersehen." Ihre Miene wieder etwas weicher und ebenso leise erwiderte sie: „Ich auch."
Dann straffte sie ihre Haltung wieder und trat einen Schritt von Karis zurück. Mit der vollendeten Höflichkeit des schönen Volkes verabschiedete sie sich von Sereth und auch von Murtagh und Dorn, während Karis sich auf den breiten Rücken seines Seelengefährten schwang. Er hob noch einmal die Hand zum Abschied. Dann spannte Sereth die Muskeln an und sprang in die Luft. Mit kräftigen Flügelschlägen, die immer noch vor Zorn, ob des Diebstahls seiner Brut bebten, stieg er empor. Sein kleiner Artgenosse folgte ihm, wobei der rote Drache sich anstrengen musste um mit den wütenden Flügelschlägen mitzuhalten.
Der weiße Drache kreiste einmal um den Ort, der ihnen in den letzten Monaten als Lagerplatz gedient hatte, bevor er pfeilschnell in Richtung Varden davonschoss. Und während sein ganzes Denken nur noch von dem Ziel erfüllt war, seine Klauen in die Entführer seiner Küken zu graben, war sein Reiter ganz in Gedanken bei einem Mädchen mit meerblauen Augen und Haaren wie ein Stück Nachthimmel.
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Der Weiße Schatten
FanfictionEin weißer Drache und sein Reiter retten Eragon am Helgrind das Leben und helfen ihm zurück zu den Varden zu gelangen. Doch über ihre Vergangenheit hüllen sich die beiden in Schweigen und auch ihre Fähigkeiten geben den Varden und ihren Verbündeten...