68. Die Kristallgeister

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Wie Karis geahnt hatte, gefiel Nasuada die Nachricht, dass sich ein so mächtiger Feind nur wenige Meilen vom Lager der Varden entfernt verborgen hatte, überhaupt nicht. Die bloße Vermutung, was diese Ungeheuer hätte anrichten können, sorgte dafür, dass die ganze Unterhaltung in einer recht angespannten Stimmung stattfand. Auch wenn die Anführerin der Varden, Murtagh zu seinem Sieg gratulierte, entging den Reitern nicht, dass sie ein wenig enttäuscht war, dass es Dorns Seelengefährten nicht gelungen war, den Schattenelfen ein für alle Mal zu erledigen. 
Worauf es König Orrin, der zu Karis Leidwesen ebenfalls anwesend war, nicht unterlassen konnte, offen die Fähigkeiten von Galbatorix ehemaligen Sklaven anzuzweifeln. Eine Zeit lang ignorierten die Reiter seine immer weniger verhohlenen Schmähungen, bis er anmerkte, dass er keinen Sinn darin sah, einen Reiter in ihrer Mitte zu dulden, der einst dem Verräterkönig gedient hatte und nur noch am Leben war, da er angeblich über Fähigkeiten verfügte, die ihrer Sache nützlich wären. „Wenn ihr nicht einmal mit einem solchen Gegner fertig werdet, frage ich mich, was es überhaupt für einen Sinn hat euch am Leben zu lassen! Ich frage mich, ob ihr überhaupt über die nötige Entschlossenheit verfügt um für unsere noble Sache zu kämpfen.“
Daraufhin platzte Karis der Kragen. Die offene Beleidigung, sowohl seines Schülers, den er inzwischen als einen seiner wenigen Freunde ansah, als auch die Kritik an seinem Unterricht ließ ihn rot sehen. Dennoch zügelte er sich mühevoll. Ein offener Angriff auf den Herrscher von Surda war in der jetzigen Situation alles andere als hilfreich. Sie hatten gerade eine wichtige Schlacht gewonnen, aber das bedeutete auch, dass die kommenden Tage anstrengend werden würden. Die Varden mussten die Hinterlassenschaften der Bewohner Belatonas untersuchen, einzelne Überlebende überprüfen, ob sie nicht vielleicht Galbatorix treu ergeben waren und falls ja eine sichere aber menschenwürdige Unterbringung für sie finden und nicht zuletzt ein kleine Kontingent auswählen, welches hier bleiben müsste um die Stadt zu halten und die Varden davor zu warnen, sollte ihnen Galbatorix mit einem Trupp Soldaten in den Rücken fallen wollen. 
Das waren nur einige der Aufgaben, die die Anführer der freien Völker noch erwarteten, bevor sie weiterziehen konnten und viele Chancen für den Herrscher des Reiches im Süden den anderen Anführern das Leben schwer zu machen, wenn er sich ungerecht behandelt, oder beleidigt fühlte. 
Daher hielt sich der Schattenläufer zurück. Umso überraschter war er, dass die dunkelhäutige Frau vor ihm das Wort ergriff und scharf antwortete: „Wenn das so einfach ist einen Schatten zu töten, König Orrin, dann bin ich sicher, dass es Karis möglich ist ein Treffen mit seinem alten Lehrmeister zu arrangieren.“ 
Leicht spöttisch blinzelten ihre Augen den König an, der sie überrascht anblickte. „Wie sieht es aus, wollt ihr die Chance nutzen, die der Drachenreiter Murtagh euren Worten zufolge, so fahrlässig hat verstreichen lassen?“ 
Während Karis und Murtagh, die im politischen Spiel etwas mehr Erfahrung hatten, als Eragon gelang die Contenance zu wahren, spielte ein leichtes Lächeln um die Mundwinkel von Selenas jüngstem Sohn in Anbetracht des zunehmend blasseren Gesichts des Herrschers von Surda. Um noch eins draufzusetzen fügte Karis mit höflicher Stimme und mühsam unterdrücktem Gelächter hinzu: „Natürlich ist es kein Problem eurer Bitte nachzukommen, Nasuada. Viel mehr wäre es mir ein Vergnügen, eurem Vorschlag nachzukommen, um den Fehler den mein Schüler begangen hat nach bestem Wissen zu korrigieren. Wenn ihr es wünscht, bin ich sicher, dass ich Kontakt mit ihm aufnehmen kann.“
Kurz hob er Orrin gegenüber bedauernd die Schultern. „Natürlich, werde ich einige Zugeständnisse machen müssen, damit er sich mit euch trifft, aber ich denke in Anbetracht eurer Worte werdet ihr nur zu gerne auf eure Leibgarde verzichten, nicht wahr?“ Das genügte um dem König die Schweißperlen ins Gesicht zu jagen. Hastig beeilte er sich zu versichern, dass er es so nicht gemeint habe und er sich sicher war, dass der Drachenreiter Murtagh sein Bestes gegeben hatte. Danach verhielt er sich erfreulich ruhig, bis er plötzlich unter einem Vorwand das Zelt verließ und die Anwesenden alleine ließ.
„Nun, das war unerfreulich.“, kommentierte Karis, kaum dass der König verschwunden war und erntete aus allen Richtungen zustimmende Blicke. „Allerdings. Es tut mir leid, dass er deinem Erfolg so wenig Bedeutung beimisst, Murtagh. Ich habe aus Karis und Eragons Berichten entnommen, was für ein schrecklicher Gegner dieser Schattenelf sein muss. Das du es geschafft hast, ihm entgegenzutreten und es unbeschadet zu überstehen grenzt an ein Wunder.“ 
Unter Nasuadas lobenden Worten, färbte das Gesicht von Morzans Sohn sich leicht rot, was Karis amüsiert eine Augenbraue hochziehen ließ. „Das war doch gar nichts.“, wehrte der schwarzhaarige Reiter ab. „Ich hatte Dorn als Hilfe und außerdem hatte ich eine Menge Glück.“ „Mag sein, Murtagh, aber ich stand Ecros schon häufig gegenüber und ich kann dir versichern, nur mit Glück allein, ist es unmöglich gegen ihn zu bestehen.“ 
„Das stimmt. Schon bei meiner kurzen Begegnung mit ihm auf dem Helgrind habe ich festgestellt, dass dieser Schatten wesentlich stärker ist, als die meisten Gegner, denen ich bis jetzt gegenübergestanden habe.“, mischte sich jetzt auch Selenas jüngerer Sohn ein. „Es würde mich nicht überraschen, wenn Ecros sogar noch gefährlicher als Durza sein sollte.“ Mit versteckter Belustigung, beobachtete der Schattenläufer, wie sein Schüler unter den Komplimenten immer roter wurde. 
Er schien es nicht gewohnt zu sein, für seine Taten Anerkennung zu erhalten. Was in Anbetracht seiner Vergangenheit kein Wunder. 
Als Sohn des ersten Abtrünnigen hatte er in seiner Kindheit sicher so gut wie keine Zuneigung erfahren und später als Schüler oder besser, Sklave des dunkeln Herrschers waren die Leute ihm zwar mit ängstlichem Respekt begegnet, aber echte Freundschaft und Anerkennung kannte der junge Reiter vermutlich nur von seiner Reise mit Eragon und seinem Unterricht durch Karis. Kein Wunder also, dass die lobenden Worte der Vardenanführerin und der anderen beiden Reiter ihm so viel bedeuteten. 
Eine Weile ließ er seinen Schüler diese Erfahrung genießen, bevor er ein leises Hüsteln hören ließ und damit die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich lenkte. „Um auf den eigentlichen Grund unserer Erkundigung Belatonas zurückzukommen, ich bin der Meinung, dass Ecros und die letzten Chimären, die noch in der Stadt waren inzwischen verjagt oder eliminiert worden sind. Von Murtaghs Aufeinandertreffen mit meinem alten Lehrmeister abgesehen habe ich nichts in der Stadt entdeckt, was auf die Anwesenheit seiner Schöpfungen hinweisen würde.“ 
Die beiden anderen Reiter stimmten ihm zu. Auch sie hatten keine Spur der Ungetüme ausmachen können und auch ihren Drachen hatten nichts bemerkt.  
„Seid ihr euch sicher? Auch wenn mein Volk sicher über feste Wohnquartiere und sichere Schlafplätze freuen würde, behagt mir der Gedanke nicht, sie in Belatona unterzubringen, solange wir nicht wissen, was der Schattenelf dort vorgehabt hat und ob in der Stadt nicht eventuell einige unliebsame Überraschungen zurückgeblieben sind.“ Ihr Blick wurde todernst bei der Vorstellung was einige magische Fallen in den Reihen der Varden anrichten könnten. 
Vor allem wenn man bedachte, dass die ersten die eigentlich befestigte Unterkünfte benötigten, die Kinder, die Kranken oder Verletzten und die Alten waren, die die Mitglieder ihrer Familien begleiteten, die in diesem Krieg kämpften. Sollte eine derartige Falle durch einen von ihnen aktiviert werden, würde das zu einer Tragödie führen.  
„Daher halte ich es nicht für sicher, meinem Volk zu erlauben, die Stadt zu betreten, solange wir uns nicht absolut sicher sein können, dass zusätzlich zu den Chimären auch keinerlei Fallen mehr an diesem Ort zu finden sind.“ Trotz ihres entschiedenen Tonfalls konnte man der Vardenanführerin ansehen, dass ihr diese Entscheidung schwer fiel. Nach Monaten in Zelten und unter freiem Himmel, sehnten sich die meisten Varden nach einer Nacht in einem richtigen Haus. 
Und auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen würden, diese Entscheidung so wohlbegründet sie auch war, könnte für eine Menge Unfrieden in ihre Reihen sorgen. Besonders unter eben jenen die sie damit zu schützen versuchte. Karis konnte sich nur zu gut die zornigen Mienen der geschundeneren Mitglieder der Varden vorstellen, bei der Nachricht, dass sie mit einer Stadt in unmittelbarer Reichweite, dennoch weiter in ihrem Feldlager zu nächtigen hatten. 
Das war genau die Sorte von schlechter Laune, die ein machtgieriger Intrigant benötigte um den Samen der Unzufriedenheit in die Herzen ihres Heeres zusähen. Zum Glück war Sereths Reiter in der Lage der dunkelhäutigen jungen Frau zumindest einen Teil ihrer Sorgen abzunehmen. „Ich kann euch beruhigen, Nasuada. Ich denke nicht, dass Ecros sich noch in Belatona aufhielt um dort eine Art von Falle für uns zu hinterlassen. Zumindest keine, die durch unsere bloße Anwesenheit dort aktiviert wird.“ 
Mit spitzen Fingern schnürte der Schattenläufer den Leinenbeutel der Waisenkinder auf, den er die ganze Zeit in Händen gehalten hatte. Nasuadas Augen weiteten sich überrascht, als sie die funkelnden Kostbarkeiten erblickte, die darin lagen. „Ihr glaubt, Ecros blieb in Belatona um sich dort mit Gold und Geschmeide einzudecken?“ 
Trotz ihrer Selbstkontrolle, konnte Karis einen leicht ungläubigen Unterton in ihrer Stimme wahrnehmen und auch die jüngeren Reiter musterten ihn zweifelnd. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Schatten waren nicht wirklich dafür bekannt, dass sie sich eine Menge aus Schmuck machten. 
Seine Aussage, dass sein ehemaliger Lehrmeister es riskiert hatte, für einen Beutel Gold und Juwelen gegen drei Reiter und ihre Drachen zu kämpfen, erschien geradezu absurd. Kurz blickte Karis sich prüfend im Zelt um, bevor er einen Zauber wirkte, der sie vor Mithörern schützte. Die Anführerin der Varden, die den Wortlaut von einigen Gelegenheiten her kannte, in denen Eragon unter vier Augen mit ihr hatte sprechen wollen, setzte sich aufrechter hin und auch ihr Gesichtsausdruck wurde aufmerksamer. 
Nicht dass sie bis jetzt desinteressiert gewirkt hatte, aber jetzt sah sie so aus, wie jemand der einem kompliziertes Rätsel zu lauschen gedachte, über das er lange würde nachdenken müssen. 
„Ich denke, Ecros beabsichtigte, aus diesen Juwelen, Gefallenensteine herzustellen.“ Allgemeine Verwirrung breitete sich auf die Worte des Schattenläufers hin in dem Zelt aus. Keiner der anderen Anwesenden schien der Begriff „Gefallenensteine“ etwas zu sagen. Diese Tatsache war nicht wirklich verwunderlich, da es sich dabei um Bereiche der Geisterbeschwörung handelte, in die die wenigsten Magier jemals vorgedrungen waren. Daher war es nicht ungewöhnlich, dass außer ihm noch niemand im Zelt von diesen Artefakten gehört hatte.  
Auf die irritierten Blicke hin, seufzte Karis innerlich, bevor er an Murtagh und Eragon gewandt fragte:  „Die Technik, Energie in Edelsteinen zu speichern, ist euch beiden bekannt, oder?“ Etwas zögerlich nickten die beiden Brüder. Zufrieden mit der Antwort erläuterte der Schattenläufer für die Anführerin der Varden, „Dabei handelt es sich um eine Technik, die der alte Orden entwickelt hat um Kraft für schlechte Zeiten anzusparen. Sie waren in der Lage, Energie in ruhigen Zeiten in verschiedenen Edelsteinen anzusparen, was ihnen in einem Kräftemessen einen beträchtlichen Vorteil verschaffte, da sie zusätzlich zu den Reserven ihres Körpers auch auf die in den Juwelen gespeicherten zurückgreifen konnten. Dadurch waren sie zu Dingen in der Lage, die sie unter normalen Umständen umgebracht hätten.“ Nachdenklich nickte Nasuada. 
Das gab ihr zu denken. Immerhin war Galbatorix früher ein Reiter des alten Ordens gewesen. Die Tatsache, dass er Jahrhunderte Zeit gehabt hatte um Energie anzusammeln, jagte ihr einen Schauer den Rücken hinunter. 
Karis dem das nicht entgangen war, meinte beruhigend: „Macht euch keine Sorgen. Galbatorix verlässt sich viel zu sehr auf seine Eldunari um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, Energiereserven anzulegen.“ Etwas peinlich berührt davon, dass er ihr ihre Gedanken angesehen hatte, wandte sie ihren Blick ab und richtete ihn stattdessen auf Murtagh, als dieser die Stimme erhob. 
„Glaubst du, Ecros hatte vor, sich aus diesen Edelsteinen so etwas wie einen Energiespeicher zu erschaffen?“ Die Stimme von Dorns Reiter, klang immer noch etwas argwöhnisch. Auch wenn dieser Grund glaubhafter war, als bloße Gier, kam ihm auch das sehr zweifelhaft vor. „Nein, ich habe das bloß erwähnt, weil die Gefallenensteine die ich erwähnt habe auf einer ähnlichen  Grundlage basieren, wie diese Technik.“ Karis zog einen kleinen Rubin aus dem Beutel bevor er ihn auf den Tisch legte, der neben Nasuadas Stuhl stand. „Geister bestehen aus reiner Energie“, begann er, während er den kleinen blutroten Stein in die Höhe hielt, „es ist möglich ihre körpereigene Essenz, ähnlich der Energie eines Magiers in einen Edelstein zu sperren.“ 
„Man kann Geister in Edelsteine einsperren?“ Fassungslos blickte Eragon Karis an. „Ich dachte, Geister sind Wesen mit eigenem Willen und einem noch größerem Drang nach Freiheit als die Drachen? Wie soll es möglich sein, ein solches Wesen in ein derart kleines Gefäß zu sperren?“ 
Ernst erwiderte der Schattenläufer den Blick des Schattentöters. „ Ganz einfach, Eragon. Genauso wie wenn man sie in einen Körper sperrt.“ Seine grimmige Miene brachte die anderen Anwesenden zum Schweigen. „Aber anders als bei einem Schatten, sind die Geister, die in diesen kleinen Objekten eingesperrt sind, noch wesentlich bemitleidenswerter. Denn auch wenn die Seelen in einem Schatten ihr Dasein verabscheuen, besitzen sie immerhin noch beinahe so etwas wie eine gewisse Freiheit, wohingegen ihre in Stein gefangenen Artgenossen noch nicht mal in der Lage sind, sich auch nur ansatzweise zu rühren. Für sie ist es so, als ob würden sie gefesselt, geknebelt, blind und taub in einem engen fensterlosen Raum sitzen ohne die geringste Möglichkeit sich zu bewegen oder zu ermitteln, was um sie herum vorgeht.“ 
Die bildliche Beschreibung, ließ die drei anderen den Blick von dem Rubin abwenden und stattdessen das Gesicht des Schattenläufers ansehen. Sein Gesicht verharrte ungerührt, aber ein Blitzen in seinen Augen verriet, dass er mit dieser Beschreibung einer Situation bereits persönliche Erfahrungen gemacht hatte. Doch seine um seinen Schwertgriff verkrampfte linke Hand, verbot es ihnen nachzufragen. 
Daher fragte die Anführerin der Varden stattdessen: „Bedeutet das, in diesen Juwelen könnten Geister gefangen sein.“ Erfolgreich abgelenkt, schüttelte Karis den Kopf. Mit einem leisen Klingen warf er den Edelstein wieder in den Beutel, bevor er antwortete: „Das war das erste, was ich überprüft habe, als ich sie den Kindern abgenommen habe. Ich glaube Ecros wollte zuerst alle Edelsteine zusammensammeln, bevor er sich ans Werk machte.“ 
„Aber wozu das Ganze?“, fragte Eragon. „Selbst wenn Ecros dazu in der Lage ist, Geister in diese Edelsteine einzusperren, was hätte er davon?“ 
„Eine schnelle Möglichkeit, uns verheerenden Schaden zuzufügen.“ „Und wie?“, fragte Nasuada ernst. „Er belegt die Juwelen mit einem Zauber, der es ihnen ermöglicht, die Energie der Lebenden zu absorbieren. Indem er die mit Geistern besessenen Juwelen in der Nähe von Schlachtfeldern versteckt, kann der Geist, wenn auf dem Schlachtfeld ein Krieger stirbt, die im Moment des Todes freigewordenen Energie nutzen um sich aus seinem Käfig zu befreien und in den toten Körper des Kriegers zu gelangen.“
„Das ist widerlich.“ Mit angeekeltem Gesichtsausdruck umfasste Eragon den Griff seines Schwertes. „Dieses Ungeheuer schreckt wirklich vor gar nichts zurück.“ Murtagh, der das Ganze mehr von der taktischen Sache sah, wirkte gefasster, als sein kleiner Bruder. Was wohl auch daran lag, dass er als Morzans Sohn und Galbatorix Schüler mehr an solche sinnlosen Grausamkeiten gewohnt war, als Eragon. 
„Wie gefährlich sind diese Kreaturen, Karis?“ „Im Vergleich zu den Chimären, denen wir bis jetzt gegenübergestanden haben, sind sie ziemlich schwach.“, antwortete der Schattenläufer. „Sie sind an die körperlichen Grenzen ihrer Wirte im Augenblick ihres Todes gebunden. Sollte diesem in diesem Moment ein Arm oder ein Bein fehlen, wird der Geist diese Beeinträchtigungen ebenfalls teilen. Außerdem ist ihr Denken noch unflexibler, als das ihrer Artgenossen. Wenn sie in den Kristall gesandt werden, gibt ihnen Ecros genau einen Befehl, den sie zu erfüllen haben, sobald sie in einem Körper stecken, werden sie ihn befolgen, sobald sich ihnen die die Gelegenheit dazu bietet. Aber zu mehr, als zur Erfüllung dieses einen Befehls ist ihr Denken nicht in der Lage. Sollte etwas Unvorhergesehenes geschehen, werden sie mit der Situation komplett überfordert sein. Zum Beispiel, wenn sie den Befehl erhalten, eine bestimmte Person zu töten, es stellt sich ihnen aber jemand anderes in den Weg, könnte dieser Jemand sie mühelos eliminieren, da sie nur daran denken können ihr eigentliches Ziel zu töten.“ 
„Ich verstehe.“ Nachdenklich hatte die Nachtjägerin ihre Fingerspitzen miteinander verschränkt. „Aber dennoch ist ein Feind, der das Gesicht eines alten Freundes trägt eine erschreckende Vorstellung.“ „Ich bin ganz eurer Meinung, Nasuada.“ Karis warf dem Beutel einen finsteren Blick zu. 
„Ich mag mir gar nicht vorstellen, was der Schattenelf mit diesen Edelsteinen angerichtet hätte, wenn Murtagh ihn nicht um seine Beute gebracht hätte.“ „Wir sollten dennoch von jetzt an die Schauplätze unserer Schlachten genauer untersuchen. Nicht dass wir dem Schattenelfen noch ungewollt neue Streitkräfte für seine Armee liefern.“, beharrte die Anführerin der Varden nachdrücklich, wofür sie breite Zustimmung erntete.  
Das würde zwar die Anstrengungen noch einmal ein wenig erhöhen, aber in Anbetracht der Umstände war es besser ein paar müde Magier und Krieger zu riskieren, als sehenden Auges in eine Falle zu laufen. 
Eine Zeit lang diskutierten die vier noch über die erforderlichen Soldaten und Magier, die ein solches Unterfangen erfordern würde, bevor Eragon überraschend fragte: „Und was sollen wir jetzt mit den Edelsteinen machen?“ 
„Unter diesen Umständen gelten sie wohl als Kriegsbeute, denke ich.“, antwortete Murtagh nachdenklich. Doch bevor er mehr sagen konnte, meinte Karis plötzlich, „Ich würde sie gerne nehmen.“ Überrascht von dieser abrupten Bitte, brauchten die andren drei einen Augenblick, bevor sie reagieren konnten. Schließlich fragte Nasuada: „Weshalb?“ Karis zuckte die Schultern. 
„Aus diversen Gründen. Zum einen, habe ich bei meiner Gefangennahme in Belatona alle meine Artefakte verloren und um neue zu machen, würden sich diese Edelsteine und Schmuckstücke hervorragend eignen. Zweitens würde es ewig dauern diese Schmuckstücke zu Geld zu machen, das dem Feldzug der Varden zu Gute kommt und drittens, hab ich den Beutel immerhin bis hier her geschleppt.“ Der letzte Punkt, den er in beinahe weinerlicher Stimme vortrug, als ob er gerade ein Wunderwerk an körperlicher Lastarbeit vollbracht hatte, traf seine Ansprechpartner unvorbereitet. Für einen Augenblick betrachtete sie ihn verdutzt, bevor die beiden jüngeren Reiter in ein leises Lachen ausbrachen und auch Nasuada sich ein leichtes Lächeln erlaubte. 
Karis Zauber verhinderte, dass irgendetwas von dem Bruch ihrer Contenance nach draußen drang, aber im Inneren des Zeltes lockerte sich die angespannte Stimmung, die das bisherige Thema in dem Zelt verbreitet hatte, etwas. 
Doch noch bevor die Anführerin der Varden seiner Bitte nachkam, kam der Schattenläufer nicht umhin festzustellen, dass auch wenn die Stimmung seiner Verbündeten sich, einen plötzlich einfallenden Sonnenstrahl gleich, aufhellte, er sich noch einer Unterhaltung stellen musste, die sowohl seiner Laune als auch der seines Gesprächspartners einen gehörigen Dämpfer versetzen würde. Kurz blitzte in ihm die Idee auf, das ganze einfach zu vergessen, aber das verdrängte er schnell wieder.
Er hatte keine Wahl. 
Am Rande seines Bewusstseins nahm er seinen Seelengefährten war, der mit seiner Tochter spielte und dessen Gedanken vor Freude glucksten. Karis hasste sich dafür, dass er der zunehmend aufgeschlosseneren Stimmung, die seinen Freund seit seiner Nistzeit mit Schimmerschuppe begleitete, einen solchen Schlag versetzen musste, aber es ging nicht anders.

Es war an der Zeit, Sereth von Nyria zu erzählen. 

Der Weiße SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt