4 || Romeo und Julia

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Wie zu erwarten, hielt sich mein allerbester Freund Kris im Musiksaal auf. Vor dem Unterricht und in den Pausen verschwand er dort, um seine Ruhe zu haben und vor allem, um seinem musikalischen Talent freien Lauf zu lassen. Aus weiter Ferne konnte ich schon an dem auf dem Klavier gespielten Liedes erkennen, dass es sich wirklich um ihn handelte.

Sobald seine Finger über die Tasten flitzten, bescherte er wirklich allen eine erschaudernde Gänsehaut. Manch eine sentimentale Musikreferendarin kam um die ein oder andere Träne nicht herum.

Möglichst lautlos versuchte ich die Tür zu dem Saal aufzuschieben und entdeckte ihn an dem schwarzen Flügel sitzen. Mit seinem weißen T-Shirt und den schwarzen, seriös nach hinten gestrichenen Haaren wirkte er beinahe majestätisch.

Klang vielleicht albern, aber die Rolle eines Prinzen würde er in einem Drama sicherlich mit Links absolvieren können. Wobei er an der christlichen Jungenschule damals bei einer Romeo und Julia Aufführung die Julia spielen musste, womit ich ihn heute noch gerne aufzog.

Er hielt seinen Kopf gesenkt, ließ die Augen geschlossen und spielte in seinem vollen Element vor sich hin.

Ich brachte vielleicht gerade noch mit einer Menge Übung Alle meine Entchen auf die Tasten, aber mehr Talent steckte leider auch nicht in meinen Fingern. Kris hat oft genug versucht, mir etwas beizubringen, doch ich war wohl oder übel ein hoffnungsloser Fall.

Leise öffnete ich den Reißverschluss meiner Tasche und wollte ihm seinen Stick, den ich vor ein paar Tagen von ihm ausgeliehen hatte, leise auf den Flügel legen. In diesem Moment bemerkte er mich wohl und beendete sein Vorspiel abrupt.

"Brenda!", stellte er überrascht fest und fuhr sich mit einem strahlenden Lächeln durch die Haare.

Ich habe vergeblich versucht, Aleyna und ihn miteinander zu verkuppeln. Nur leider interessierten sie sich angeblich nicht für einander. Dabei würden sie verdammt gut zueinander passen.

Ich würde aber sowieso nicht aufgeben und sie irgendwann noch zusammen bringen.

"Mach ruhig weiter." Ich schob ihm den Stick zu. "Ich bin überhaupt nicht da."

Sein Grinsen wurde breiter, als er den Stick in die Hand nahm. "Und? Wie findest du ihn?"

Kris hat einen Song geschrieben.

Trotz der durchgehenden Klavier- und Gitarrenbegleitung, die er selbst eingespielt hatte, wurde er keineswegs langweilig. Ganz im Gegenteil, ich konnte nicht aufhören ihn anzuhören. Das lag zum einen an der Melodie, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging und zum anderen an seiner wunderschönen Stimme.

"I love it!" Ich lächelte verlegen und schaute auf den Boden.

Der Song war so schön, dass ich ihn mir heimlich auf mein Handy gezogen hatte, um ihn mir in Dauerschleife anhören zu können.

Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.

"Danke", sagte er und lächelte glücklich. "Mrs. James hat mich gefragt, ob ich an der Sonnwendfeier auftreten möchte."

"Mach das! Alle werden es lieben." Ich wusste, dass er manchmal etwas schüchtern war was Auftritte und Aufmerksamkeit anging.

Trotzdem wurde er - neben Lauren - zum Schülersprecher gewählt, weil er einfach in jeder Situation die passenden Worte fand. Und jeder war ein riesen Fan von ihm.

"Bist du dir da sicher?" Unschlüssig zupfte er an dem Saum seines T-Shirts herum und zuckte mit den Schultern.

"Natürlich!" Ich packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn durch. "Versteh es doch endlich, jeder liebt dich."

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