45 || Sorry To Hurt You

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"Dereck?", krächzte ich leise, woraufhin ich den Kopf anhob und ihm in die Augen sah. "Darf ich dich etwas fragen?"

Nach dem Kampf auf dem Berg hatte ich mich ein wenig erkältet. Meine Stimme kratzte rau und ich musste andauernd husten, sodass mir der Bauch weh tat. Das waren jedoch mit Abstand die mildesten Schmerzen, die ich durchmachte.

Er nickte und lächelte schwach. "Natürlich."

Seine Hand stoppte mit den sanften Berührungen, als ich mich aufrichtete. Ich wollte in sein Gesicht sehen.

"Als Azael von mir Besitz ergriffen hatte, habe ich die Schmerzen gespürt. Ich dachte, das lag daran, dass Azael und ich nur indirekt miteinander verbunden sind. Doch als Lucifer es getan hat, ist es dasselbe gewesen. Das Mittel wirkt nicht, Dereck."

Ich musste an den Moment zurückdenken. Die Schmerzen hatten mich beinahe umgebracht, wenn es schon nicht Sinan und Paola getan hatten.

Dereck nickte wissend und biss sich auf die Unterlippe, als er meinem Blick auswich. Er hatte gewusst, dass es nicht funktionieren würde und dennoch hatte er es mir nicht gesagt.

"Azael hat euch falsches Blut gegeben", erklärte er leise. "Sein eigenes... und du hast es getrunken, weil ich dir das so gesagt hatte. Deswegen hattest du Schmerzen und Lucifer war... er war deshalb viel zu schwach, um gegen Paola und Sinan großartig etwas anzurichten."

Mein Sichtfeld wurde von Tränen verschleiert, als ich ihn entgeistert anstarrte. "Du hast die ganze Zeit davon gewusst? Die ganze Zeit?"

Er nickte.

"Geh..." Ich schob ihn von mir und rutschte von ihm weg. "Geh!"

Ich zeigte starr zur Tür und funkelte ihn wütend an. Ohne ein widerwilliges Wort stand er auf und ging auf die Tür zu. Dann drehte er sich nochmal zu mir um und sah mich schuldbewusst an.

"Es tut mir leid, Brenda", flüsterte er.

"Verschwinde!"

"Das richtige Mittel habe ich dir zu deinem Geburtstag geschenkt. Du musst es in deinen Blutkreislauf bekommen, damit es wirkt." Mit diesen Worten verließ er mein Zimmer und schloss die Tür.

Ehe er gegangen war, schloss ich die Tür wieder ab und ließ mich auf den Teppichboden sinken. Ich lehnte den Kopf an die Tür und starrte an die gegenüberliegende Wand.

Warum hatte er mich angelogen? Wollte er mir eins auswischen?

Ich war nicht wütend, sondern schwer enttäuscht von ihm. Wenn er es die ganze Zeit über gewusst hatte, hätte er es mir doch sagen können. Es machte keinen Sinn, dass er es mir verheimlichen wollte.

Frustriert fuhr ich mir durch die Haare und schloss die Augen. Wir hätten stärker sein können und ich hätte weniger Schmerzen erleiden müssen. So hätte Lucifer Sinan und Paola davon abhalten können, Kris noch schwerer zu verletzen.

Ich stand auf und ließ mich vor dem Haufen meiner Geburtstagsgeschenke nieder, die ich alle noch nicht aufgeräumt hatte. Während ich nach einer der Schokoladentafeln griff und ein großes Stück abbiss, musterte ich die kleine Glasflasche, die mir Dereck geschenkt hatte.

Darin sollte also das richtige Mittel sein? War das bloß wieder eine Lüge von dem Idioten?

Wütend pfefferte ich die Flasche gegen die Wand. Sie zerbrach nicht, sondern fiel mit einem dumpfen Schlag auf den Teppichboden.

Ich biss erneut von der Tafel ab, bevor ich sie zur Seite legte und auf die Geschenke starrte. Am liebsten würde ich sie allesamt verbrennen. Ab dem Tag meines Geburtstags ging mein Leben nur noch bergab.

Ich hatte mich mit Kris zerstritten, wurde von Paola und Sinan bedroht, hatte Will beim Sterben zusehen müssen und musste mein Amulett zurückerobern. Nicht zu vergessen der Kampf, der mir den letzten Nerv geraubt hatte.

Mir fiel ein Geschenk ins Auge, das noch verpackt auf dem Stapel lag. Kris' Geschenk. Ich hatte es immer noch nicht ausgepackt, weil ich nicht wusste, ob ich es verkraften würde.

Mit zittrigen Händen nahm ich es und betrachtete das Geschenkpapier. Es waren Streifen in verschiedenen Rottönen - meiner Lieblingsfarbe. Vorsichtig löste ich mit den Fingernägeln den Tesafilm und packte das Geschenk aus.

Zum Vorschein kam eine CD-Hülle. Darauf stand mit Edding geschrieben: "Alles Gute zum Geburtstag, my little lucky charm. Das wünscht dir dein allerbester Freund. Kris."

Als ich mit dem Daumen über die geschrieben Worte fuhr, liefen mir die Tränen über die Haut. Schon immer hatte er mich als seinen kleinen Glücksbringer bezeichnet. Das ist eine Angewohnheit seit unserer Kindheit.

Denn ich schien ihm immer Glück zu bringen. Er hatte immer davon erzählt, dass ich sein Leben aufhellen würde und ihn deswegen umso glücklicher machen würde.

Ich nahm die CD heraus und legte sie in meinen Laptop ein. Das Herz in meiner Brust klopfte immer schneller. Endlich würde ich wieder seine Stimme hören können, die ich in den letzten Tagen vermieden hatte.

Ich stellte fest, dass es vier Lieder waren, die er auf die CD gebrannt hatte. Ängstlich startete ich die Songs und versuchte mich zu entspannen.

Flowers In The Spring war der Song, den ich bereits kannte und liebte. Er war wunderschön. Die Melodie war beruhigend und wurde von seiner wunderschönen Stimme begleitet.

Forever war ein fröhliches Lied mit einer Gitarrenbegleitung. Kurzzeitig schlich sich sogar ein Lächeln auf meine Lippen, während ich seiner Stimme lauschte.

Until I Die war ein Song, der eine dunkle Atmosphäre mit sich brachte. Kris' Stimme hörte sich darauf ganz anders an, denn das Lied war schneller und energetischer. Doch ich verliebte mich in das Lied.

Sorry To Hurt You war der letzte Song und der Gegensatz zum vorherigen. In einer Klammer stand dahinter, dass es sich dabei um den Song handelte, den er an der Sonnwendfeier vorgespielt hatte. Mit Magenschmerzen drückte ich auf Play und schloss die Augen.

Vor meinem inneren Auge baute sich ein Bild auf, während seine Stimme durch meinen Kopf hallte. Es war ein warmer sonniger Tag. Kris saß mit seiner Gitarre im Park auf der Wiese und spielte genau diesen Song.

Er sang von Liebe und dass es ihm leid tat, dass er ein Mädchen liebte - mich. Ich starrte in sein wunderschönes makelloses Gesicht. Keine Spur von Narben oder Verletzung, die er sich wegen mir zugetragen hatte.

Er sang davon, dass es ihm weh tat mich anzusehen. Ich erwiderte diese Blicke nicht mit den selben Gefühlen. Stattdessen sah ich ihn als meinen besten Freund an, wo er mich doch schon lange verliebt ansah.

Er sang von seinen Gefühlen und wie schwierig es war, sie ignorieren zu müssen. Wenn ich lachte, mich an ihn lehnte und ihn dabei berührte, wollte er, dass die Berührungen länger anhielten. Wenn ich ihm in die Augen sah, wollte er mir stundenlang in die Augen sehen.

Er sang davon, dass er sich nicht traute, diese Worte laut auszusprechen. Die drei Worte lagen ihm auf der Zunge, aber konnte sie nicht sagen. Er wollte mich weder verletzen noch als seine beste Freundin verlieren.

Er sang über die Zeit, die er zuhause alleine verbrachte und nachdachte. Schon lange überlegte er sich, wie er seinen ersten Schritt gehen sollte, doch er wusste nicht, wie er das tun sollte. Deshalb schwieg er und versuchte es zu verdrängen.

Er sang über mich, wie ich all das nicht verstand und ihn stattdessen mit einer falschen Person zusammenbringen wollte. Ich hatte keiner seiner Andeutungen verstanden. Doch er konnte es mir nicht erklären. Er schaffte es nicht.

Und wie er da saß... auf der Wiese... im Schneidersitz... die Gitarre in der Hand...

Ich wollte zu ihm gehen, aber je näher ich ihm kam, desto weiter schien der Weg zu sein. Er schaute mit direkt in die Augen. Ich rannte los und schrie, doch das Bild löste sich auf einmal in Luft auf.

"But to you we're just... friends."

Tränen kullerten über meine erhitzten Wangen. Ich öffnete die Augen und fand mich in meinem dunklen Zimmer wieder. Es war still. Ich war allein.

Ich starrte auf die CD-Hülle in meinen Händen hinab. "Es tut mir ja so leid."

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