48 || Immer die richtigen Worte

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Warum auch immer konnte ich bei Kris wirklich gut schlafen. An seiner Brust zu liegen und von ihm gewärmt und festgehalten zu werden, war ein wunderschönes Gefühl - und ich wollte es nie wieder missen.

Deshalb musste ich wohl von früher geträumt haben, als wir unsere Eltern immer gefragt hatten, ob der andere übernachten durfte. Kris war meistens zu schüchtern, um seine Mutter zu fragen, also hatte ich das meistens auf eigene Faust regeln müssen.

Ich musste zugeben, dass mir als kleines Kind wirklich selten etwas peinlich oder unangenehm gewesen ist. Je älter ich wurde, desto größer wurde dieses Gefühl von Peinlichkeit.

Aus diesem Grund fuhren wir gemeinsam in die Schule und holten unterwegs noch meine Schultasche bei mir zuhause ab. Luis musterte uns, stellte glücklicherweise aber keine Fragen, als ich durch das Haus sprintete und Kris bei ihm auf mich wartete.

Dann parkte Kris in seiner üblichen Parklücke, die tatsächlich nur ihm gehörte. Kein anderer Schüler oder Lehrer stellte sich mit seinem Auto hierhin. Schließlich mochte und respektierte jeder ihn und die anderen Schüler haben ihrem Schülersprecher diesen Parkplatz nun mal überlassen.

Ehe er den Motor ausgeschaltet hatte, legte ich meine Hand auf seinen Arm. Er drehte den Kopf zu mir und ich schaute in seine dunkelbraunen Augen. Obwohl sie so dunkel waren, schienen sie förmlich aufzuleuchten, als er mich ansah.

"Du musst wirklich nicht zur Schule gehen, wenn du dich noch nicht erholt hast", sagte ich zu ihm und betrachtete seine Narben. Sie brachten meine Gedanken immer wieder aufs Neue an den Ort des Geschehens zurück.

Natürlich versuchte ich nie daran zu denken, aber je mehr ich es versuchte, desto unmöglicher schien es zu werden. Diese Gedanken verschlimmerten meine Schuldgefühle und in meinem Magen zog sich daraufhin alles zusammen.

Paola und Sinan hatten mir doch bereits gedroht, dass sie Kris etwas antun würden, aber ich hatte ihn nicht vor ihnen gewarnt. Ich verstand immer noch nicht, warum ich nicht einfach früher eingegriffen hatte. All das hier wäre nicht passiert.

Kris brachte ein Lächeln auf seine Lippen. "Hey, mir geht es wirklich gut. Ich kann in der Schule schließlich Zeit mit dir verbringen."

Ich musste bei seinen Worten ebenfalls lächeln und war überrascht davon, dass er sich über die Mittelkonsole beugte und mir einen sanften Kuss auf die Lippen drückte. Mein Mund erwiderte diesen sofort und ich lehnte mich ihm entgegen.

Am liebsten hätte ich gar nicht mehr aufgehört, wenn er sich nicht von mir gelöst hätte. Bei dem Anblick meines überraschten Gesichtsausdrucks musste er schmunzeln.

"Gewöhn dich daran", flüsterte er, bevor er dann ausstieg. Ich stieß ein leises Lachen aus und sprang ebenfalls aus dem Wagen. An diese Seite von ihm konnte ich mich wirklich dauerhaft gewöhnen.

Da wir früh dran waren, hielten sich noch keine Schüler auf dem Schulhof - geschweige denn in den Fluren - auf. Daher griff Kris nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger ineinander, während wir zusammen die Schule betraten.

Am liebsten würde ich ihn vor den Augen der ganzen Schule abknutschen, wobei er sicher knallrot anlaufen und vor Scham in Grund und Boden versinken wollen würde. Jeder sollte wissen, dass er sich für seine beste Freundin entschieden hat. Für mich.

Ich begleitete ihn in den Musiksaal. Dort setzte ich mich auf die Bühne und beobachtete ihn dabei, wie seine Finger über die Klaviertasten flogen. Er probierte neue Melodien aus und summte dabei leise vor sich hin.

Augenblicklich musste ich daran denken, dass er nur für mich einen Song geschrieben hatte. Dieser Gedanke zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Dieser Junge war für seine warme und fürsorgliche Art bekannt, die er am besten durch seine Songs zur Geltung bringen konnte.

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