30 || Warum hast du eigentlich keine Freundin?

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Mit glühenden Wangen konnte ich mich aus der tanzenden Menschenmasse befreien und machte mich zurück auf den Weg zu Glenn. Der Junge stand immer noch an der selben Stelle, an der ich ihn zurückgelassen hatte und schlürfte seine Cola.

Als er mich entdeckte, wurde sein Gesicht entspannter und er reichte mir meine Bierflasche, die ich vorhin abgestellt hatte. Ich leerte sie mit wenigen Schlucken und bewegte mich dann auf den Kühlschrank zu, der für den heutigen Abend aufgestellt worden ist.

Ich schnappte mir eine weitere Flasche und öffnete sie an der Tischkante, bevor ich sie zum Trinken ansetzte. Eine andere Hand nahm sie mir weg. Es war Kris, der die Flasche mit einem mahnenden Gesichtsausdruck in die Höhe hielt, sodass sie für mich unerreichbar blieb.

"Was soll das?", fragte ich ihn und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust.

"Das wollte ich dich gerade fragen", murmelte er und musterte die Flasche, bevor er sie auf dem Stehtisch abstellte. "Willst du dich ernsthaft an deinem Geburtstag komplett betrinken?"

Stöhnend verpasste ich ihm einen Stoß gegen die Brust. "Das ist gerade mal die zweite Flasche gewesen, Kris."

"Du weißt doch selbst worin das endet", erwiderte er und trat wieder näher zu mir. "Was ist heute überhaupt los mit dir?"

Das könnte ich mich selbst fragen, denn ich wusste wirklich nicht, was ich tun wollte. Sollte ich tanzen gehen, bei Glenn abhängen, meinen Bruder ärgern oder den kostenlosen Alkohol in meinen Körper schütten?

Die Möglichkeiten waren unbegrenzt.

Außerdem waren da noch Aleyna und Dereck. Das Mädchen hatte sich in ausgerechnet den Jungen verliebt, den sie ursprünglich am meisten verabscheute. Jedoch musste ich feststellen, dass er sie wohl auch mochte.

Warum hatte er mir das nie erzählt? Warum hatte ich das nie bemerkt?

"Erde an Brenda." Kris wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. Ich blinzelte mehrmals und sah den hübschen Jungen an.

"Kris, kannst du eigentlich mal ehrlich zu mir sein?" Ich stemmte die Hände in die Hüften.

Der Junge war sichtlich überrascht und verwirrt von meiner Frage. Er hob die Schultern an. Ahnungslos.

"Warum hast du eigentlich keine Freundin?", fragte ich ihn.

Trotz der bunten Lichter, die sein Gesicht in verschiedenen Farben erleuchteten, konnte ich erkennen, wie er rot wurde. Das musste auch der Grund dafür sein, dass er schnellstmöglich von hier verschwinden wollte.

Jedoch ließ ich das nicht zu und blockierte seinen Weg. Ich wollte die Wahrheit wissen. Unzählige Mädchen schmachteten ihn an - tagein, tagaus. Bemerkte er das eigentlich nicht? Wie in der Tierhandlung könnte er sich eigentlich eins aussuchen, das ihm gefiel.

Falls er das nicht schon längst hatte.

"Sag du es mir", entgegnete er mit seinem schüchternen Lächeln, bevor er meine Bierflasche nahm und daraus ein paar Schlucke nahm.

Ich legte meinen Finger an die Lippen und tat so als würde ich scharf nachdenken. Nein, es war mir ein Rätsel. Der Junge durfte nicht sein ganzes Leben lang allein verbringen.

"Komm mit. Die Auswahl ist riesengroß." Ohne Weiteres zog ich ihn hinter mir her zur Tanzfläche. Leider hatte ich ganz vergessen, dass von allen weiblichen Gästen so gut wie jede vergeben war. Schließlich sind sie in Begleitung mit den Bulldogz gekommen.

"Schade, die Auswahl hat sich wohl verkleinert", meinte Kris und legte seinen Arm um meine Hüfte. "Auf eine Person."

Mit großen Augen starrte ich ihn an. In seinem Blick lag so viel Unsicherheit und seine Augen schienen förmlich zu leuchten. Ich konnte nicht anders, als von einem Ohr zum anderen zu strahlen.

"Echt?" Sprachlos zerquetschte ich sein Gesicht zwischen meinen Händen. "Wer ist sie?"

Kris fasste sich an den Kopf und sah mich dann lächelnd an. "Lass uns einfach die Musik genießen, okay?"

Offensichtlich wollte er es mir noch nicht verraten, weshalb ich widerwillig nachgeben musste und meinen Körper von ihm führen ließ. Ich lehnte den Kopf an seine Brust und konnte hören, wie laut sein Herz gegen die Rippen schlug.

Meine Augen wanderten über die Köpfe der anderen Gäste hinweg und hefteten sich an Aleynas Hinterkopf. Dereck lächelte, während sie eng umschlungen miteinander tanzten. Einerseits freute ich mich für die beiden, da sie wohl glücklich miteinander waren, doch andererseits würde es nicht jeder ihnen gönnen.

Die meisten waren mit ihren Tanzpartnern beschäftigt und schenkten ihnen keine Aufmerksamkeit. Doch manche schauten sie verwirrt an, wollten allerdings nicht eingreifen. Sie wollten sich aus der Sache raushalten - und waren vielleicht schon zu betrunken, um das zu realisieren.

Aleyna hatte sich trotz seiner Vergangenheit in Dereck verliebt. Ich fragte mich, welche Spielchen sich noch hinter meinem Rücken abspielten. Während sich die beiden im Kreis drehten, konnte ich mit Aleyna Augenkontakt aufbauen. Sie grinste mich vielsagend an und wackelte mit den Augenbrauen.

"Verstanden?", formte sie tonlos mit ihren Lippen und nickte mit ihrem Kopf in Kris' Richtung. Verwundert hob ich den Kopf an und musterte das Gesicht meines besten Freundes.

Die breiten Kieferknochen sind schon immer sein Markenzeichen gewesen. Wenn er lächelte, bildeten sich an seinen Wangen immer niedliche Grübchen und er kniff seine Augen zusammen, sodass sich die Haut an seinem Augenwinkel in kleine Fältchen legte. Außerdem kräuselte er dabei immer seine Nase.

Er schien zu merken, wie ich ihn intensiv anstarrte. "Alles gut bei dir?"

Ich nickte rasch. "Ja... ich hätte vielleicht nicht die Flasche direkt auf einmal leer trinken sollen."

Kris lächelte. Ich musste auch automatisch lächeln, als ich die Grübchen und seine perfekten Zähne erblickte. Wie konnte mein bester Freund bloß ein so perfekter Mensch sein?

Dabei ist er früher andauernd über seine eigenen Füße gestolpert, wofür ich ihn immer ausgelacht hatte. Er ist ein tollpatschiges, aber dennoch ruhiges Kind gewesen, wohingegen ich eher laut und frech gewesen bin. Heute hatte sich das Blatt jedoch gewendet.

Ich bin tollpatschig geworden und Kris einfach nur perfekt. Seine ruhige Art hatte er beibehalten, die mich schon das ein oder andere Mal besänftigen konnte.

Auch seine Vorliebe für Musik hatte er seit dem Kindesalter nicht aufgegeben. Damals haben wir immer unsere eigenen Konzerte vor einem riesigen Publikum aus Plüschtieren gegeben. Wir haben auf Töpfen getrommelt, unzählige Gläser zersprengt und lauthals gesungen.

Am liebsten würde ich die Zeit zurückdrehen und all diese Zeiten noch ein zweites Mal durchleben wollen. Das waren Erinnerungen, die ich niemals aufgeben wollte. Ich hatte schon immer am meisten Spaß mit ihm gehabt.

"Brenda?"

Kris' Stimme riss mich aus den Gedanken. Inzwischen hielten seine warmen Hände mein Gesicht fest und seine braunen Augen musterten mich besorgt. Ich liebte es, wenn er mich so ansah. Dadurch gab er mir das Gefühl für wenigstens einen Menschen etwas Wertvolles zu sein.

"Ist wirklich alles okay?", fragte er leise. Trotz der lauten Musik konnte ich seine angenehme Stimme deutlich in meinen Ohren hören. Alles andere blendete ich aus. Gerade gab es bloß ihn und mich.

Ich nickte.

Einen Wimpernschlag später war sein Gesicht meinem plötzlich so nahe, wie es seit dem Kindergarten nicht mehr gewesen ist. Mein Kopf konnte gar nicht mehr klar denken, als sein Daumen langsam über meine Unterlippe fuhr. Ein Prickeln breitete sich an dieser Stelle aus.

Regungslos starrte ich in seine dunklen Augen, die sich auf meine Lippen gefesselt hatten. Dann schlossen sich seine Lider und er berührte meinen Mund erst nur ganz leicht mit seinen vollen Lippen. Er streifte sie erst zärtlich, bevor er sie dann ganz auf meine legte.

* * * * *

Ich lasse das mal unkommentiert, um die Stimmung nicht zu ruinieren 😉❤

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