1 || Unglück ist nur Glück, das nicht da ist

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"Gib sie mir wieder!" Ich sprang von meinem Stuhl auf, der dabei mit einem lauten Schlag umkippte, und stürmte Bobby hinterher. Laut lachend sprintete er durch den Schulflur, während ich nur Mühe hatte, mit ihm mithalten zu können. Er war im Footballteam und sportlich - ich nun mal nicht.

Ich wich rechtzeitig meiner verhassten Mathelehrerin aus, die mir irgendetwas hinterher rief, von wegen im Schulhaus wird nicht gerannt. Konnte ich gerade allerdings nicht vermeiden. Gerne hätte ich ihr an den Kopf geworfen, dass ihr Unterricht bei weitem ätzender als mein Marathonlauf war.

Die Schüler, die sich bereits im Flur aufhielten und ihre Klassenräume verließen, warfen uns verwirrte Blicke hinterher. Denn zum einen sah man mich nie rennen und zum anderen sah man mich nie hinter Bobby her rennend.

"Das ist nicht lustig!", schrie ich ihm nach und rannte die Treppe hinunter. Ich bemühte mich, keine Stufe zu vergessen und womöglich noch das Fliegen zu lernen. Trotzdem wollte ich unbedingt das wieder haben, was mir gehörte. Er hatte nicht das Recht, es mir einfach wegzunehmen und damit abzuhauen.

Seine dunklen Locken verschwanden hinter einer Traube aus Schülern. Als ich um diese Ecke stürmte, rutschte ich beinahe aus, doch ich konnte mich rechtzeitig wieder fangen. Abrupt bremste ich ab. Denn vor mir befand sich eine Barrikade aus Bobby und seinen beiden Freunden. Diese hatten die Arme vor der Brust verschränkt.

"Ihr habt da etwas -" Ich war von meinem kurzen Sprint völlig außer Atem. "- das mir gehört."

"Ein bisschen Sport würde dir gut tun", meinte Vincent, der in der Mitte stand. Ihm lag ein verlogenes Grinsen auf den Lippen. Darauf erkannte ich sofort, was in seiner Hand aufblitzte.

Mein Amulett.

"Bitte gib es mir einfach wieder", bat ich ihn und wandte meinen Blick nicht von der Halskette ab. Das Amulett war ein Geschenk meiner Mutter zu meinem 17. Geburtstag gewesen. Es sollte ein Glücksbringer sein. Deshalb hatte ich es wie immer für meine Klausur eben auf meinen Tisch gelegt. Bobby hatte sie sich daraufhin geschnappt und ist mit ihr geflüchtet.

Das Amulett bestand aus einer Glaskugel als Anhänger, die von echtem Silber umrahmt war. Das Glas war in ein dunkles Violett gefärbt, doch man konnte darin eine Flüssigkeit erkennnen. Außerdem waren auf dem Silber die Worte "Unglück ist nur Glück, das nicht da ist." eingraviert. Nicht sonderlich motivierend für eine Klausur, aber ich mochte diesen Satz. Irgendwie.

"Vincent", sagte ich eindringlich und streckte meine Hand flach aus. "Bitte."

"Seht sie euch an", lachte Vincent scheinheilig. "Wie sie uns anfleht!"

Natürlich stimmte Bobby in das Lachen mit ein und Chuck stand - wie immer - schweigend daneben. Es war bereits ein Wunder, wenn seine Mundwinkel jemals auch nur etwas zucken würden. Er war kein Freund von großen Worten und hasste alles und jeden, weshalb er allen Menschen am liebsten aus dem Weg ging. Darum wollte sich auch niemand mit ihm anlegen.

Die einzige Person, die dazu fähig war, jeglichen Zentimeter zwischen ihnen erlöschen zu können, war seine Freundin Lauren. Sie war bereits seit zwei Jahren in Folge unsere Schülersprecherin und wirklich jeder, auch ich, mochte sie. Dennoch war es fragwürdig, wie die beiden ein Paar werden konnten. Gegensätze zogen sich wohl tatsächlich an.

Vincent ließ die Kette vor meinen Augen von seinen Fingern baumeln. Ich wagte es nicht einmal nach ihr zu greifen. Er würde sie sowieso wegziehen und mich dann bloß wieder auslachen.

"Brenda, Brenda...", murmelte er und sah mich schief an. "Du schuldest mir noch etwas."

Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. "Ich habe dir doch nicht einmal etwas getan."

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