59 || Noch eine Chance

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Sobald sich Kris' Haus am Ende der Straße aufbaute, schlug mein Herz immer schneller. Inzwischen war ich mir wirklich nicht mehr so sicher, ob ich ihn wirklich sehen wollte oder ob ich es dadurch nur noch schlimmer machen würde.

Als mein Handy vibrierte, warf ich sofort einen Blick darauf. Dereck hat mir ein Bild geschickt und dazu geschrieben, dass ich das morgen vielleicht mal anschauen sollte, aber mich jetzt nicht darauf konzentrieren musste. Um seinen Rat zu befolgen, brach ich das Herunterladen des Fotos sofort ab.

Meine Beine trugen mich wie von selbst über den gepflasterten Weg. Ich legte den Kopf in den Nacken und blickte an der hohen gezierten Fassade hinauf. Jedes Mal aufs Neue bewunderte ich dieses geräumige Haus, das Kris' Familie bewohnte.

In dieser Gegend wurden nur Häuser dieser Art errichtet, was wiederum bedeutete, dass hier die Region der Bonzen waren. Das erkannte man auch an den teuren Autos, die in den gepflegten Einfahrten parkten.

Ich musste zugeben, dass ich mir dem Haus meiner Familie zufrieden war, doch wenn ich irgendwann mal genug Geld verdienen würde, wollte ich auch zu den Reichen gehören. Wer sich sein Geld hart erarbeitet, kann auch ruhig zeigen, wie viel Schweiß und Blut in all das hinein geflossen ist.

Als ich auf der mit Blumen bestückten Fußmatte stand, verließen mich all diese Gedanken, mit denen ich mich vermutlich bloß ablenken wollte. Ich musste leider feststellen, dass es kein Zurück mehr gab, da die Tür von Kris' Mutter geöffnet wurde, bevor ich überhaupt auf die Klingel drücken konnte.

Obwohl ich von ihr etwas überrascht war, brachte mich ihr erfreutes und strahlendes Lächeln dazu, es mit einem Grinsen zu erwidern. Ihr ging es zum Glück auch um einiges besser. Bei meinem letzten Besuch habe ich ihr die schlaflosen Nächte ansehen können, doch jetzt wirkte sie so frisch und glücklich - eigentlich so wie immer.

"Brenda, ich habe dich von der Küche aus bereits gesehen", erklärte sie mir und breitete die Arme aus, um mich in eine herzliche Umarmung zu ziehen. "Ich hoffe ja, dir geht es besser. Ich bin so froh, dass euch beiden nichts Schlimmeres passiert ist und ihr euch wieder erholen konntet."

Sie schob mich wieder von sich zurück und hielt mich an den Schultern noch fest. Ihre dunklen Augen betrachteten mich stolz. Für einige Sekunden lang konnte sie ihren Blick nicht von meinem Gesicht abwenden, bevor ich erneut an ihre Brust gezogen wurde.

Ich war mir ziemlich sicher, dass sie an ihr Baby denken musste, das die Geburt damals nicht überstanden hatte. Denn es wäre meines Wissens nach ein Mädchen geworden und heute etwas älter als ich.

Lucifer stand derweil ratlos neben mir und wagte vorsichtig einen Blick an uns beiden vorbei in das Haus. Die Räume waren stets geputzt, kein Staub sammelte sich an den Bilderrahmen und drinnen duftete es immer nach frischen Früchten. Von den Lufterfrischern schien Kris auch seinen Körpergeruch aufzunehmen.

"Du möchtest sicher zu Kris gehen", meinte Alice dann und lächelte immer noch, während sie mich weiterhin ansah. "Er ist den ganzen Tag schon in seinem Zimmer und kam nur zum Mittagessen herunter. Ich hoffe, er wird nicht wieder krank..."

Meiner Meinung nach hörte sich das überhaupt nicht gut an. Der Junge war sicherlich gekränkt davon, dass ich ihn so lange habe sitzen lassen. "Oh, okay. Ja, ich werde mal nachsehen."

Alice nickte anschließend und schloss hinter mir die Haustür. Lucifer huschte mir hinterher und ließ seine gelben Augen hin und her flitzen, um aus dem Haus jedes kleinste Detail mitnehmen zu können.

Meine Hand legte sich auf das Treppengeländer. Zunächst blieb ich am Fuße der Treppe stehen und schaute empor. Irgendwo da oben würde Kris sein und versuchen den Schmerzen seines von mir gebrochenen Herzens standhalten zu können.

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