70 || Auf sehr, sehr dünnem Eis

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"Hör auf sie anzufassen", sagte Kris bloß. Er wollte vermeiden, dass Vincent ihn nur wieder verprügelte. Deshalb bemühte er sich darum ruhig zu bleiben und den Ton nicht zu erheben.

Vincent biss sich grinsend auf die Unterlippe und kam mir unangenehm nahe. Kris' Hand zerquetschte meine inzwischen, da Vincents Finger nun an meinem Kinn angelangten uns es anhoben.

Perplex starrte ich Vincent an. Mein Gesicht war düster, doch ich konnte meine Nervosität nicht vermeiden. Ich war von ihm überrascht, weshalb ich immer noch keinen Ton herausbrachte. Am liebsten würde ich dieses Arschloch anschreien, dass er gefälligst die Finger von mir lassen sollte, doch ich konnte es nicht. Irgendetwas schien mir das Maul zu stopfen.

Kris drängte sich zwischen uns. "Hau einfach ab, Vin."

"Machst du dir etwa Sorgen um deine Freundin?", wollte Vincent wissen und ließ seine Hand von mir ab, bevor er sie dann auf Kris' Schulter legte. Dort trug er immer noch ein großes Pflaster dank Sinans tiefem Biss, den er ihm verpasst hat.

Das wusste Vincent nicht - oder vielleicht auch doch? - und drückte mit der Hand zu. Kris stöhnte schmerzerfüllt auf und wich von ihm zurück, worauf er mich auch zurück schob.

"Verpiss dich!", knurrte eine tiefe Stimme direkt hinter mir, die mich erschrocken zusammenzucken ließ. Ich wirbelte herum und erkannte Chuck sofort, der sich nun an meine andere Seite stellte. Da stellte ich fest, dass er nicht mich loswerden wollte, sondern Vincent.

"Oh, Chuck", bemerkte Vincent extrem abweisend und sah den um einiges größeren und viel muskulöseren Jungen an. "Wie geht es deiner süßen Schwester?"

Das hätte er nicht sagen sollen.

Ich klammerte mich panisch an Kris' Hand, der genauso schockiert Vincent anstarrte. Das würde heute definitiv nicht positiv für Vincent ausfallen, denn bei dem Thema Chucks Schwester bewegte er sich auf sehr, sehr dünnem Eis.

Chuck schubste Kris und mich mit dem Arm zur Seite, bevor er sich bedrohlich vor Vincent aufbaute. Er packte ihn an seinem T-Shirt und riss ihn näher an sich, sodass ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander trennte.

"Sag das nochmal!", brummte Chuck in sein Gesicht. Bei diesen Worten schien der Boden zu beben und die Wände bereits zu vibrieren.

"Und wie geht es dem Baby? Ach stimmt ja, Marie hat abgetrieben", provozierte Vincent ihn nur noch weiter und zog die Augenbrauen zusammen. Die beiden waren seit einiger Zeit keine Freunde mehr, doch ich habe noch keine ernsthafte Auseinandersetzung zwischen ihnen miterleben müssen.

Chucks Gesicht war vor Wut verzerrt. Er stieß Vincent mit einem lauten Krachen gegen die Schließfächer und presste ihn an den Schultern dagegen. Dann rammte er seine Faust in Vincents Magen, bevor er ihn am Kinn festhielt und ihn dazu zwang ihm in die Augen zu schauen. Er schnaubte und schlug ihm die Hand mitten ins Gesicht, um Vincent dann zu Boden zu stoßen.

Kris schob mich schützend hinter sich, bis wir uns ein Stück von ihnen entfernt hatten. Mehrere Schüler sind stehen geblieben und starrten aufgebracht zu den Jungs. Keiner traute sich auch nur die Stimme zu erheben und sie auseinander zu zerren.

Vincent erhob sich vom Boden und hatte die Muskeln angespannt, um Chuck dann ebenfalls zu schlagen. Dem größeren Jungen machten seine Schläge jedoch nichts aus, weshalb er wie eine Mauer vor ihm stand oder eher wie ein Monster, das ihm all das mindestens doppelt so stark zurückzahlte.

Ich musste an den Augenblick zurückdenken, in dem Dereck in die Schule gekommen und direkt von Chuck verprügelt worden ist. Derecks Gesicht hat geblutet, eine Rippe und der Arm waren gebrochen und ihm fehlte ein Zahn. Alle haben zugesehen, doch keiner wollte etwas sagen, weil alle Angst vor Chuck hatten.

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