Kapitel 4

2.1K 105 16
                                    

„Der Boss will mit dir reden" erklang die tiefe, unsympathische Stimme von Lex hinter mir. Nickend folgte ich ihm durch die langen Gänge im Lagerhaus. Überall waren Menschen am Arbeiten. Einige nähten Klamotten. Sie versuchten die Fetzen zu flicken oder aus mehreren Fetzen neue Klamotten zu nähen. Dieses gelang ihnen mehr schlecht als Recht. Einige Frauen kümmerten sich um die kleinsten der Kinder. Andere kümmerten sich um die älteren Kinder. Unterrichteten sie in lebenswichtigen Dingen. Kämpfen. Verarzten, Bepflanzung, Bewässerung, Stromversorgung, Abwasser, Bauen. Alles, was für das Überleben wichtig war. Manche der wissbegierigen Kinder ließen sich auch Lesen, Schreiben und Rechnen beibringen. Sie wollten es lernen. Sie hielten es nach wie vor für wichtig und saugten alles wie ein Schwamm auf. Vielleicht war es ihre Art vor der Realität zu fliehen. Viele von ihnen hatten ihre Eltern verloren. Viele mussten brutales mit ansehen. Waren traumatisiert und versuchten irgendwie damit klarzukommen.

„Tamara meine Liebe. Schön, dass du die Zeit für mich gefunden hast" begrüßte mich Boss mehr als freundlich, was sämtliche Alarmglocken in mir schrillen ließen. Ich war lange genug hier, um ihn halbwegs einschätzen zu können, und Freundlichkeit war definitiv keines seiner guten Eigenschaften.

„Was möchtest du denn mit mir bereden?" erkundete ich mich und setzte mich auf die Couch, nachdem er mich darum bat.

„Ich muss für ein paar Tage weg. Lex wird in der Zeit das Kommando haben und ich möchte, dass du ihn unterstützt. In allem, was er tut und sagt. Das du seine Anweisungen befolgst. Er darf die Krankenstation betreten, völlig egal, was du dazu sagst. Ich möchte keinen Ärger hier wegen euch haben" erklärte er mit Nachdruck.

„Mit dem Pisser soll ich zusammenarbeiten? Der ist doch völlig hohl in der Birne. Das kannste knicken. Never" erwiderte ich aufgebracht. Das wird die Höhle auf Erden, sofern sie das nicht eh schon ist.

„Das ist ein Befehl und ich dulde keine Widerrede" knurrte er mich an. Kurz überlegte ich.

„Unter einer Bedingung" und hielt seinen kalten Blick stand. Vor ihm hatte ich keine Angst. Noch nie gehabt. Vermutlich genoss ich hier daher wenige Sonderregelungen.

„Die da wäre?" fragte er genervt.

„Ich werde ihn unterstützen, aber die Krankenstation ist mein Reich. Dort wird er keinen Zugang erhalten, wenn ich es nicht ausdrücklich genehmige. Er bringt nur Unruhe rein und beschmutzt meine Instrumente mit seinen dreckigen Pfoten. Hinterlässt nur Müll und du willst doch sicher nicht, dass sich deine Männer Entzündungen holen und vielleicht sterben, weil Lex seine mistigen Pfoten nicht bei sich behalten kann? Es sind meine Patienten und so lange wir keinen Arzt haben, wird das auch so bleiben. Mein Reich. Mein letztes Wort" erwiderte ich deutlich.

„Was ist mit dem Typen aus der Wüste?" erkundigte er sich.

„Er ist weiterhin bewusstlos. Wird es vermutlich auch noch einige Tage sein. Er ist gefesselt und geschwächt. Könnte sich nicht mal alleine aufsetzen, sollte er je wieder aufwachen. Er stellt keine Bedrohung da. Für niemanden" erklärte ich gleichgültig. Einige Zeit sah er aus dem Fenster und überlegte. Dann drehte er sich wieder zu mir.

„Okay. Krankenstation dein Reich, der Rest gehört Lex. Sollte der Typ aufwachen, will ich alles wissen. Wo er herkommt. Wo er hin will. Was er alleine in der Brandwüste zu suchen hat. Und vor allem, wer er ist. Quetsch ihn aus. Folter ihn. Bringe ihn zum Reden" befahl er und diesmal ließ sein Ton kein Widerspruch zu. Doch was sollte ich da auch widersprechen? Sie würden ihn nicht in Ruhe lassen, sollte er, wieder erwarten, doch aufwachen. Er würde sich wünschen, dass er doch gestorben wäre. Aber das juckt mich nicht.

„Kapiert. Noch was oder kann ich jetzt meine Wache antreten?" fragte ich und stand schon auf.

„Das war es. Und höre auf Lex. Ich kenne dich. Vermutlich besser, als du dich selbst kennst" knurrte er leise. Aber sicher doch. Niemand kennt mich. Er am allerwenigsten. Und Lex? Der kann mich mal. Ich holte an der Waffenausgabe meine Waffe ab und kletterte über die kleine Feuerleiter auf das Dach des Lagerhauses.

Dort löste ich Ricky von seiner Wache ab. Er hatte mir vor einiger Zeit erzählt, dass er 32 Jahre alt ist, doch rein vom Aussehen her würde man ihn mindestens auf Mitte 40 schätzen. Er ist klein und etwas kräftig. Er hatte große Geheimratsecken und die paar Haare, die noch da waren, waren schon lange grau. Das hätte er wohl von seinem Vater geerbt. Im Großen und Ganzen war er ganz okay, konnte aber auch anders sein.

Ich müsste eigentlich keine Wachen schieben. Wir hatten genug Leute dafür. Doch manchmal tat die Abwechslung ganz gut. Tagsüber war es für gewöhnlich ruhig. Nur sehr selten verirrte sich jemand durch die Brandwüste zu uns. Nachts, da wurde es gefährlich. Wenn die Cranks aus ihren dunklen Löchern gekrochen kommen. Sie ihre Gier nach Hunger stillen wollen. Sich frisches Menschenfleisch erhoffen. Sie waren schnell. Verdammt schnell. Konnten so flink und geschickt klettern, wie Affen. Doch sie waren dumm. Strohdoof. Konnten nicht mehr denken. Spürten nur Hunger. Hunger. Hunger. Hunger nach mehr. Hunger nach uns. Ein schier unersättliches Verlangen trieb sie an.

Ich setzte mich an die Kante vom Dach und ließ meine Beine herunterbaumeln. Genoss die leichte, kühle Prise, die meine Haare fliegen ließen, während die Sonne heiß auf uns herunterbrannte.

„Man munkelt, du hast dem Boss widersprochen. Wieder einmal" hörte ich da Paul plötzlich neben mir flüstern, der sich grinsend neben mich setzte. „Mutig oder wahnsinnig?".

„Eine gesunde Mischung aus beidem?" erwiderte ich und trank was aus meiner Wasserflasche, die ich immer bei mir hatte. Leise lachte er auf.

„Du bist definitiv mutig. Taff und unglaublich stark. Du lässt dich nicht unterkriegen. Das bewundere ich an dir. Und Lucy vermutlich auch. Sie schaut zu dir auf. Möchte dir in so vielen Dingen nacheifern" redete er leise weiter.

„Dafür sollte sie sich lieber jemand anderes suchen. Ich bin da ganz gewiss kein Vorbild für sie" erklärte ich ihm nachdrücklich.

„Das sieht sie anders. Und ich auch. Mach dich nicht so schlecht Tamara. So schlecht, wie du immer behauptest, bist du nämlich gar nicht. Ganz im Gegenteil" flüsterte er mir zu und schaute mich mit seinen schwarzen Augen an. Gleichgültig zuckte ich mit den Achseln. Hatte keine Lust auf Geschwätz. Erst recht nicht, wenn es in diese Richtung geht. Er verstand den Wink und hielt seine Klappe. Jedoch betrachtete er mich noch eine Weile, konnte es aus den Augenwinkeln erkennen, doch ich verkniff mir einen Kommentar. 

Die Lichter in der Dunkelheit (Maze Runner, Newt FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt