Kapitel 34

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„Paul... Wach auf..." bat Lucy ihren großen Bruder und rüttelte ihn, doch er regte sich nicht. Würde seine Augen vermutlich nie wieder öffnen. Doch wie sollte ich ihr das erklären? Wie erklärt man so etwas einem Kind? Warum musste man einem kleinen Mädchen so etwas erklären?

Strubbelkopf nahm es mir ab, indem er ihr erklärte, dass Paul schlafen muss, so wie er es auf der Krankenstation musste. Weinend legte sie sich halb auf Paul drauf. Strubbelkopf sprach beruhigend auf sie ein und tröstete sie. Ich konnte mir das nicht mit ansehen. Musste etwas tun. Ich rappelte mich auf und richtete unser Nachtlager her. Wohlwissend, dass wir dieses nicht mehr verlassen würden. Nicht lebend. Gott, wie ich diese Wüste hasste. Aus tiefstem Herzen hasste ich sie.

„Sie ist eingeschlafen...glaube ich..." vernahm ich nach einer Weile die erschöpfte Stimme vom Strubbelkopf. Ich hockte mich zu ihm und sah nach Lucy. Sie schien, Gott sei Dank, wirklich nur zu schlafen. Ich deckte Paul und Lucy zu und zündete mir eine Kippe an. Sie schmeckte nicht. Machte meinen Mund nur noch trockener. Doch irgendwas musste ich tun. Allerdings verschlimmerte dies nur meine Kopfschmerzen, so machte ich sie nach wenigen Zügen wieder aus und schnippte sie weg.

„Du solltest auch etwas schlafen und dich ausruhen" wandte ich mich an den Strubbelkopf.

„Was ist mit dir?"

„Ich lege mich auch gleich hin..." flunkerte ich leise und sah seinen zweifelnden Blick, doch ignorierte ich diesen gekonnt. Stattdessen zog ich den Schlafsack direkt neben mir, damit ich alle drei um mich hatte. Sie direkt in Reichweite hatte, sollte etwas sein. Eingreifen konnte, wenn es sein musste.

„Okay..." murmelte er leise und kroch in den Schlafsack. Gewissenhaft deckte ich ihn zu und es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er eingeschlafen war. Ich zog meine Beine an und schlang meine Arme um diese. Beobachtete die drei abwechselnd und mein Herz wurde von Minute zu Minute schwerer. Zog sich schmerzlich zusammen. Schwer wie Blei drückte es auf meine Brust und schnürte mir die Luft zum Atmen ab. Was hatte ich nur getan?

Immer wieder kontrollierte ich den Puls der drei. Paul seiner war schwach, aber noch vorhanden. Lucy ihrer wurde ebenfalls langsam schwächer. Newt seiner war noch halbwegs normal. Fragte sich nur, wie lange noch.

Meine Augen wurden schwerer und schwerer. Doch ich zwang mich regelrecht dazu, wachzubleiben. Ich hatte uns in diese beschissene Lage gebracht. Ich musste das jetzt aushalten. Musste mir selber anschauen, was ich angerichtet habe. Als ob es ihnen irgendwas nützen würde, wenn ich wach war. Als ob ich ihnen irgendwie helfen könnte. Doch das kann ich nicht. Ich kann nichts tun. Für niemanden. Konnte nur dabei zusehen, wie sie sprichwörtlich austrockneten. Konnte es bei mir selber fühlen und spüren. Bis wir vier unsere letzten Atemzüge tun würden. Bis wir der beschissenen Welt entfliehen würden. Vielleicht war es ja sogar gut so. Doch ich konnte keines meiner Versprechen einhalten. Ich hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Ich hatte versagt.

Sekunde für Sekunde zog an mir vorbei. Minute für Minute zog ins Land. Stunde um Stunde verging. Es war Nacht. Es war kalt. Doch nichts kam an die Kälte heran, die ich in mir fühlte. Kälte und Leere. Machtlosigkeit und Hilflosigkeit.

„Du bist wach..." hauchte es da verschlafen neben mir und erschrocken zuckte ich zusammen und ließ meinen Blick zum Strubbelkopf wandern. Fühlte mich ertappt, weil ich ihn angelogen hatte. So nickte ich lediglich. Wusste nicht, was ich sagen sollte. Fühlte sich doch alles einfach nur noch falsch an. „Wie geht es den beiden?"

„Sein Puls wird immer schwächer und Lucy ist ebenfalls bewusstlos..." erklärte ich leise und meine Stimme klang eher wie ein krächzen. Plötzlich drehte er sich etwas und legte seinen Kopf auf meine Beine.

„Wird es uns auch so ergehen...?" fragte er leise, während seine großen Augen meinen Blick suchten, bis sie ihn fanden und wieder konnte ich nur nicken. Fühlte mich so unglaublich schuldig. Als hätte ich sie verraten. „Wir haben es versucht. Das war richtig" hauchte er. Wieder konnte ich nur nicken. In meinem Hals hat sich ein unendlich dicker Knoten gebildet. Hinderte mich am Sprechen. Mein Blick wanderte nach oben. Sah am Himmel hunderte Sterne funkeln. Milliarden Kilometer entfernt von uns.

'Gott. Ich weiß nicht, ob es dich gibt. Ob du dich da oben versteckst und dir das Elend auf dieser Welt anschaust. Ob du vielleicht sogar versuchst, etwas dagegen zu unternehmen oder ob du alle Lebewesen längst abgeschrieben hast. Verdenken könnte ich es dir nicht. Die Welt ist grausam. Kein Ort für Kinder. Kein Ort zum Frieden finden. Kein Ort, an dem man so Leben möchte. Kein Ort, an dem man sich etwas aufbauen möchte. Ich habe nie an dich geglaubt. Man kann dich nicht sehen, da fällt es einem schwer, an dich zu glauben. Du zeigst dich nie. Du lässt so viel Leid, Elend, Qualen, Trauer und Wut zu. Wie kannst du das tun? Wie kann das richtig sein? Wie kann das dein Wunsch sein? Sag mir, wie? Ich glaube mich dran zu erinnern, dass einmal von Nächstenliebe die Rede war, wenn es um dich ging. Schau dir diese drei Menschen hier an. Ist das deine Vorstellung von Nächstenliebe? Sie sterben und du schaust seelenruhig zu. Wie kannst du das zulassen? Kinder und Jugendliche so leiden zu lassen? Sie zu quälen. Ihnen jede Chance auf ein Leben nehmen? Ist es das, was du willst? Kannst du dabei ruhig zu sehen? Mir bricht es das Herz... Das haben sie nicht verdient. Das haben sie nicht. Tu doch was! Hilf ihnen verdammt noch mal! Das ist deine verdammte Pflicht! Mir ist egal, was mit mir passiert, aber sie darfst du nicht sterben lassen. Das darfst du nicht! Hörst du? Hole mich zu dir. Schicke mich in die Höhle, vermutlich gehöre ich dahin. Aber diese unschuldigen Menschen, ihre Zeit ist noch nicht gekommen. Ich bitte dich, tue etwas! Hilf ihnen! Rette sie!' bettelte ich ihn gedanklich an. War noch nicht bereit, sie aufzugeben. Das kann es doch noch nicht gewesen sein...

Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich kalte Finger auf meiner Wange spürte. Starrte die langen, schmalen Finger an, dessen Hand nun auf meiner Wange lag. Sachte drehte er meinen Kopf zu sich herunter, dass ich ihn anschauen musste und da war er wieder. Der schwere, dicke Kloß.

„Es tut mir so leid... Ich konnte meine Versprechen nicht halten... Ich habe versagt... Bitte verzeihe mir Newt..." hauchte ich tonlos. Seine Hand löste sich von meiner Wange, doch nur wenige Augenblicke später nahm er meine Hand in seine.

„Nicht...Tammy..." sachte schüttelte er seinen Kopf, jedoch wandte er den Blick keine Sekunde von mir ab. Tammy... So hat mich noch nie jemand genannt. Plötzlich verschwamm die Sicht um mich herum. Dunkler Nebel tauchte auf. Hüllte alles in ein grausames Schwarz ein. Ich merkte nicht mehr, wie ich mit meinem Oberkörper neben ihm fiel.

Die Lichter in der Dunkelheit (Maze Runner, Newt FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt