Kapitel 72

899 46 77
                                    

Er musste schon so unendlich viel verkraften in seinem jungen Leben. Kein Mensch sollte so leiden müssen. Niemand.

„Gally. Das mit Chuck war ein Unfall. Ein blöder Unfall, für den du nichts kannst. Hörst du? Du kannst nichts dafür. Du bist nicht schuld daran. Du wusstest nicht, was du da tust. Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für euch beide, für dich und für Thomas, sein musste. Wie schwer es immer noch ist. Aber niemand kann es ungeschehen machen. Niemand kann die Zeit zurückdrehen. Aber ihr könnt dafür sorgen, dass er nicht umsonst gestorben ist. ANGST wurde besiegt und ihr beide habt einen großen Anteil daran. Sie können niemanden mehr Schaden. Versucht beide in Ruhe miteinander zu sprechen. Erzähle ihm, wie es dir ergangen ist. Was du fühlst. Vielleicht könnt ihr euch dann etwas annähern. Ihr habt nun die einmalige Chance, in Frieden miteinander zu leben. Das hätte Chuck sicherlich gefallen und in euren Herzen wird er immer bei euch sein" erwiderte ich leise. Hemmungslos fing er zu weinen an. Ich drückte ihn fest an mich und hielt ihn fest. Streichelte ihm unermüdlich beruhigend über den Rücken und ließ ihm die Zeit, die er brauchte.

Er brauchte lange, bis er sich beruhigt hatte. Immer wieder wurde er von Weinkrämpfe überrumpelt. Alles, was sich über die vielen Monate und Jahre aufgestaut hatte, wollte nun heraus und es war okay. Das war gut. Es würde ihm auf Dauer helfen, dass zu verarbeiten.

„Danke" hauchte er leise, Stunden später, doch lösen wollte er sich noch nicht von mir.

„Nicht dafür. Was raus muss, muss raus. Ist es dir nun was leichter ums Herz?" erwiderte ich und strich ihm noch immer über den Rücken. Nickend legte er erschöpft seinen Kopf auf meine Schulter, als ich Thomas und Newt auf uns zukommen sah. Während Thomas nach unten schaute, starrte Newt abwechselnd zwischen Gally und mir hin und her. Hoffentlich deutete er die Situation nicht falsch. Immerhin saß ich breitbeinig auf Gally seinen Schoß und hielt ihn seit Stunden im Arm. Vielleicht sollte ich dringend mit ihm reden.

„Kann ich mit Gally reden...?" nuschelte Thomas leise, als sie bei uns angekommen sind. Fragend sah ich Gally an und als dieser nickte, lächelte ich ihn aufmunternd an. Plötzlich sah ich eine Hand neben mir, sie gehörte zu Newt. Lächelnd ergriff ich diese und ließ mir von ihm hochhelfen. Meine Knie waren etwas steif vom langen sitzen.

„Wollen wir ein Stück gehen?" fragte ich den blonden und er nickte mir zu. Hand in Hand liefen wir ein gutes Stück am Strand entlang, dann setzten wir uns in den weichen Sand. Weit genug weg, damit die anderen beiden ungestört reden konnten und doch nah genug, damit wir eingreifen konnten, sollte dies erforderlich sein. „Es war kein Zufall, dass ihr gerade jetzt gekommen seid, oder?" erkundige ich mich bei ihm. Immer wieder schielte ich zu den beiden herüber.

„Nein... Wir waren vorhin auf dem Weg zur Baracke, als wir euch gehört haben... Sorry" entschuldigte er sich leise und sah aufs Meer hinaus. Ich folgte seinem Blick, während ich mit seinen Fingern in meiner Hand spielte. Die Sonne würde bald untergehen.

„Ob es die beiden hinbekommen?" fragte ich leise nach. Ich wünschte es mir so. Gally war kein schlechter Mensch. Er wollte, genau wie alle anderen, nur das beschützen, was er liebte. Was ihm etwas bedeutete.

„Ich hoffe es. Aber Tommy kann ein verdammt sturer Hund sein" erwiderte er und grinste kurz.

„Genau wie Gally" erwiderte ich schmunzelnd. Eine paar Minuten sahen wir schweigend der Sonne zu, wie sie ganz langsam hinterm Horizont verschwand und den Himmel in ein buntes Farbenmeer verwandelte.

„Ihr seid euch sehr nah...?"

„Ja..."

„Wie nah...?" hauchte er immer leiser werdend und löste seine Hand aus meiner. Sah mich dabei nicht an. Nun war der Augenblick gekommen. Der Moment der großen Wahrheit. Der Augenblick, der alles zerstören könnte. Und ich hatte Angst. Unglaubliche Angst, ihn zu verlieren.

„Sehr nah... Er bedeutet mir sehr viel. Wir haben in den letzten Monaten sehr viel zusammen erlebt, durchgemacht und überstanden. Wir sind beste Freunde. Wir sind Familie. Und sowas aus meinem Mund. Ich kann es immer noch nicht fassen. Aber ich habe mich die letzten Monate verändert. Auch durch ihn habe ich mich verändert. Ich kann mich immer 100% auf ihn verlassen. Er war immer da. Hat mich beschützt und mich gestärkt. Mir Hoffnung gegeben. Nach einem Vorfall in der letzten Stadt, haben wir uns ein Zimmer geteilt. Ein Bett geteilt. Und..." tief inhalierte ich die Luft in meine Lunge, bevor ich weitersprach. „Und wir hatten Sex. Nicht nur einmal. Immer wieder mal. Aber es hatte nichts zu bedeuten Newt. Es waren keine Gefühle im Spiel. Keine Liebe. Nichts. Von uns beiden nicht. Das musst du mir glauben. Auch wenn ich da sicher viel von dir verlange..." erwiderte ich leise und sah zu ihm herüber. Sein Schlucken blieb mir nicht verborgen, auch nicht, wie er mit sich kämpfte.

„Gab es noch andere Männer...?" hauchte er leise.

„Nein, gab es nicht. Niemand hatte eine Chance bei mir. Mein Herz ist doch schon längst vergeben..." erwiderte ich leise, doch noch immer sah er mich nicht an. Sah einfach nur aufs Meer hinaus und es sah nicht so aus, als ob er darauf noch etwas erwidern würde. „Willst du gar nicht wissen, wem mein Herz gehört?".

„Nein... Ich glaube nicht..."

„Und wenn es dir gehört...?" hauchte nun ich fast tonlos und nahm vorsichtig seine Hand in meine. Verschränkte unsere Finger ineinander und sah nun in seine großen Augen, die mich erstaunt und ungläubig ansahen. Leicht, ja fast vorsichtig, lächelte ich ihn an. „Du hattest damals Recht. Ich habe ein Herz und es hat immerzu nach dir gerufen... Es gab keinen Tag, an dem ich nicht an dich gedacht habe. Keinen Tag, an dem ich dich nicht vermisst habe. Keinen Tag, an dem ich mich nicht gefragte habe, was du gerade tust. Es gab keine Nacht, in der ich nicht von dir geträumt habe. Keinen Tag, an dem ich nicht gehofft hatte, dass es dir gut geht und ich gebetet habe, dass du in Sicherheit bist. Der Kuss damals. Du hast mich ziemlich überrumpelt damit" grinste ich verlegen. „Aber vermutlich habe ich genau das gebraucht, um zu merken, was ich für dich empfinde. Die Monate vergingen und ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich dich je wiedersehe. Ich hatte versucht, dich zu vergessen. Dich aus meinem Kopf zu verbannen. Dich aus meinem Herzen zu verbannen. Doch die Wahrheit ist, ich habe es nie geschafft. Ich habe dich nie vergessen. Ich habe dich nie aus meinem Kopf herausbekommen. Mein Herz hat dich nicht freigegeben. Ich habe ständig an dich denken müssen und ich habe dich schrecklich vermisst. Und dann hast du plötzlich vor mir gestanden. An der Hauptzentrale und ich war regelrecht geschockt. Dachte ich doch, du wärst in Sicherheit. Als ich dann mit Locke, Sondre und Derek wieder zu euch zurückkehrte, warst du... Also... Ich dachte, ich hätte dich nun endgültig verloren... Ich habe keine Ahnung, was du mit mir gemacht hast. Was du immer noch mit mir machst. Ich weiß nur, dass ich dich brauche. Das ich bei dir sein möchte" erklärte ich ihm leise, während wir uns in die Augen schauten. Verdächtig sah ich es in seinen schimmern.

„Mir erging es nicht anders. Ich habe dich so sehr vermisst. Wollte einfach nur bei dir sein. Völlig egal, wo. Hauptsache bei dir. Irgendwann haben wir uns auf die Suche nach dir gemacht. Ich habe es im sicheren Hafen nicht mehr ausgehalten, ohne dich. Tommy, Bratpfanne und Minho haben mich begleitet. Doch irgendwann hat ANGST und aufgespürt und Minho mitgenommen. Dann haben wir mit Jorge, Brenda und Vince einen Plan entwickelt, um Minho dort rauszuholen. Bis ihr uns aufgelesen und gerettet habt. Von da an ist alles nur noch sehr verschwommen, bis komplett weg..." erklärte er leise.

„Nun haben wir uns wieder" lächelte ich ihn vorsichtig an. War mir nicht sicher, ob wir uns wirklich wieder hatten. Oder ob das immer zwischen uns stehen würde.

„Und du und Gally...?"

„Es war wirklich nur Sex Strubbelkopf. Nichts weiter. Wirklich nicht. Er ist mein bester Freund und ich bin sehr froh, ihn bei mir zu haben. Ich möchte ihn nicht verlieren. Genauso wenig, wie ich dich verlieren möchte. Mit dem Unterschied, dass ich dich liebe" gab ich meine kompletten Gefühle für ihn preis. Nachdenklich sah er mich eine Weile einfach nur an. „Glaubst du, du kommst damit klar...?" hauchte ich fast tonlos. Hatte Angst vor seiner Antwort und doch musste ich sie wissen.

„Ich weiß es nicht... Das muss ich erstmal sacken lassen..." erwiderte er leise und nickend wandte ich den Blick ab. Sah hinaus aufs Meer und kämpfte gegen meine aufkommenden Tränen an. Ich hatte gewusst, dass es nicht einfach werden würde. Das es ihn wehtun würde. Doch ich musste ehrlich zu ihm sein. Er hatte nicht verdient, dass ich ihn anlog. Er hatte die Wahrheit verdient, auch wenn sie wehtat. 

Die Lichter in der Dunkelheit (Maze Runner, Newt FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt