Kapitel 26

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Wenige Stunden später regte sich der Strubbelkopf langsam in meinen Armen. Wieder spähte ich unter den Schlafsack, lag dieser doch immer noch schützend über sein Gesicht. Als er dies bemerkte, griff er nach dem Schlafsack und zog ihn komplett über seinen Kopf. Was denn nun? Wollte er sich verstecken? Ich rutschte ein Stück runter und steckte mein Kopf ebenfalls unter den Schlafsack. Schnell machte er seine Augen zu.

„Ich weiß, dass du wach bist. Was ist denn los?" flüsterte ich ihm fragend zu, doch er schüttelte nur leicht den Kopf.

„Was nein? Du bist nicht wach?" wieder schüttelte er den Kopf, seine Augen blieben weiterhin geschlossen. Grübelnd legte ich den Kopf leicht schief. Hatte er Paul und mich vorhin doch gehört? War ihm deswegen unbehaglich zumute? Hatte er Angst? War ihm nicht gut? Hatte er sich durch die Kälte was eingefangen? Meine Hand auf seine Stirn legend, zuckte er kurz, vermutlich erschrocken, zusammen. Fieber hatte er jedenfalls keines.

„Irgendwas ist doch mit dir Strubbelkopf. Rede mit mir" versuchte ich mein Glück weiter, doch es kam keine Reaktion von ihm. „Du kannst dich nicht ewig im Schlafsack verstecken. Soweit ich das beurteilen kann, gibt es auch keinen Grund dafür" fuhr ich leise fort. Langsam öffnete er seine Lider. Gab den Blick auf seine tiefbraunen Augen frei. Traurigkeit und Kummer lag in ihnen. Leid. Soviel Leid war in ihnen zu erkennen und mein Herz zog sich bei seinem Blick zusammen. „Kann ich was für dich tun?" hauchte ich kaum hörbar. Klang mehr nach einem Krächzen. Irgendwie schien meine Stimme gerade zu versagen. Doch ich wollte diesen Blick nicht sehen bei ihm. Ich konnte diesen Blick bei ihm nicht ertragen. Konnte es einfach nicht. Er antwortete mir immer noch nicht. Senkte nur seinen Blick. Instinktiv zog ich ihn fester in meine Arme. Hielt ihn einfach fest und sachte ließ ich meine Hand über seinen Rücken wandern. Wohlbedacht, ihm keine Schmerzen zuzufügen.

Eine paar Minuten vergehen, ohne dass er darauf reagiert. Ließ es einfach geschehen. Dann plötzlich schlang er seine Arme um mich und versteckte sein Gesicht in meiner Halsbeuge. Unbewusst drückte ich ihn fester an mich.

Weitere Minuten verstrichen, indem ich ihn einfach festhielt. Er sich wie ein Ertrinkender haltsuchend an mich klammert. Ich war neugierig. Ich wollte wissen, was los war. Doch ich ahnte, dass er nicht mit mir reden würde.

„Könntest du weiterfahren, Tamara?" vernahm ich die Stimme von Paul und sofort löste sich Newt von mir. Noch einmal warf ich ihm einen Blick zu, doch seiner blieb gesenkt. Ich nahm seine Hand in meine und drückte sie einmal leicht, dann steckte ich den Kopf aus dem Schlafsack.

„Klar doch. Gib mir ein paar Minuten" erwiderte ich an Paul gewandt und sah, wie er uns im Rückspiegel beobachtete. „Guck nach vorne, ich will mich anziehen" erklärte ich ihm. Ich sah, wie er rot anlief und nun stur gerade ausschaute. Leise hörte ich Lucy kichern. Ich entknotete unsere Beine und krabbelte unter dem Schlafsack hervor. Sammelte meine Sachen aus dem Fußraum ein und zog mich an. Newt sah die ganze Zeit aus dem Fenster in die entgegengesetzte Richtung.

„Ich creme dich eben nochmal ein, bevor du dich anziehst" meinte ich zu ihm, nachdem ich angezogen war. Schnappte mir die Salbe und versorgte sein Hämatom. Es sah wirklich übel aus. Schimmerte in sämtlichen Farben und würde so schnell auch nicht besser werden. Anschließend half ich ihm beim anziehen.

Paul hielt in der Zwischenzeit an und holte die Kanister von der Ladefläche. Ich gab Lucy und Newt war zu Essen und zu Trinken, dann sprang ich aus dem Jeep und half Paul beim tanken.

„Spätestens ab morgen werden wir laufen müssen, befürchte ich" gab er seine Bedenken preis. Ich schaute in Richtung der Berge.

„Verdammte Kacke. Sie scheinen sich nach wie vor weiter zu entfernen. Das kann doch echt nicht wahr sein" fluchte ich leise vor mich hin. Wenn wir laufen müssen, werden wir nur sehr schleppend vorankommen. Der Sand und die Dünen machten das Laufen extrem anstrengend. Lucy müsste die meiste Zeit getragen werden und Newt, nun... Es wäre schlichtweg eine Katastrophe.

„Wir müssen es trotzdem versuchen. Es ist unsere einzige Chance aus der Wüste rauszukommen" meinte Paul und verstaute die 3 leeren Kanister auf der Ladefläche, anschließend sprang er auf den Beifahrersitz, während Lucy nach hinten zu Newt kletterte. Ich stieg ein und fuhr weiter.

„Ich hätte nicht gedacht, dass sie so weit entfernt sind" erwiderte ich leise und es sollte sowas wie eine Entschuldigung sein. Schließlich habe ich die Flucht geplant und vermutlich viel zu wenig Benzin besorgt.

„Wir schaffen das schon" versuchte Paul mich aufzumuntern, doch dies gelang ihm nur bedingt. Ich konzentrierte mich auf das fahren und lauschte mit einem Ohr nach hinten, wo Lucy und Newt sich unterhielten.

Doch das Gespräch verlief am Anfang sehr einseitig. Lucy stellte Fragen und Newt zuckte mit den Achseln. Und sie stellte viele Fragen. Verdammt viele Fragen. Wie alt er ist. Wo er herkommt. Wo seine Familie ist. Ob er Geschwister hat. Was er gerne mag. Was er gerne ist. Was seine Lieblingsfarbe ist. Ob er Freunde hat. Ob er früher Haustiere hatte. Wie sein Zimmer aussah. Was seine Eltern gearbeitet haben. Ob er eine Freundin hatte. Ob er gerne liest. Was er gerne für Musik hört. Ob er ein Instrument spielen kann. Ob er Sport gemacht hat. Doch bei jeder Frage zuckte er nur mit den Schultern, sah mit jeder Frage verlorener aus. Trauriger.

„Du weißt ja gar nichts" meinte Lucy irgendwann enttäuscht. „Oder willst du es nicht erzählen?"

„Nun... Wenn ich es wüsste, würde ich es dir bestimmt erzählen" antwortet er leise.

„Hä? Wie kannst du das nicht wissen? Sowas weiß doch jeder" meinte sie felsenfest davon überzeugt.

„Ich weiß es leider nicht. Nicht alle Menschen sind gut und nicht alle Menschen handeln gut. Mag sein, dass ihre Absichten gut sind, doch wie sie an die Sache herangehen, ist schlecht. Vor ungefähr 3 Jahren haben sie mein Gedächtnis gelöscht. Ich weiß nur noch meinen Namen. Und das, was ich die letzten 3 Jahre auf der Lichtung kennengelernt habe. Sonst weiß ich gar nichts mehr. Und vermutlich wird mir nie jemand meine Fragen beantworten können. Mir mein Leben, mein Gedächtnis und meine Erinnerungen wiederbringen können. Es wird ewig alles schwarz und dunkel in meinem Kopf bleiben. Damit muss ich klarkommen" erklärte er leise und deutlich konnte ich bei seinen Worten Schmerz und Leid heraushören. Ich spürte, wie die Wut in mir aufstieg und krallte mich am Lenkrad fest. Wie konnten Menschen nur so etwas machen? Wie konnten sie jemandem so sein ganzes Leben rauben? Niemand hatte zu so etwas das Recht. Niemand.

„Das ist sowas von gemein! Die sind voll doof!" regte sich Lucy auf und stemmte ihre Hände in die Hüfte, dann sah sie Newt an. „Nun bist du bei uns. Wir passen auf dich auf! Wir beschützen dich!" erklärte sie ihm heftig nickend.

„Das ist sehr lieb von euch" erwiderte er leise und lächelte sie leicht an. Kleine Grübchen bildeten sich neben seinen Mundwinkeln.

„So sind wir" grinste sie ihn an. „Ich werde dir dabei helfen, herauszufinden, was du magst und was du doof findest".

„Es gibt eine Sache, die ich jetzt schon weiß. Nämlich, dass ich dich mag" lächelte er sie weiter an. Breit und stolz grinste sie ihn an.

„Ich habe dich lieb Newt" erklärte sie ihm selbstbewusst und gab ihm einen Knutscher. Neben mir hörte ich es leise schnaufen und aus den Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass Paul gerade nicht sehr glücklich aussah. Passte es ihm nicht, dass Lucy und Newt sich angefreundet hatten? Irgendwie war es doch süß. Und er konnte gut mit dem aufgeweckten Lockenkopf umgehen. Ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Im Gegensatz zu mir. Ich war nicht für den Umgang mit Menschen gemacht. Weder mit kleinen, noch mit großen Menschen.    

Die Lichter in der Dunkelheit (Maze Runner, Newt FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt