Prolog

7.3K 119 5
                                    

"Sag mal Isabella, ich glaube mein Schwein pfeift!". Noch bevor ich auch nur ein Auge öffnen konnte, riss meine Mutter die Vorhänge auf und meine Augen versuchten sich verzweifelt an das grelle Licht zu gewöhnen. Isabella? Das sagte sie nur, wenn sie sauer auf mich war.

"Spinnst du?" murrte ich empört und bereitete mich mental auf das vor, was mich jetzt erwarten würde. Meine Mutter stand vor meinem Bettende und musterte mich. Ihre Hände stemmte sie in ihre Hüften und ihr Blick war genauso eindringlich wie an jedem anderen Morgen, seitdem ich mein Abitur bestanden hatte. "Es kann doch nicht sein, dass du immer noch schläfst! Ich möchte jetzt, dass du dir bis heute Abend überlegst, was du mit deiner Zukunft vor hast! So geht das nicht mehr weiter. Deinem Vater und mir reicht es, die Schonzeit ist vorbei!".

Nach ihrer verärgerten Ansage, verließ sie sauer den Raum. Ich musterte sie, bis meine Zimmertür energisch geschlossen wurde.
Ein großes Seufzen konnte ich mir kurz darauf nicht verkneifen. Langsam setzte ich mich an die Bettkante und trank einen großen Schluck Wasser.
Nachdenklich schaute ich dabei aus dem Fenster und fasste mir das erste mal nach langer Zeit einen Entschluss:

Ab sofort nehme ich meine Zukunft wieder in die Hand!

Kurz darauf räusperte ich mich. Wie sollte ich das denn anstellen? Wie konnte man seine Zukunft in die Hand nehmen, wenn man nicht mal wusste, in was für eine Richtung die ganze Reise eigentlich gehen sollte?

Eineinhalb Jahre war es her, dass ich mein Abitur bestanden hatte. Damals war ich gerade 18. Ich konnte mich noch daran erinnern als wäre es gestern gewesen, dass ich mein Zeugnis angeschaut hatte und restlos enttäuscht war, von meinen Noten. Dafür, dass ich ackerte bis zum Umfallen, reichte es letztendlich nur für einen eher schlechten 3,0 Durchschnitt. Er entsprach bis heute nicht meinen Erwartungen, beziehungsweise den Erwartungen aller Anderen, die mich ziemlich unter Druck gesetzt haben, da meine Schullaufbahn bis dahin eigentlich reibungslos verlief. Die Folgen davon waren Stress, Verzweiflung sowie einen Blackout nach dem Anderen. "Egal." murmelte ich und stand auf. "Mal sehen was der Tag bringt.".

Wie erwartet, war der Tag aber tatsächlich so wie jeder andere auch. Ich saß zuhause, alleine. Meine Eltern waren arbeiten, meine Mutter war Apothekerin und mein Vater ein begnadeter Physiologe. Bei ihm wusste ich ehrlich gesagt gar nicht was er genau machte.
Ich versuchte also, mich mal wieder zu verabreden, aber egal wen ich von meinen Freundinnen anrief, alle mussten arbeiten oder in die Uni. Mittlerweile war es schon 14:30 Uhr und ich saß noch genau so zuhause, wie ich aus dem Bett gekommen war. Kurzerhand schlenderte ich die Treppen meines Elternhauses hoch und griff mir trotzig eine blaue, löchernde Jeans und einen lockeren weißen Pullover von meinem Schreibtischstuhl, ziehe mir beides an und gehe daraufhin ins Bad, wo ich mir durch meine glatten braunen Haare kämmte und ein bisschen schminke auflegte. Zufrieden schaute ich in den Spiegel: "So gut sah ich schon lange nicht mehr aus." und verließ grinsend wieder das Bad.

Ungefähr 5 Minuten später saß ich in meinem Auto, auf dem Weg in die Dortmunder Innenstadt und ging ins Café Solo. Hier war ich früher ziemlich oft mit meiner Clique, da es das Café der Eltern eines Freundes war. "Bella, dich habe ich ja lange nicht mehr gesehen!" erschrocken drehte ich mich um. "Tim, das ist aber schön, dich zu sehen.". Ich lächelte meinen besagten Kumpel aus der Schulzeit an. Er nickte. Seine geraden, strahlend weißen Zähne fielen mir direkt auf. Sie machten sein Grinsen ansteckend und ich musste es ihm somit einfach gleichtun. Eine komische Stille entstand zwischen uns. "Ich wollte mal wieder einen Café hier genießen." erwähnte ich. Ein Versuch, um diese peinliche Stille zu brechen. "Hat lange gedauert, bis du dich mal wieder blicken lässt. Die Anderen sind immer noch jeden Freitag Abend hier, wie früher. Du solltest auch mal wieder mit dabei sein."."Wieso nicht." lächelte ich, obwohl ich wusste, dass ich es erstens bis Freitag eh wieder vergaß und zweitens, gar kein Recht mehr hatte, am Freitag Abend nach über einem Jahr wieder Zeit mit ihnen zu verbringen. "Weiß aber noch nicht, ob ich Zeit habe." erklärte ich schnell. Er nickte erneut. Nervös schaue ich mich um. "Bist du verabredet?"."Ne, ich suche nur einen stillen Platz.". Zum Glück hatte er seine eigentliche Aufgabe im Solo nicht vergessen und zeigte mir einen nicht reservierten Tisch. Ich war froh, dass er mich nicht mehr angesprochen hat, seitdem er mir meinen Kaffee gebracht hatte.
Gelangweilt beobachtete ich die Leute und hoffte gleichzeitig, dass keiner denken würde, ich hätte keine Freunde. Obwohl das ja eigentlich der Fall war.

"Und wie war dein Tag?" fragte meine Mutter mich am Tisch. Bestimmt erwartete sie wieder, dass ich nichts gemacht hatte und den ganzen Tag nur zuhause saß. "Ganz in Ordnung, war mal wieder in der Stadt." berichtete ich. "Das ist aber schön!" strahlte sie. "Mit Louisa?" fragte mein Vater, der von seiner Sportzeitschrift hoch sah. Er schaute verwundert, aber zufrieden zugleich. "Nee, die war in der Uni, ich war alleine dort." erklärte ich, den letzten Teil, jedoch leiser. Beide nickten. "Was haben bloß heute alle mit ihrem Nicken?" fragte ich mich selbst genervt. "Huh?" macht meine Mutter, ich winke jedoch ab.
"Sag mal..." fing sie nach zwei Minuten an. Es lief mir kalt den Rücken runter. Verdammt! Natürlich hatte ich vergessen, mir Gedanken über meine Zukunft zu machen. "... wie sieht's aus? Hast du dich entschieden?". Ich warf ihr einen überforderten Blick zu. Mein Vater schien diesen bemerkt zu haben und legte seine Zeitung endgültig weg: "Du musst dich jetzt nicht auf was Großes festlegen und es von heute auf morgen überstürzen, etwas kleines, wie ein kleiner Job, reicht uns schon, Liebling." bemerkte er einfühlsam. Nun nickte ich, ärgerte mich aber in der gleichen Sekunde wieder darüber.
"Ehm Papa, ich mache einfach irgendwas bei dir, wie wär's! Wir beide!" sagte ich schmunzelnd und stolz auf meine glorreiche Notlüge. Natürliche bemerkte ich die verzweifelten Blicke meiner Eltern und das Seufzen meines Vaters. "Na dann... Morgen um sieben ist Abfahrt!" informierte er mich. Daraufhin riss ich mich unglaublich zusammen, mein Wasser nicht direkt wieder auszuspucken. "So früh war ich ja seit Jahren nicht mehr wach!".

OptimistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt