Kapitel 9

3.6K 93 4
                                    

Am kommenden Montag fiel es mir mindestens genauso schwer aus dem Bett zu kommen, aber diesmal schaffte ich es wenigstens schneller. Irgendwie entwickelte sich wohl langsam eine Routine und ich bemerkte, wie gut mir das alles tat. Nicht nur die Arbeit und das Gefühl, dass ich endlich etwas schaffte in meinem Leben sondern auch die ganzen neuen sozialen Kontakte die ich mir mittlerweile aufgebaut hatte. Ich war meinem Vater unendlich dankbar dafür. In ein paar Tagen stand mein Geburtstag an. Eher gesagt am Mittwoch. Nie hätte ich gedacht, dass ich noch vor meinem zwanzigsten die Kurve kriegen würde. Bis jetzt sah es zumindest ziemlich positiv für mich aus, obwohl ich ja eher Pessimist bin.

Ich übernahm auf dem Trainingsgelände an diesem Tag alles, was nichts mit Fußball und Mannschaft zutun hatte, weil ich versuchte Marco so gut wie möglich aus dem Weg zu gehen seitdem er das Go fürs Training gestern Abend von meinem Vater bekam. Mir war einfach alles so unglaublich unangenehm, obwohl ich nicht mal wusste ob er diesen Müll in den Medien auch gesehen hatte. Zum Glück hatte ich einen verständnisvollen Vater, der mir jede erdenkliche Aufgabe außerhalb des Trainingsgeländes auftrug.

Gerade schlenderte ich in meinen Gedanken vertieft, doch aus irgendeinem Grund an einem der Trainingsplätze vorbei und bekam eine heiße Diskussion zwischen Roman und Marco mit. Sie schienen sich extrem anzufahren. Ein wenig neugierig machte ich unauffällig einen extra Schlenker, um näher an die Beiden heran zu kommen.

"Ich verstehe gerade echt nicht was dein Problem ist Roman!","Mein Problem? Mein Problem bist du und deine ständige Gier nach jedem gut aussehenden Mädchen, was dir über den Weg läuft. Du willst Bella doch eh wieder in die Kiste kriegen, genauso wie die Anderen Weiber in den letzten 12 Monaten seit deiner Trennung.","Pf, du bist doch bescheuert! Erstens hast du dich gar nicht erst so in mein Leben einzumischen, es sei den ich bete dich darum und zweitens finde ich Bella einfach total nett und verbringe deshalb Zeit mit ihr, um eine Freundschaft aufzubauen. Mehr ist da nicht. In meinen Augen ist sie auch viel zu Jung für mich also heul nicht rum und geh wieder trainieren."

Schnell ging ich weiter. Diese Diskussion über meine Wenigkeit leuchtete mir eindeutig nicht ein. Marco sagte glücklicherweise die Wahrheit und spätestens jetzt hatte ich die komplette Gewissheit, dass er genau so dachte wie ich. Freundschaft. Das Alter. Trotzdem wurmte mich die Aussage ich sei nett. Nett ist bekanntlich die kleine Schwester von Scheiße. Außerdem bestätigten Romans Aussagen über Marcos Liebesleben meine anfängliche Meinung zu ihm. Ab jetzt war ich vorsichtiger. Vielleicht sollte ich mein Bild über ihn doch nochmal zu überdenken.

Am frühen Nachmittag traf ich mich mit Ann-Kathrin in der Innenstadt.
"Was hast du jetzt vor?" fragte ich interessiert nachdem wir nun schon 2 Stunden lang von Laden zu Laden hetzten. "Keine Ahnung. Vielleicht bestell ich mir dann doch das Kleid aus dem Internet.". Ich lachte: "Das war mir klar, ich wollte eigentlich wissen, was wir jetzt machen. Was essen? Oder willst du doch noch schnell nach Gelsenkirchen und da gucken?","Spinnst du? Nicht zu den Schlümpfen, dann redet Mario wieder 'ne Woche lang nicht mehr mit mir." grinste sie Augen verdrehend. Ich schüttelte lachend meinen Kopf. "Willst du nicht doch noch zum Friseur?","Meinst du?" fragte ich unsicher und schaute an meinen langen dunkelbraunen Haaren herunter. Eben hatte ich ihr von meinem Plan erzählt, von dem sie mehr als begeistert war.
Ich wollte sie ein wenig kürzer mit leichten Stufen und ein paar hellen, kühlen Highlights. Irgendwie hatte ich Bock auf Veränderungen und fand, dass meine Haare ein guter Anfang wären. Gesagt getan. Es dauerte zwar länger, aber mit Ann-Kathrin machte genau das Spaß. Am Ende verließ ich den Friseursalon mit einem fetten Grinsen und genau den Haaren wie ich sie mir zuvor vorgestellt hatte. Ich sah laut Friseurin und Ann-Kathrin erwachsener aus und dieser Gedanke gefiel mir. "Guck mal süß!" dirigierte Ann nachdem wir uns ein paar Schritte vom Salon entfernt hatten. "Was?" fragte ich immer noch total von Glücksgefühlen überhäuft. "Hab's schon.", sie hielt mir stolz ihr Handy vor die Nase. Auf dem großen Bildschirm war ein Bild von mir zu sehen wie ich völlig locker vor ihr stand und völlig natürlich lächelte. "Hättest du nicht die Fotografin meiner Abiturfotos sein können? Die waren nicht mal halb so gut.","Ist schon verschickt." verkündete sie zufrieden. "Verschickt an wen?" fragte ich überfordert. "Na in meine Instagram Story.". Meine Augen weiteten sich: "Nicht dein Ernst?" ich begann zu Lachen, aber eher aus Nervosität. "Rate mal wer's schon gesehen hat?","Ich will's gar nicht wissen.","Ich sag dir aber trotzdem, dass es Marco war." säuselte sie und wir gingen noch in ein paar andere Läden. Ich kaufte mir für Mittwoch ein herbstliches Kleid, es war aus leichter Wolle mit einem Rollkragen und war in einem schönen rot-braun.

OptimistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt