Kapitel 76

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Es war schon der nächste Tag, als ich den Entschluss fasste mit Marco zu reden. Es hörte seit gestern gar nicht mehr auf zu regnen, ob das ein schlechtes Omen war, wusste ich nicht.

Der Auslöser war ein eigentlich ziemlich simples und schönes Ereignis. Ich wurde mitten in der Nacht wach, weil ich meine Gedanken einfach nicht kontrollieren konnte. Als ich mich unruhig vor Wut umdrehte, sah ich plötzlich Marco direkt in sein friedlich schlummerndes Gesicht. Irgendwie taten mir meine bösen Gedanken der letzten zwei Tage direkt leid. Als ich ihn so da liegen sah, konnte ich nämlich nicht anders als zu Lächeln. Seine leise, regelmäßige Atmung, seine zersausten blonden Haare und die Art wie er auf dem Bauch lag ließen mein Herz umgehend dahin schmelzen. Am liebsten hätte ich ihn direkt geweckt damit er mich umarmte und ich ihn über seinen Tag ausfragen konnte. Er war eigentlich ein Engel, mein Engel. Es ärgerte ich, wie ich vergessen konnte, was er schon alles für mich getan hat dieses Jahr. Marco war meine große Liebe und um die musste man doch kämpfen oder?
Auch weil ich mich vor einigen Monaten dazu entschlossen hatte erwachsen zu werden musste ich mit ihm reden. Ich wollte nicht mehr so enden wie vor ein paar Jahren: als kleiner Teenager bei dem alles schief im Leben ging für einige Zeit. So lief das nicht mehr, das hatte ich mir selbst versprochen.

Und so wartete ich. Den ganzen Tag. Ich wusste, dass Marco und Mats Training hatten und bat Mats am Morgen nicht nur darum, dass er Marco dazu brachte nach Hause zu kommen, sondern auch, dass er sich mit irgendwem traf damit Marco und ich in Ruhe reden konnten. Irgendwann bekam ich Langeweile vom ganzen Warten, also begann ich zu putzen und irgendwann machte ich mich sogar richtig fertig. Ich ging duschen, wellte meine Haare, schminkte mich ein wenig und schmiss mich sogar in eine enge dunkelgraue Jeans und ich einen beigen schulterfreien Pullover. Nervös saß ich auf einem der Barhocker an der Küchentheke, während meine Fingernägel immer wieder nervös auf die weiß lackierte der hochmodernen Arbeitsplatte tippten - eigentlich ein Geräusch, welches ich abgrundtief verabscheute. 
Als dann die Tür plötzlich schwungvoll aufgerissen wurde rutschte mir mein Herz in die Hose. Marco trat gedankenverloren in den Raum, ohne mich zunächst zu bemerken und schenkte sich direkt gegenüber von mir hinter der Küche ein Glas Wasser ein. Er sah ausgelaugt aus, irgendwie gestresst und nachdenklich. Auf meinen Lippen lag schon die dazu passende Frage, aber ich verkniff sie mir und räusperte mich stattdessen leise. Erschrocken blickte er auf und schaute mir direkt in die Augen. Wir beide starrten uns für bestimmt dreißig Sekunden nur an. Immer wieder wanderten seine Augen von links nach rechts, von oben nach unten. Er war sich unsicher, genau so unsicher wie ich es war. 
"Hallo" lächelte er schließlich nervös. "Hi" grinste ich. Danach folgten wieder einige Sekunden der Stille. "Marco, ich glaube wir sollten nochmal über die eine Sache reden.","Ja ich weiß, ich wusste einfach nicht wie ich damit anfangen sollte." gab er zu und setzte sich daraufhin neben mich. "Ich weiß auch, dass ich dich damit ziemlich überrannt habe aber du hast mich am Freitag ja nicht mal ausreden lassen im Vapiano. Ich wollte dir noch sagen, dass mir deine Meinung sehr wohl wichtig ist und es für mich zu diesem Zeitpunkt keine endgültige Entscheidung war, die ich getroffen habe.","Was ist denn an der Aussage Bella ich werde nach Liverpool wechseln nicht endgültig?" fragte ich sarkastisch. "Es war die falsche Wortwahl, das gebe ich zu.","Nicht nur das Marco. Es heißt nicht nur du wechselst nach Liverpool. Da kommt so viel anderes noch dazu! Wie hast du dir das denn vorgestellt? Tut mir leid Bella, es war ein schönes Jahr mit dir, aber ich muss jetzt weiter?","Nein, nein. So habe ich das erst recht nicht gemeint. Ich weiß natürlich, dass du nicht einfach so mitkommen kannst. Du bist schließlich mitten in deinem Studium. Ich habe mir da ernsthafte Gedanken zu gemacht.","Genau da fangen die Probleme doch schon an. Wir wollen doch heiraten. Da kann man doch keine Fernbeziehung führen oder willst du die Hochzeitstorte über Facetime probieren?","Ich dachte mir, ich komme an meinem trainingsfreien Tage oder du am Wochenende.","Am Wochenende spielst du doch die ganze Zeit. Soll ich dann alleine in deiner Wohnung dort herumgammeln und auf die warten? Und wenn du an deinem trainingsfreien Tag kommst sitzt du mehr im Flieger als das du bei mir bist. Das kann nicht funktionieren." seufzte ich. Marco schaute mich wehleidig an, während er dem Anschein nach, nach einer Lösung suchte. Das Problem war nur, dass es momentan noch keine gab. Es gab entweder hop oder top, ja oder nein, hier oder da, ich oder England. "Hör zu, natürlich ist mir bewusst, dass du ein Profifussballer bist und dazu auch der Vereinswechsel gehört und dass du nicht hier in Dortmund versauern solltest, nur weil ich hier lebe. Mir ist auch klar, dass Spielerfrauen ihren Männern meistens folgen, aber die sind in einer ganz anderen Situation als wir." stellte ich klar. Marco hob nachdenklich seine Augenbrauen: "Ja ich weiß.", murmelte er zerstreut. "Ann-Kathrin konnte Mario nach Bayern und wieder zurück folgen, weil sie Model ist und selbstständig. Die beiden sind keine neun Jahre auseinander und Ann-Kathrin ist an keinen Ort gebunden durchs Studium, so wie ich. Vielleicht müssen wir erstmal eine Pause machen, um zu sehen wie es ist wenn alles etwas eingespielt ist, oder so." erklärte ich weiter. Marco presste seine Lippen aufeinander und wurde ganz rot dabei im Gesicht. Er litt total unter der Situation, aber das tat ich auch und bei seiner Entscheidung konnte ich ihm nicht hereinreden, denn wir alle wissen, was ich ansonsten verlangt hätte. Obwohl ich hoffte er würde sich nochmal Gedanken darüber machte, hatte ich schon auf der Arbeit mitbekommen, dass er bereits zum Probetraining nach England fliegen würde. Diese Stille machte mir Angst. Bei dem Gedanken daran, ihn nicht mehr bei mir zu haben drehte sich mein Magen dreiundvierzig tausend Mal um seine eigene Achse. Mit jeder weiteren Sekunde, in der Marco nach Worten suchte, brach ein kleiner Teil meines Herzens. Wenigstens streiteten wir uns nicht, dachte ich in diesem Moment. "Ich könnte keine Fernbeziehung mit dir führen, ich würde dich so sehr vermissen. Dafür liebe ich dich zu sehr..." hauchte er leise, während vereinzelt Tränen über seine Wangen wanderten. "...aber ich wollte schon vor einem Jahr wechseln, bevor du gekommen bist. Dann war ich immer wieder verletzt und das Angebot musste ausgeschlagen werden. Als du dann in mein Leben tratst hast du mich so erfüllt, dass ich hier bleiben wollte. Und es ist nicht so, dass du das nicht mehr tust, aber ich habe in den letzten Jahren so viel zurückstecken müssen. Durch die ganzen Verletzungen war meine Karriere quasi vorbei und auch privat habe ich auch oft damals für Scarlett vieles abgesagt und hin geschmissen. Deswegen habe ich damals mit ihr Schluss gemacht. Weil ich damals nicht bereit für Kinder war, sie nicht mehr liebte und einfach nur noch nach England wollte. Ich glaube ich bin an einem Punkt an dem ich egoistisch sein muss und an meine Karriere denken sollte, bevor sie vorbei ist. Das ist mit Sicherheit das letzte große Angebot meiner Karriere, wenn ich es nicht annehme und das kann ich nicht ausschlagen. Es tut mir leid, Bella." platzte es aus ihm heraus.
Da stand ich nun, hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit. Ich zitterte am ganzen Körper und war unfähig zu reden oder mich zu bewegen, weil ich es nicht fassen konnte. Ich dachte, ich müsste mich für ihn und seine Karriere für eine Pause entscheiden, um mal zu sehen wie es aussehen würde wenn sich alles eingespielt hatte, weil ich ihn liebte. Ich dachte zum ersten Mal optimistisch. Ich konnte nicht fassen, dass Marco derjenige war, der gerade mit mir Schluss machte und das aus Egoismus und nicht aus Liebe. Genau diese Enttäuschung war mir auch anzusehen, obwohl ich wie versteinert auf meinem Stuhl saß. Es fühlte sich so an als lebte er die ganze Zeit ein Parallelleben mit mir und das verletzte mich und meinen Stolz fürchterlich.

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