Kapitel 59

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Im Halbschlaf tastete meine Hand die sämtliche Kopfregion meines Kissens ab. Wer muss den so früh morgens bei mir einen solchen Telefonterror veranstalten? Es vibrierte und vibrierte, brachte mich beinahe zur Weißglut, bis ich es irgendwann unter meinem Kopfkissen fand. Dann nahm ohne dem Anrufer eines Blickes zu würdigen ab: "Ja?" krächzte ich leise. "Ich bin's!" ertönte Ann-Kathrins Stimme am anderen Ende des Höhrers. Sofort war ich hellwach. Die gestrigen Ereignisse erschienen vor meinem inneren Auge und lösten ein mulmiges Gefühl in mir aus. Man hätte schon fast sagen können, dass mir wieder schlecht wurde. Zuvor noch tief eingekuschelt in meiner Decke, saß ich jetzt kerzengerade im Bett und strampelte die Decke von mir herunter: "Was willst du so früh?" fragte ich verwundert. Sie räusperte sich: "Keine Ahnung, ich habe irgendwie ein schlechtes Gefühl. Nachdem Sarah und ich das gestern zu dir gesagt haben, seid ihr so schnell angedampft und gestritten habt ihr euch doch auch.","Ist alles gut, wir streiten nicht mehr." ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. "Was ein Glück.","Ann, ich habe Angst.","Hast du schon einen Test gemacht?" ich schüttelte vehement meinen Kopf, bis mir auffiel, dass sie es ja nicht mal sehen konnte: "Nein, wann denn auch?","Weiß nicht. Soll ich rüberkommen?","Ne, lass mal." murmelte ich: "Es ist noch nicht mal sieben Uhr. Dein Ehemann würde mich auf der Arbeit töten, Schwango." Das wollte ich alleine machen. Mein Blick wanderte zum leise vor sich hin schnarchenden Marco neben mir. Er durfte auch nicht dabei sein. Ich wusste nicht, wie meine Reaktion überhaupt ausfallen würde und vor allem wollte ich ihn mit dieser, falls sie schlecht sein sollte, nicht verletzen. "Okay, aber wenn du es weißt dann meldest du dich direkt, ja? Außerdem, sag das mit dem Schwango nicht zu laut, vielleicht bist du ja auch einer.","Ja, hast recht.", dann herrschte Stille zwischen uns. Irgendwie waren  wir beide in unseren Gedanken vertieft. Nein, eigentlich war ich ins Beten vertieft, ich konnte einfach nicht schwanger sein. Ann-Kathrin begann plötzlich zu Schmunzeln: "Was ist?" fragte ich. "Keine Ahnung, irgendwie wäre das doch cool?","Warum?","Wenn mein und Marios Lausebub bald da ist und du kurz darauf auch seinen Spielkameraden auf die Welt bringen würdest. Das wäre doch obercool.","Naja, als obercool würde ich es jetzt nicht bezeichnen." seufzte ich. Mir fiel ein, dass ich und Sarah unbedingt noch die Babyparty planen mussten. Ich musste unbedingt daran denken sie später anzurufen. "Ich weiß, dass willst du als hochschwangere nicht hören, aber-","Aber was Schätzchen? Das hört sich jetzt blöd an, aber es wäre nur ein Kind und sogar ein Kind aus liebe. Das kriegst du, - kriegt ihr, schon gewuppt. Mit Sicherheit. Dann wirst du halt früh Mutter, warum nicht?" Ich blieb still. Vielleicht weil ich arbeiten will? Karriere machen? Feiern gehen? Erwachsen werden? Erfahrungen sammeln? Leben? "Ich lege jetzt auf, Marco schläft noch neben mir und ich muss mich sofort für die Arbeit fertig machen." murmelte ich kurz angebunden und beendete das Telefonat genau so schnell.
Auf dem Weg zur Arbeit fuhr ich mehrere Schleifen um Apotheken drum zu, aber konnte mich nie überwinden in eine von ihnen hinein zu gehen. Wenn ich so weiter machen würde, wäre Marco sogar noch vor mir da und das, obwohl ich extra früh losfuhr, um ihm und seinen Schwangerschaftstestplänen aus dem Weg zu gehen. 
"Na Kleine? Du siehst aber fertig aus." begrüßte mich Nobby noch in der Nähe des Eingangs. Ich warf ihm einen bösen Blick zu: "Dir auch einen schönen guten Morgen.", er musste lachen: "Komm wir müssen heute noch einiges für das Heimspiel am Wochenende vorbereiten." ich nickte. Ablenkung war doch perfekt für mich.
Aber von wegen Ablenkung. Ich hatte mich zu früh gefreut. Das hin und her laufen, um Sachen zu besorgen, irgendwelche Leute zu suchen und jetzt auch noch bis auf den Platz herunter rennen zu müssen, um irgendeinen der Jungs zum Drehen für das Feiertagsmagazin nach dem Training zu überreden, setzte mir irgendwie ganz schön zu. Noch bevor ich den Platz betrat, joggte Marco enthusiastisch auf mich zu. Oh ne, dachte ich mir, warum denn genau jetzt? "Guten Morgen Schatz. Habe dich heute morgen gar nicht mehr gesehen." sanft drückte er mir einen Kuss auf die Lippen. "War schon spät dran" sagte ich kurz angebunden. Kritisch beäugte er mich von oben bis unten, er wusste, dass ich ihn anlog aber verlor kein Wort darüber: "Du siehst gar nicht gut aus." bemerkte er bloß, na ob das besser war? "Danke, wurde mir schon gesagt." Er nickte, fuhr sich nervös mit der Hand über den Nacken und räusperte sich, bevor er zum Reden ansetzte: "Hast du schon...-"."Nein, habe ich noch nicht." zischte ich mit gesenktem Ton. Er lächelte emotionslos: "Wollen wir den zusammen machen?", ich schüttelte energisch meinen Kopf und suchte fast schon hysterisch nach einer Ausrede: "Kann dich ja schlecht aus dem Training zerren, nur weil ich pinkeln muss.","Damit hast du schon irgendwie recht." kicherte er leise. Zum Glück kaufte er mir diese grottenschlechte Ausrede ab. Ich musste auch kichern, er war schon niedlich. Aber meine Liebe zu ihm wurde leider Gottes einfach zu diesem Zeitpunkt überschattet von meiner größten Angst. "Reus, hier hin! Zackig!" brüllte Manfred Stefes plötzlich amüsiert aus dem Hintergrund. Wir beide drehten uns gleichzeitig, ich mich beinahe schon ertappt, um und wurden von jedem der es mitbekam blöd grinsend angestarrt. Schnell faselte ich noch von dem, was ich eigentlich auf dem Platz wollte: "Du, willst du später für das Feiertagsmagazin drehen? Das passt doch perfekt, wegen deinem Comeback." zwinkerte ich. "Du hast keine Lust einen anderen zu fragen, oder?" grinste er amüsiert. Ich lachte: "Nee, so gar nicht. Also?", er lächelte verstohlen und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe: "Ich kann es dir eh nicht abschlagen. Der Test, den ich eben besorgt habe, liegt übrigens in meinem Handschuhfach." murmelte er noch gegen meinen Haaransatz, bevor er einfach wieder davon joggte. Perplex blieb ich stehen und schaute meinem Freund, nein meiner großen Liebe, meinem Verlobten verstohlen, aber irgendwie auch verliebt hinterher. Wie von Zauberhand drückte plötzlich meine Blase. Gott wollte mir jetzt höchstwahrscheinlich endlich Gewissheit schenken.
Nur kurze Zeit danach fand ich mich in Marcos Auto wieder. Ich war schon längst auf diesem Streifen pinkeln, hatte mich aber unauffällig von der Sammeltoilette, die einen immer in die Schulzeit zurückversetzte, wieder in sein Auto verzogen und starrte den, bis jetzt noch im Toilettenpaier eingewickelten, Schwangerschaftstest nervös an. Noch nie in meinem Leben war mir so übel, wie in diesem Moment. Mir war heiß und kalt gleichzeitig, meine Hände schwitzten, mein Kopf explodierte regelrecht vor Aufregung und Angst. Nach einigen Minuten wickelte ich den zukunftsbestimmenden Test aus seiner Klopapierhülle und starrte ihn einfach nur an.

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