Kapitel 61

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Der Boden unter meinen Füßen schien zu bröckeln. Vor meiner Nase zeigte mir das kleine Display fett "Schwanger 2-3" an. Mein Herz rutschte mir in die Hose, meine Atmung wurde immer flacher. Die Sauerstoffzufuhr in Marcos Auto schien so gut wie aufgebraucht zu sein, beinahe hyperventilierte ich. Was mache ich denn jetzt? Ich stand gerade noch fest in meinem Leben, bis mir der Boden, so plötzlich wie ein Pflaster, unter den Füßen weggerissen wurde. Ich wusste nicht, wie ich darauf reagieren sollte. In meinen Augen bildeten sich umgehend riesige Krokodilstränen der Verzweiflung. Während andere Frauen sich freuen oder es sich jahrelang wünschen und dann die glücklichsten Menschen der Welt sind, machte ich mir einfach nur Sorgen. Ich machte mir etwas weniger sorgen um mich in diesem Moment. Es ging mir erstmal viel mehr um das kleine Baby in meinem Bauch. War es gesund? Hätte es ein schönes Leben? Was ist, wenn ich nicht genügend Liebe aufbringen könnte? Naja, bei seinem Vater waren diese Zweifel unfair. Meine Augen wurden größer und ein riesiger Knoten schnürte mir die Luft im Hals ab. Was ist, wenn ich keine Mutter für das Baby sein könnte? Oder was ist, wenn ich nie wieder glücklich werden würde, weil es von Anfang an zu früh für mich war, Mutter zu werden? Was ist mit meinem Studium? Meinem Beruf? Meiner Beziehung? Meinen Zukunftsplänen? In diesem Moment fiel mir nur eine Person ein, die mir jetzt kurzfristig helfen könnte. Ohne darüber nachdenken zu müssen tippte ich Mats' Nummer in mein Smartphone und drückt gleich darauf auf den grünen Hörer. "Hi Süße, wie geht es dir?" fragte er wie immer lieb und mit sanfter, beruhigender Stimme. Ich hingegen schniefte und traute mich nicht mal, einen Pieps von mir zu geben. "Bella warum weinst du? Ist etwas mit deinem Papa?" fragte er besorgt. "Nein!" drückte ich gegen meine Lippen. "Was hat Marco gemacht? Muss ich in den nächsten Flieger steigen, oder-","Marco hat nichts gemacht Mats. Ich- also ich glaube, irgendwie- ach, ich bin irgendwie schwanger." heulte ich drauf los. Es wurde für eine Unendlichkeit still am anderen Ende der Leitung. "Och Süße...","Mein Leben ist zerstört.","Sag so etwas nicht, das wirst du noch bereuen.","Tut mir leid.","Ich bin morgen früh da, habe mir gerade einen Flug gebucht.","Aber Mats-","Nichts da, keine Diskussion.","In Ordnung... Danke." ich lächelte bei dem Gedanken. Er war schon immer wie ein großer Bruder, so fürsorglich und beschützend. "Nichts zu danken. Du ich muss leider auflegen, die zweite Trainingseinheit beginnt sofort. Aber versprich mir, direkt Marco davon zu erzählen. Er ist schließlich der Vater und achja, mach dir nicht solche Sorgen. Eigentlich ist es doch etwas wunderschönes." Nachdem Mats auflegte verblieb das zaghafte Lächeln zwar nur noch für wenige Sekunden auf meinen Lippen, jedoch sah meine Welt wenigstens ein wenig besser aus. Wenn ich an die schöne Zeit dachte, die ich schon mit Ludwig hatte und das er und Ann-Kathrins Babyjunge so ziemlich gleich alt wären, ging mir das Herz auf. Vielleicht würden Marco und ich ja auch einen Jungen bekommen, der dann schon das dritte Mitglied der Fußballmannschaft bildete. Aber auf der anderen Seite war ich viel zu ängstlich. Mit zittrigen Händen verpackte ich den Test wieder und schmiss ihn in meine Handtasche. Durch den Seitenspiegel sah ich, wie sich Marco seinem Auto näherte. Schnell rieb ich die zerlaufene Mascara unter meinen Augen weg und richtete meine Haare noch, bevor ich versuchte wie immer zu wirken. Klar Mats wollte, dass ich Marco davon erzähle, aber doch nicht in einem Auto oder vor seinem großen Comeback morgen. "Bella, du bist ja witzig, dass du mich zum Video drehen zwingst und dann nicht mal da bist." kicherte er als er einstieg. "Sorry, ich hatte viel zutun. Können wir mein Auto hier stehen lassen? Das springt nicht mehr an." log ich. "Klar, darum kümmern wir uns morgen. Ich verstehe einfach nicht, warum du mich dir kein neues kaufen lässt." sagte er. Marco war noch ziemlich euphorisch und aufgedreht von seinem ereignisreichen Tag. Meine Nachrichten wären dafür noch die Krönung: "Wenn dann, kaufe ich mir selbst eins. Außerdem mag ich mein Auto." lächelte ich zaghaft. Grinsend lehnte er sich herüber und küsste mich liebevoll: "Ab nach Hause, ich habe so Lust auf Pizza und kuscheln im Bett. Du auch?" Ich musste lächeln. Er war einfach perfekt. Ich liebte es, wie seine Augen strahlten und wie seine Anwesenheit und Ausgeglichenheit direkt auf mich übergriff. Nickend schnallte ich mich an, bevor er losfuhr.

Die ganze Fahrt lang überlegte ich, wie ich es Marco so sagen konnte, dass er nicht zu euphorisch, aber auch nicht traurig wurde. Ich war mir einfach so unsicher und war dazu ängstlich, sowie überrannt von meinen Gefühlen. Mich plagte dieses komische Gefühl von innen, dass ich nicht loswurde. Irgendetwas, das wusste ich, war nicht richtig und fühlte sich dementsprechend schlecht an. Die Frage war nur was und vor allem weswegen. Nachdem wir durch die Garage ins Haus gingen, fand ich mich innerhalb wenigen Minuten in unserem Bett wieder, im gemütlichen Klamotten und in Marcos Armen eingekuschelt. Auch die Pizza war schon unterwegs. Nervös kaute ich auf meinen Lippen herum. Ich musste es ihm sagen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Ich räusperte mich ein paar mal, dachte nach, überdachte jedes Wort, das ich vorhatte zu sagen, bis es einfach so mit dem Blick zum Fernseher gerichtet aus mir herausplatzte: "Marco, Ann-Kathrin und Sarah hatten recht, ich bin Schwanger."

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