Kapitel 15

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"Guten Morgen Isabella, wo warst du denn gestern Abend so lange?", begrüßte mich mein Vater am nächsten morgen in der Küche. Verträumt stand ich an der Arbeitsplatte und schmierte mir ein Brötchen. Als ich zu ihm schaute, saß er schon vor mir auf dem Barhocker an der Theke. Der eindringlicher Blick, den er mir zuwarf, verriet seine Neugier. "Wo ist Mama?" versuchte ich abzulenken. Heute musste er erst gegen halb drei im Stadion sein, das passte perfekt, weil Marco mich um kurz vor drei hier abholen würde. So würden sie sich nicht begegnen und ich hätte meine Ruhe. Aber wie es aussah, musste ich mir Sorgen machen wie ich meinen Aufenthalt bei Marco gestern Abend vor meinem Vater verheimlichen könnte. Man konnte ihn nämlich nie abwimmeln, wenn er neugierig war. "Deine Mutter ist mit ihrer Freundin in der Stadt. Aber lenk nicht ab, Bella! Wo warst du gestern?". Mein Blick wanderte herüber zur Küchenuhr. Erst halb 12. "Ich war bei Marco." antwortete ich mit einem Achselzucken. Jetzt war es auch egal. Auf Lügen ausdenken hatte ich zu diesem Zeitpunkt keine Lust. "Wie bei Marco? Wie kam es denn dazu?" grinste mein Vater schelmisch. Ich konnte den Gedanken nicht los werden, dass Marco und ich für ihn schon quasi ein Paar waren. Aber mit Marco zusammen sein? Ne, das konnte ich mir gar nicht vorstellen. Hinterher musste ich Jungspund den alten Krüppel-Marco noch pflegen. Das kam gar nicht in Frage.
"Als er Mats und mich nach Hause gebracht hat von der Halloweenparty, habe ich versprochen, ihm was zu kochen. Haben dann doch Pizza gegessen und einen öden Film geschaut.". Mein Vater schüttelte Lachend den Kopf: "Na dann. Wir fahren um kurz nach 2 los Richtung Stadion, alles klar?","Genau darüber wollte ich noch mit dir reden! Ich komme heute leider nicht mit.","Wieso nicht? Musst du arbeiten?","Nein, ich gucke das Spiel zusammen mit Marco von der Süd aus. Er hatte es mir vor einiger Zeit mal versprochen. Cool ne?" grinste ich. "Ach dafür wollte er so kurzfristig die Karten für heute gegen Leverkusen haben." murmelte mein Vater daraufhin: "Ihr unternehmt aber ganz schön viel momentan zusammen." grinste er daraufhin mit hoch gerissenen Augenbrauen. "Quatsch.","Wenn sich daraus was ergibt, sagst du es mir und deiner Mutter aber doch, oder?". Ich rollte meine Augen: "Könnt ihr lange drauf warten, da wird sich nichts mehr als Freundschaft ergeben!" stellte ich klar. "Ich glaube dir kein Wort. Genieße das Spiel von der Süd. Ein sehr netter Einfall von Marco, um dir den BVB endgültig nahe zubringen." legte er mit einem Zwinkern nach und verließ den Raum. Ich rollte mit den Augen. Keiner konnte mich mit diesem Thema in Ruhe lassen. Es nervte mich langsam, wie alle versuchten mir etwas aufzuzwingen. Die dachten alle wohl, ich sei dumm. Dabei merkte ich doch, dass zwischen mir und Marco nur Freundschaft existierte und verstand einfach nicht was der Sinn hinter den Sticheleien der Anderen war.

Pünktlich um halb 3 fuhr Marco vor und ich stieg direkt in seinen Wagen ein. "Moin, schon aufgeregt?" fragte er mit einem dicken grinsen, während seine Augenbrauen hoch und runter wackelten. Ich zuckte ein wenig desinteressiert mit meinen Schultern: "Nicht wirklich.","Naja, richtig angezogen bist du ja schon mal." sagte er mit einem optimistischen Unterton in der Stimme. Nachdem ich ihn in einer simplen schwarzen Jeans und einem BVB- Hoodie identifizierte, schaute ich an mir herunter. Den hellgrauen unter meiner Windjacke versteckten Hoodie konnte er nicht meinen und meine dunkelgraue Jeans auch nicht. Meine Chucks hatte ich doch auch jeden Tag an. Er konnte also nur meine Jacke meinen, die natürlich mit dem BVB Emblem versehen war. Irgendwie hatte ich gar nicht realisiert, dass ich meine eigentliche Arbeitsjacke trug. Für meine Lederjacke war es nämlich langsam einfach zu kalt und und die Windjacke vom BVB war einfach perfekt für das Wetter. "Du hast die Jacke nicht extra angezogen oder?" grinste Marco nach einigen Sekunden voller Stille. Ich schüttelte den Kopf: "Ne, nicht wirklich.". Marco prustete los und schlug spielerisch gegen meinen Unterarm: "Du bist manchmal auch echt verpeilt, du Pfeife.","Musst du wohl mit Leben." flutschte es kichernd aus mir raus. Oh, oh. Wo aus meinen tiefsten Gedanken entwich denn dieser flirt-offensive Kommentar? "Kann ich auch." murmelte er leise, mit einem konzentrierten Blick auf die Straße. Mein Herzschlag verdreifachte sich. Musste wohl die Aufregung vor der Enge auf der Südtribüne sein. "Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich auch noch den hier mit habe" lachte ich und hob den Dortmundschal in meiner rechten Hand hoch. Er musste ja nicht wissen, dass mein Vater mir den eben in die Hand gedrückt hatte, bevor er ging. 

Auf der Südtribüne war es vor dem Spiel eng, laut und die Sicht wurde mir auch versperrt. Seufzend hibbelte ich neben Marco herum, der netterweise mein Bier hielt. Meine Hände waren tief in meinen Jackentaschen vergraben. Ich liebte zwar den Winter und die Kälte, aber gerade säße ich lieber im Warmen. "Wenn das Spiel losgeht wird dir ganz sicher wärmer." versprach Marco mir, nachdem ich ihm nach meinem kleinen Wettertanz mein Bier abnahm. Ich schaute ihn ungläubig an. "Versprochen!" wiederholte er sich und legte plötzlich seinen Arm um meine Taille. Mit seiner rechten Hand, welche direkt auf meiner Hüfte lag, drückte Marco mich eng an sich heran. Wir beide lächelten uns daraufhin an. Schon wieder verdreifachte sich mein Herzschlag. Diese Situation war mir keineswegs unangenehm, eher weniger. Ich wurde nervös, durch seine Nähe. Trotzdem begann ich die Wärme, die er ausstrahlte zu genießen und konzentrierte mich für einige Sekunden auf seinen intensiven Blick in meine Augen, der nichts anderes als Fürsorge ausstrahlte. 
"Hallo, Entschuldigung, aber darf ich vielleicht ein Bild mit dir machen?" ein kleiner Junge, den ich ein wenig älter als Nico einschätzen würde, tippte Marco schüchtern an. Als wir uns umdrehten warf seine Mutter mir ein warmes Lächeln zu. Ich tat es ihr gleich. Marco nickte direkt: "Natürlich.". Während er sich liebevoll um seinen kleinen Fan kümmerte drehte ich mich wieder Richtung platz und atmete tief aus. Man, irgendwann musste das Spiel doch mal starten, das kam mir doch sonst nicht so lange vor. Hinterher sterbe ich noch an einem Herzinfarkt, wenn das so weiter geht. Gegen meine unruhigen Nerven trank ich ein paar große Schlücke von meinem Bier. 

"Wahnsinn, einfach so viel Liebe und Stolz und Euphorie und einfach wahnsinnig geil!" schrie ich gegen die Menschenmasse an. Das Spiel war vorbei und endete mit einem 2:1 Sieg für uns. "Hab ich doch gesagt, oder?" grinste Marco überzeugt. "Ja du hattest recht, dass ist viel besser als da unten." nickte ich. Daraufhin zog ich ihn voller Euphorie in eine Umarmung: "Danke, dass du mir das gezeigt hast.","Sehr gerne, die Dame." zwinkerte Marco frech. Er behielt übrigens recht, denn warm wurde mir. Zwar nicht nur durch die Menschenmenge, sondern auch dadurch, dass sein Arm nicht von meiner Taille wich, es sei denn Dortmund hatte ein Tor geschossen, oder war kurz davor.



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