Nach einer erneuten kurzen und unbequemen Nacht auf dem Sofa, raffte ich mich widerwillig für die Arbeit auf. Ehrlich gesagt war ich froh darüber, dass Marco schon so seit einer Weile in England war. Auf das Einzige was ich in diesem plötzlich so großen, leeren Haus traf waren rote, angeschwollene Augen im Badezimmerspiegel, die ich nicht mal mehr versuchte abzudecken. Ich schmiss mich unwillig in die selben Klamotten wie gestern, schnappte mir meine Tasche nachdem ich in meine mittlerweile ausgelatschten Chucks schlüpfte und machte mich dann auf den Weg nach Brackel.
Glücklicherweise war es so sonnig, dass es nicht auffiel eine fette Sonnenbrille zu tragen, um die Spuren von letzter Nacht verdecken zu können. Ich schaffte es nur mit Mühe und Not in mein Büro. Dort setzte ich mich an den Schreibtisch und legte direkt das Bild von Marco und mir auf Ludwigs Taufe mit der Vorderseite auf den Tisch, sodass ich es nicht mehr ansehen musste. Dort waren wir gerade mal für ein paar Minuten zusammen und doch so unglaublich glücklich. Ich fragte mich, wann genau das verloren gegangen war. Wenn ich an unseren ersten Kuss auf dem Weihnachtsmarkt dachte, musste ich grinsen vor Freude und das Gefühl, dass er mir von Anfang an gegeben hatte umschwärmte mein Herz.
Seufzend legte ich nach einigen Minuten dann doch den ganzen Papierkram bei Seite und widmete mich wie schon so oft in den letzten Tagen den Wohnungsannoncen im Internet. Auch wenn Marco mir noch in einem Nebensatz klar machte, dass er nichts dagegen hatte, wenn ich dort erstmal wohnen bleiben würde, war mir klar dass es so nicht funktionieren konnte. Schließlich war er gerade nur testweise dort und kam natürlich auch irgendwann wieder. Spätestens dann hielt ich es in diesem Haus gar nicht mehr aus. Es führte mir jedes Mal vor Augen, wie sehr ich ihn vermisste. Zurück zu meinen Eltern wollte ich auch auf keinen Fall, jetzt wo mein Vater bald langsam aber sicher die Spezialklinik in Leipzig verlassen durfte, brauchte er Ruhe. Außerdem fiel es mir schwer, einfach so in mein altes Leben zurück zu kehren. Schließlich ist so viel passiert, dass es gar nicht mehr mein altes Leben sein konnte, sonder ein ganz neues schon längst begonnen hatte. Genau eine Wohnung in der Nähe des Phönixsees gefiel mir auf den Bildern ganz gut, weshalb ich mich für eine Besichtigung dort bewarb.
Gerade als diese abgeschickt war, klingelte mein Telefon. Ich sollte Helmut auf dem Platz beim Training helfen. Vor wenigen Wochen noch hätte ich mir das nicht zwei Mal sagen lassen, heute jedoch wäre ich am liebsten wie Speedy Gonzales davon gerannt. Aber es half nichts. Ich setzte mir also die Sonnenbrille wieder auf die Nase und machte mich auf den Weg.Irgendwann beim Zuschauen spielte ich nervös mit meinem Ringfinger herum. Erst jetzt bemerkte ich, wie oft ich dies tat, um mit meinem Verlobungsring zu spielen. Das konnte ich jedoch vergessen, denn den hatte ich erstmal vor Wut umgehend in die dazugehörige Schachtel geschmissen und diese ganz hinten in meinen Klamotten versteckt.
"Bist du nicht ganz fit?" fragte Mario neben mir, als das Training beendet war. "Wie bitte?" rutschte es mir heraus. Marco hatte hundertprozentig niemanden was von England und unserer Trennung erzählt, was es mir bloß erschwerte. "Hab Schnupfen." log ich schnell. Mario nickte: "Wie war es die letzten Tage in der Uni?","Alles gut, wie immer." sagte ich kurz angebunden. Wenn der wüsste, dass ich die Uni geschwänzt hatte, weil ich mir lieber die Augen ausgeheult hatte unter der Sofadecke, wäre Marco direkt fünf Köpfe kürzer gewesen. Ich wollte ihm jedoch seine Zeit in England nicht vermiesen. "Ich freue mich schon darauf wenn Marco diese ganzen Werbekampagnen fertig gedreht hat und dann wieder kommt für das Training der Nationalmannschaft für die EM-Qualifikation." Ich runzelte die Stirn. PR-Kampagnen? War das Marcos Ernst? "Wann beginnt denn das Training?" vergewisserte ich mich scheinheilig. "In fünf Tagen. Sag mal hast du noch Hochsommer?" lachte er und nahm mir die Brille von der Nase, bevor er mir nachdenklich musterte. "Hast du geweint Bella?","Nein, nein. Ich sagte doch ich habe Schnupfen." log ich erneut und machte mich umgehend vom Acker.
Ein bisschen Glück hatte ich dann doch. Die Wohnung war schon fast vollkommen möbelliert außer ein paar Kleinigkeiten wie ein Bett und ein Sofa. Sie war auch sehr offen, hatte große Fenster und aus der Not heraus unterschrieb ich fast direkt den Mietvertrag, jedoch bat ich den Vermieter dann doch ihn mir nochmal zuzusenden. Da sie eh leer stand durfte ich sogar eher als zu Monatsbeginn einziehen. Es erleichterte mich enorm, obwohl es mir alles andere als leicht fallen würde auszuziehen und Marco hinter mir zu lassen. Aber anscheinend hatte er mich schon längst hinter sich gelassen. In fünf Tagen würde ich das wohl schaffen meine Sachen zu packen und raus zu sein, bevor Marco wiederkam und dann konnte ich ihm auch perfekt aus dem Weg gehen.
"Mats kannst du ein Geheimnis für dich behalten?" fragte ich meinen Cousin leise, als ich ihn vom zweiten Training abholte. "Klar" nuschelte er mit einem halben Salatbrötchen vom Bäcker nebenan im Hals. Mir fiel es unglaublich schwer die passenden Wörter über die Lippen zu bekommen. "Marco hat sich von mir getrennt bevor er gegangen ist, weil er nach England wechseln möchte. Behalte das bitte für dich." ratterte ich kurz und schmerzlos herunter. "Er hat was?" brüllte Mats aufgebracht nachdem er laut schlucken musste. Ich schenkte ihm ein trauriges Lächeln. "Der hat ja wohl den Schuss nicht gehört. Er wollte dich doch heiraten. Der ist bei mir unten durch!" fuhr Mats fort. "Kannst du mir morgen Abend helfen meine paar Sachen aus dem Haus zu bekommen? Er kommt die Tage wieder und dann wollte ich gerne schon weg sein. Ich kann es nicht ertragen ihn zu sehen.","Natürlich. Das ist nicht das Einzige, dass ich tun werde. Dem werde ich gehörig den Marsch blasen, wenn er für die Nationalmannschaften seinen Arsch wieder nach Dortmund kutschieren lässt. Deswegen schläfst du auch schon seit Tagen auf dem Sofa, richtig?","Richtig, ich kann das einfach nicht mehr." Mats umarmte mich fürsorglich. Ich war ihm echt dankbar, denn ihm war es möglich mich durch seine Wut wenigstens etwas aufzuheitern.Auch wenn mein Plan in der Theorie perfekt funktionierte, ging er in der Praxis leider nicht auf. Drei Tage später trat ich unwissend auf den Trainingsplatz wegen ein Paar Angelegenheiten für die Sozialen Netzwerke des Vereins, da stand Marco plötzlich vor mir. Mein Herz erstarrte förmlich in diesem Moment. Ich war mir sicher, dass es für mindestens 7 Sekunden nicht mehr schlug. Als unsere Blicke sich trafen, konnte ich nicht anders, als direkt wieder zu gehen. Das ging aber nicht ohne ihn nochmal wütend anzublicken. "Bella! Warte bitte!" hörte ich nur laut hinter mir als eine Hand fest mein Handgelenk umgriff. Natürlich war es Marcos. "Warum sollte ich?","Ich möchte mit dir reden. Es ist sehr wichtig, bitte.","Ich kann nicht Marco.","Bitte.","Sag mal verstehst du es nicht? Wenn ich jetzt auch nur ein weiteres Wort von dir Höre, muss ich direkt anfangen zu heulen wie ein Schlosshund. Du, mein Fels in der Brandung, hast mich so verletzt ich habe kaum mehr Luft zu atmen übrig, während du irgendwo in England herum hüpfst und dann verlangst du auch noch von mir mit dir zu reden?". Marco musterte mich, bevor er mir erschrocken in die Augen starrte. Meine Schmerzen und die gleichzeitige Sehnsucht nach seiner Nähe und nach seinen Lippen überschlugen sich, während der Stille, in mir. Sein Blick wurde umgehend weich, er biss sich auf die Lippen und nickte leicht: "Es tut mir unglaublich leid Bella, ich-." hauchte er unerwartet und leise, bevor er abbrach und komischerweise stürmisch den Flur verließ. Dabei wurde ich zurück gelassen. So gerne hätte ich alles wieder in Ordnung gebracht, dass alles wie früher wurde, doch danach sah es momentan leider überhaupt nicht aus. Und jetzt?
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Optimist
FanfictionNachdem die heute 20 jährige Dortmunderin Isabella ihre Schule beendete, fiel sie für einige Zeit in ein tiefes Loch. Sie war umgeben von schlechten Gedanken, Stress und Kummer. Ihre Eltern konnten diesen Zustand nicht mehr unterstützen und so gerie...