Kapitel 58

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"Bist du fertig?" fragte Marco mich am Abend. Ich stand vor dem Spiegel und musterte mich unzufrieden. Meine Lieblingsjeans wollte einfach nicht zugehen. So ein scheiss Teil. Meiner Meinung nach sah ich jedoch kein bisschen anders aus. Zu allem Frust legte Marco plötzlich von hinten seine Arme direkt um meinen Bauch. Ein wenig unwohl stöhnte ich auf und brachte ihn dazu, sie wieder von mir zunehmen. "Was ist los?" fragte er irritiert und legte sie direkt wieder wie selbstverständlich um meine Körpermitte. "Mensch Marco, merkst du nicht dass mir das gerade unangenehm ist?" maulte ich genervt. "Wieso das denn?" fragte er verständnislos während sein Daumen ständig meinen Bauch kraulte. "Was machst du da?" fragte ich sauer. Wenn er jetzt noch darauf herumreiten würde, dass meine Hose nicht mehr zugehen würde, dann- "Irgendwie ist dein Bauch total aufgebläht. Hast du ein Foodbaby?" fragte er frech grinsend. Obwohl ich wusste, dass er es wahrscheinlich als einen Scherz ansah, verletzte es mich trotzdem: "Hast du mich gerade indirekt fett genannt?" fragte ich entsetzt. Marco starrte mich mit hoch gerissenen Augenbrauen an: "Ja wahrscheinlich, Bella!" lachte er ironisch. Okay, in diesem Moment hatte er das Fass zum Überlaufen gebracht. Sauer, aber vor allem wortlos, schlüpfte in eine lockerere Hose in die ich aufjedenfall noch herein passte und begab mich ohne ein weiteres Wort nach unten ins Auto.
Während der Fahrt zur Bar, in der wir uns mit Mario, Julian, Sarah und Ann-Kathrin trafen, redete ich immer noch kein Wort mit ihm. Natürlich bemerkte ich die verzweifelten Seitenblicke die er mir hin und wieder zuwarf, aber ich war irgendwie total sauer auf ihn. Obwohl das gar nicht meine Art war, denn eigentlich lachte ich immer zusammen mit Marco über solche Scherze. Das gleiche dachte er sich wahrscheinlich in diesem Moment auch. Mir half nicht mal wie sonst meinen Verlobungsring zu beobachten, so sehr war ich in Rage. Auch wenn ich mich vielleicht ein wenig in die ganze Sache hineinsteigerte. Meine Idylle war innerhalb weniger Tage zerstört, das hatte ich ja mal wieder super hinbekommen. Innerlich klopfte ich mir selbst auf die Schulter.
"Was guckst du denn so grimmig?" fragte mich Sarah, als ich mich stumm neben sie und Ann-Kathrin setzte. Sie saßen glücklicherweise schön weit von Marco entfernt. "Marco hat mich eben fett genannt." murmelte ich mürrisch und schlürfte an dem Getränk, dass sie mir reichte. "Wie, er hat dich fett genannt?" hakte Ann-Kathrin Stirn runzelnd nach, ihre Hand lag unterstützend auf ihrer Babykugel und streichelte sie, das hatte sie sich in letzter Zeit total angewöhnt. Ich verdrehte meine Augen: "Er hat jetzt nicht direkt fett gesagt, aber er hat gesagt mein Bauch wäre aufgebläht, weil meine Lieblingshose irgendwie nicht mehr zu ging. Aber das allerschlimmste war, dass er dann gefragt hat, ob das ein Foodbaby wäre, dabei habe ich heute kaum was gegessen." erklärte ich. Irgendwie hörte sich das alles dumm an. Wieso streitete man sich wegen so etwas belanglosem? Sarah und Ann-Kathrin warfen sich vielsagende, aber für mich nichtssagende Blicke zu. Aufeinmal riss Ann-Kathrin mir förmlich den Cocktail aus der Hand. "Bist du bescheuert?" fragte ich entsetzt und griff sauer nach dem Getränk. Schon wieder tauschten Sarah und Ann-Kathrin diese Blicke aus. "Könnt ihr mir jetzt entweder sofort mein Getränk wieder geben oder sagen was ihr für ein Problem habt?" fragte ich geladen, während Ann-Kathrin und ich gleichzeitig das Cocktailglas in der Hand hielten. "Naja, was ist wenn das Übergeben nicht vom Stress kam, sondern weil du ganz eventuell vielleicht irgendwie schwanger bist?"
Für mich brach in diesem Moment eine kleine Welt zusammen. Warum musste mein Glück denn bitte immer direkt von nicht passenden Ereignissen zerstört werden? Ich und ein Kind? Dieses Thema wurde mir mittlerweile zu viel. Erst auf Marcos Geburtstagsfeier, jetzt hier. Ich fühlte mich mal wieder wie ins kalte Wasser geschmissen. Mir war heiß und kalt gleichzeitig und der Gedanke daran schnürte mir die Luft ab. Tausend Fragen schwirrten mal wieder in meinem Kopf herum. War ich wirklich schwanger? Und was würde ich machen wenn ich schwanger wäre? Wann hatte ich eigentlich meine letzte Periode? Ich war mir sicher, dass ich auf keinen Fall ein Kind jetzt in diesem Moment großziehen könnte mit nur 20 Jahren. Ich wollte doch erst mein Studium beenden, meine Zeit alleine mit Marco genießen und dazu wollte ich erstmal richtig anfangen zu leben, da hatte kein Kind platz. Zumindest gerade nicht. Noch nicht. Schon wieder fühlte ich mich erdrückt und wäre am liebsten aus der Situation geflüchtet. Als würde ich mir nicht schon genug Gedanken um meinen Vater machen. Ohne wirklich darüber nachzudenken stand ich von meinem Platz auf und flüchtete aus der Bar und damit schon wieder aus meiner Situation. Ich glich einem Reh mit extremen Fluchtreflexen, brauchte aber unbedingt frische Luft. In dieser Bar herrschte anscheinend ein unzumutbarer Sauerstoffmangel.
"Bella!" hörte ich Marco noch hinter mir her rufen, aber das hinderte mich nicht daran meinen Weg fortzusetzen. Kaum war ich dort, wurde ich auch schon von ihm eingeholt: "Bella, was ist in dich gefahren?","Was in mich gefahren ist? Ich bin vielleicht schwanger Marco!","Wie kommst du darauf?" fragte er noch ziemlich gelassen, was ich hysterisch ignorierte: "Und was mache ich dann? Ich möchte noch kein Kind. Ich schwöre bei Gott wenn du mich geschwängert hast, dann-","Dann was?" brüllte er plötzlich, als hätten ihn diese Worte gerade verletzt. Schockiert schaute ich ihn an, aber ich war so in Rage ich konnte nicht klar denken: "Dann hast du mein Leben zerstört! Marco ich bin erst 20 Jahre alt! Ich fange doch gerade erst an zu leben!","Was ist denn so schlimm daran mit mir ein Kind zu bekommen und groß zuziehen? Wir lieben uns doch! Wenn du mich liebst dann habe ich doch nicht dein Leben zerstört! Ich bin doch auch nicht alleine daran schuld, falls du wirklich Schwanger sein solltest! Warum möchtest du mich dann heiraten, wenn ich dein Leben mit einem Kind zerstöre?" Ich hatte ihn noch nie so in Rage erlebt. "Aber Marco" murmelte ich plötzlich leise, als ich realisierte was ich angerichtet habe. Er atmete einige Male tief ein und aus, um sich zu beruhigen. Auch fuhr er sich verzweifelt durch die Haare und trabte nervös auf einer Stelle herum. Ich wartete so lange bis ich mit meiner Schadensbegrenzung fortfuhr: "Es tut mir leid. Ich meinte das gerade nicht so. Natürlich zerstörst du mein Leben nicht. Du weißt selbst, dass ich durch dich erst hundertprozentig zu mir gefunden habe und glücklich geworden bin. Ich liebe dich über alles und will dich unbedingt heiraten. Ich hatte nicht einen Zweifel gehabt, als ich ja gesagt habe. Aber ich kann jetzt noch kein Kind bekommen. Nicht jetzt, irgendwann ja, aber nicht jetzt. Zu deiner Familie hast du doch selbst gesagt drei oder vier Jahre zu warten wäre in Ordnung für dich." meine Stimme war schwach, ich fühlte mich kraftlos aber vor allem machtlos und hatte überhaupt keine Lust auf Streit. Irgendwie erschien mir alles aussichtslos und vollkommen unnötig. "Ich weiß" murmelte er plötzlich leise. Ihm liefen sogar ein paar einzelne Tränen über die Wangen: "Ich habe einfach nur Angst, dass ich irgendwann zu alt dafür bin Kinder zu zeugen, wenn du bereit bist. Natürlich will ich dir Zeit geben und warten, aber irgendwann wird es immer unwahrscheinlicher. Ich bin fast zehn Jahre älter als du, Bella." hauchte er leise. So gerne hätte ich ihn in den Arm genommen, aber ich konnte nicht. Wie festgewachsen stand ich auf der Stelle. Das war das erste Mal, dass sich meine Zweifel, mit Marco zusammen zu kommen, bewahrheiteten. Als hätte ich es geahnt, wusste ich schon vorher, dass das Thema Kinder ein heikles in unserer Beziehung sein wird. Ich wusste nicht, dass sein Kinderwunsch anscheinend so groß war und fühlte mich ziemlich schrecklich. Wären wir nicht zusammengekommen wäre er höchstwahrscheinlich irgendwann wieder mit Scarlett zusammen gekommen. Die wäre bestimmt direkt dazu bereit gewesen Kinder zu bekommen. Jedenfalls meinte das Ann-Kathrin mal zu mir. Rein theoretisch konnte ich Marco gar nicht glücklich machen. Zum ersten Mal stellte ich nicht nur unsere Beziehung, sondern auch unsere Verlobung in Frage. Der Glücksschub der letzten Tage verflog und hinterließ keine einzige Spur. Unsicher was ich machen wollte, musterte ich Marco. Er schien am Boden zerstört zu sein. Ich konnte jetzt leider nicht wie beim letzten Mal einfach zu Mats nach München gehen und hoffen wenn ich zurück komme, alles hätte sich geregelt, denn ich musste mich dem stellen. Außerdem hatte Mats eigene, schlimmere Probleme im Moment. "Hast du mir einen Antrag gemacht, weil du mich liebst oder weil du dir davon erhofft hast, dass ich früher Kinder bekommen möchte?" fragte ich zitternd. Ich hatte eine riesen Angst vor seiner Antwort. Marco riss seinen Kopf umgehend hoch, ich hatte noch nicht einmal ausgesprochen und kam mit schnellen Schritten auf mich zu: "Nein, nein, nein! Das darfst du jetzt auf gar keinen Fall denken Bella! Ich liebe nur dich, und zwar vom ganzen Herzen. Ich will nur dich heiraten, weil ich dich liebe und nicht weil ich unbedingt umgehend Kinder möchte." antwortete er hastig und nahm mein Gesicht in seine Hände, dabei schaute er mir eindringlich in die Augen: "Jetzt höre bitte auf dir so einen Mist einzureden!" Aus meiner Schockstarre aufgewacht schlang ich langsam und vorsichtig meine Arme um ihn und genoss seine Wärme. Ich war froh und unglaublich erleichtert, dass er meine Frage direkt so energisch und zweifelsfrei beantwortete. Hätte er gewartet, dann wäre er sich nicht sicher gewesen und das hätte höchstwahrscheinlichst immense Auswirkungen auf unsere Beziehung gehabt. Sanft nahm er erneut mein Gesicht in seine kalten Hände, das ich zu diesem Zeitpunkt schon längst in seiner Halsbeuge vergraben hatte. Mit seinen Daumen trocknete er erst meine Tränen, bevor er daraufhin zum reden ansetzte: "Lass uns diesen komischen Streit jetzt bitte vergessen. Morgen besorgen wir einen Test oder fahren zum Arzt, um das abklären zu lassen. Vielleicht ist auch alles hier gerade umsonst, aber egal was morgen sein wird, wir stehen das natürlich ohne Zweifel zusammen durch. Ich liebe dich so sehr, ich würde immer auf dich warten." Ich nickte erleichtert, bevor er zärtlich meine Lippen küsste. "Können wir bitte nach Hause fahren Marco?" murmelte ich daraufhin erschöpft. Ich wollte nur noch ins Bett und mich an ihn kuscheln, um diese letzte Stunde verarbeiten zu können und eventuell zu vergessen. Glücklicherweise sah er es genauso und wir fuhren nach Hause. Gut, dass ich dieses Mal nicht weggelaufen bin vor meinen Problemen. Besser, dass Marco mich ohne Zweifel über alles liebte. Ich hätte nicht dankbarer sein können in diesem Moment. Trotzdem hatte ich Angst vor dem, was morgen passieren wird.

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