Kapitel 63

2K 64 10
                                    

Vorsicht! Es wird dir eventuell schwer fallen, dieses Kapitel zu lesen!


Es vergingen ein paar Tage. Erst lag ich Nachts stundenlang wach, doch es gab einen Gewissen Punkt in dieser Zeit an dem ich umdachte. Dann war ich halt früh eine Mutter. Ja und? Ganz fest hatte ich mir heute vorgenommen, Marco davon zu erzählen. Das dann doch Einiges so unerwartet  verlief, damit hätte ich nie gerechnet. Aber ich fange erstmal von vorne an.

Es war ein Dienstag. Den Tag davor hatte ich damit verbracht, einen blauen und einen pinken Babyschuh zu kaufen, zusammen mit einer Karte auf der ein "Vaterpass" abgebildet war. Ich war super aufgeregt. Am Dienstagmorgen entschieden wir drei uns dazu, Frühstücken zu gehen. Es war ein wundervoller Spätsommertag. Wir saßen draußen vor einen kleinen Café, aßen, tranken, lachten- aber das leider nicht lange. Um neun Uhr fünfundvierzig erschien der Name meiner Mutter zum ersten Mal auf dem Display meines Smartphones. "Komisch" murmelte ich verwundert. Die Jungs runzelten gleichzeitig ihre Stirn. "Was ist denn los?" fragte Marco irritiert. Ich zuckte mit den Achseln: "Mama hat gerade angerufen, aber auch direkt wieder aufgelegt." erklärte ich. "Dann ruf sie lieber zurück." wendete Mats ein. Ich nickte und tat dies umgehend, aber keine Antwort. "Geht sie nicht dran?" fragte Marco, nachdem ich seufzend mein Handy wieder auf den Tisch legte. Es tutete einmal, dann zweimal, irgendwann zählte ich das zwölfte Mal und legte auf. Dieses komische Gefühl der letzten Tage wurde plötzlich viel stärker als sonst. Als hätte Mats gerade das Selbe gedacht fragte er: "Wollen wir nicht lieber eben dort vorbei fahren?" mich erleichterte sein Gedanke. Doch im selben Moment dachte ich an die Babyschuhe und die Karte die in meiner Handtasche verstaut waren. Ich konnte nicht länger warten, hatte es Marco schon so lange verschwiegen und so getan als wäre nichts. Er hatte doch da Recht von seinem Glück zu wissen und vor allem bei der ersten Untersuchung morgen Nachmittag dabei zu sein. "Bella?" hakte Marco nach. Ich musste es wohl erneut zurück stellen. Meine Eltern waren in diesem Moment viel wichtiger. Mit einem flauen Gefühl stieg ich in den Wagen von Marco ein, nachdem wir unser Frühstück bezahlten. Die sieben Minuten Fahrt waren für mich nicht auszuhalten. Nervös wackelte mein rechtes Bein auf und ab und ich kaute an der dünnen Haut an meinem linken Zeigefinger,- eine dumme Angewohnheit mit der ich eigentlich schon mit sechzehn aufgehört hatte. Wir fuhren gerade in die Straße, da machte sich ein Krankenwagen mit Blaulicht und Martinshorn direkt auf der Höhe meines Elternhauses auf den Weg. Unsere Kinnladen klappten herunter. Mittlerweile war es zehn Uhr. Meine kauerte auf der zweiten Stufe des Haustüreingangs, dort wo sie mich früher immer beobachtete, wenn ich als Kind im Garten spielte. Marco hatte noch nicht mal angehalten, da riss ich die Autotür auf und stürmte auf sie zu: "Mama! Was ist passiert?" brüllte ich noch auf dem Weg zu ihr, wie von selbst wurden meine Beine schneller und schneller mit jedem Schritt. Mit Tränen überströmten Gesicht schaute sie zu mir hoch. Ich nahm sie erstmal in den Arm. In Gedanken betete ich, dass es nichts allzu schlimmes war, doch die Angst schnürte mir die Luft ab. Ich spürte plötzlich Marcos warme Hand auf meiner Schulter, die er beruhigend rieb. Als ich mich von ihr löste, hörte ich ihre Worte wie durch einen Tunnel: "Dein Vater hatte höchstwahrscheinlich einen Herzinfarkt." ohne Kontrolle rollten mir die Tränen über die Wangen. Ich musste daran denken, wie schrecklich wir uns vor seinem ersten Zusammenbruch gegenseitig Verhalten hatten, schämte mich dafür und fragte mich warum ich nicht einfach meinen inneren Schweinehund dazu überreden konnte, mit ihm früher zu reden. Ihn früher um Verzeihung bitten, egal ob ich überhaupt Schuld hatte oder nicht. Es war schließlich egal. Alleine das Vertragen hätte gezählt in diesem Moment. Aber so war es nicht, es war jetzt schlimmer, viel schlimmer. Gleichzeitig fragte ich mich, warum ich nicht noch mehr darauf bestand, dass er zum Arzt ging. Schließlich wusste ich, dass etwas nicht stimmte. "Bella, Schatz? Hörst du mich?","Huh? Ja, was ist denn?" murmelte ich erschrocken und schüttelte mich kurz. "Mats und deine Mutter sind schon im Auto, wir fahren jetzt direkt ins Krankenhaus zu deinem Vater." erklärte er. Ich hatte wohl komplett ausgeschaltet: "Was ist mit dem Training? Das ist doch wichtig." Er richtete sich im Nu auf und reichte mir seine Hand. Sie war warm und zitterte kein bisschen. Er war gefestigt und dafür war ich ihm dankbar. Auch wenn ich wusste, dass es ihm genauso nahe ging, war es gut das wenigstens einer von uns einen kühlen Kopf bewahrte. "Jetzt guck mich nicht so zögerlich an und erzähl so einen Müll. Wir sind fast verheiratet, natürlich lasse ich dich jetzt nicht alleine. Vor allem nicht wenn es um deinen heißgeliebten Vater geht." sagte er streng. Ich lächelte ein kleines bisschen. Marco küsste meine Lippen zwar ganz kurz, aber es war trotzdem intensiv: "Komm mein Schatz, ich bin bei dir du brauchst keine Angst haben. Dein Vater ist stark.".

Zwölf Uhr dreizehn. Immer noch kein einziges Wort der Ärzte. Wir saßen in einem Warteraum. Es war zum Haare ausreißen. Dazu war es still, unangenehm still. Das schlimmste aber, waren die Sorgen die man sich machte. Ich war aufgebracht, hatte Schuldgefühle, machte mir Vorwürfe und zusätzlich enormen Stress. So viel, dass ich schon Bauchschmerzen bekam. Hin und wieder hörte man Mats oder Marco seufzen. Meine Mutter saß einfach nur wortlos und ohne sich zu bewegen auf ihrem Stuhl. Meine Gedanken waren überall Ich befand mich in einem Schockzustand, es war alles so stressig und ich wusste nicht wohin mit mir und diesen tausenden Gedanken. 

Mein Vater bekam in der früh plötzlich Atemnot und Schmerzen in der Brust. Es schien wohl genauso gewesen zu sein wie damals bei meinem Opa. Man sagt, dass Herzinfarkte vor dem 60. Lebensjahr oft auch vererbt wurden, zumindest die Anfälligkeit. Er war wohl schon seit ein paar Tagen sehr unruhig und beklagte sich über Übelkeit. Morgens nach dem Frühstück, klagte er schon über Schmerzen, die meine Mutter direkt ernst nahm. Sie hatte wohl schon eine Ahnung und genau das gleiche komische Gefühl wie wir. Der Arzt sagte das mein Vater einen Hinterwandinfarkt hatte und es nicht klar war, wie und ob er nach der Operation durchkommen würde und auch, dass mein Vater höchstwahrscheinlich die ganze Zeit unter Herzryhthmusstörungen litt und der andere Arzt es nicht herausgefunden hatte. Ich zweifelte stark an der Kompetenz von ihm. Besonders Mats war außer sich. Wie ein aufgescheuchtes Reh, bewegte ich mich die ganze Zeit im Raum. Ich lief von einer, zur anderen Ecke, während meinem Vater ein Stent gesetzt wurde. Marco musterte mich währenddessen kritisch, aber auch tierisch besorgt. Ich konnte es in seinen Augen sehen. Mir war heiß und kalt gleichzeitig, mein Bauch verkrampfte sich schon seit Stunden und ich war unruhig. Meine Sorgen fraßen mich innerlich mal wieder auf. "Ich kann hier nicht die ganze Zeit herumsitzen, ich muss kurz raus." murmelte ich irgendwann und verließ umgehend den Raum. Frische Luft, das war in diesem Moment mein Ziel. "Warte Bella! Ich komme mit." rief Marco plötzlich durch den Flur. Ich verzog schmerzvoll mein Gesicht und stützte mich direkt auf seinem Arm, als er mich erreichte. Es fühlte sich so an als hätte sich mein Krampf im Bauch mit einem Mal gelöst. "Was ist los?" fragte er panisch, während ich nur schmerzerfülltes Gesäusel los werden konnte. Ein paar Sekunden lang schauten wir uns in die Augen, bis Marco mich von oben bis unten musterte und seine Augen immer größer wurden. Ich hatte ihn noch nie so besorgt und schockiert gesehen: "Bella, du - äh- du blutest, da also- da unten" stammelte er nach ein paar Sekunden Gedenkzeit. Diese Worte waren ein extremer Stich in mein Herz. Nein, nein, nein. Bitte nicht. Ganz langsam schaute ich an mir herunter. Unter meinem kurzen, gestreiften T-Shirt Kleid an meinen Innenschenkeln war tatsächlich Blut, sogar nicht wirklich wenig, aber hätte ich eine Jeans an, hätte man es kaum bemerkt. Ich wurde panisch, als mir das Bild vom positiven Schwangerschaftstest vor meinem inneren Auge erschien: "Marco wir brauchen einen Arzt!" sagte ich schockiert langsam und heulte kurz darauf laut los. Marco verstand mich nicht ganz: "Jetzt komm runter Schatz und beruhige dich. Vielleicht hast du einfach gerade überraschend deine Periode bekommen. Wir gehen auf die Toilette und du machst es sauber, das ist doch nichts schlimmes, das-","Nein! Ich brauche einen Arzt!" unterbrach ich ihn und heulte weiter. Noch immer schaute Marco mich eindringlich an, die Angst spiegelte sich förmlich in seinen Augen wieder und er suchte in Gedanken nach irgendwelchen Gründen die mein Verhalten erklären würden. Ich seufzte, nein schluchzte laut auf und atmete kurz darauf wieder tief ein: "Marco! Du verstehst es nicht. Ich bin Schwanger! Der Test vor ein paar Tagen, der war positiv und ich konnte es dir einfach noch nicht-" als hätten diese Worte einen Schalter in seinem Kopf umgelegt, warum sollten sie auch nicht, unterbrach er mich mindestens genauso hysterisch wie ich ihn zuvor. Er zog mich, so sanft es in Rage eben ging, zum Schalter der sich glücklicherweise in unmittelbarer Nähe befand und fragte die Krankenschwester panisch nach Hilfe.
Es war mittlerweile kurz vor fünf. Sechzehn Uhr zweiundfünfzig. Marcos eindringlichen Blick würde ich nie in meinem Leben vergessen. Das was ich ihm vielleicht angetan hatte auch nicht. Hoffentlich hatte ich ihm nicht gerade das Vaterglück für wenige Sekunden geschenkt, welches sich nun in unglaubliche Trauer verwandeln könnte. Warum konnte man nie das haben, was man im Endeffekt eigentlich haben wollte? Für das man sich entschieden hat oder das man liebt? Ich hatte unglaubliche Angst.

OptimistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt