Kapitel 62

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Ich fühlte mich erleichtert als diese Worte endlich aus mir heraus platzten. Jedoch wartete und wartete ich auf eine Reaktion von Marco. Ängstlich davor, dass er schockiert war obwohl ich eigentlich etwas ganz anderes erwartete, schaute ich zu ihm hoch. Er schlummerte plötzlich tief und fest vor sich hin, mit einem kleinen Grinsen auf dem Gesicht. Super, da brauchte ich zig Minuten um mich dazu zu überwinden und dann bemerkte ich nicht einmal, dass er währenddessen schon schlief wie ein Murmeltier. Ihm war es nach dem harten Training aber irgenwie nicht zu verübeln. Zum Glück waren ab morgen die schlimmen Tage seiner Verletzung endlich gezählt. Hoffentlich konnte er das alles morgen mit einem Tor krönen. Schließlich war er immer noch der alte. Trotzdem schlummerte dieses Geheimnis noch in mir. Wenn ich Mats morgen früh abholen würde, musste das unbedingt ohne Marco sein. Wie sollte ich es Marco denn jetzt erzählen? Ich war mir unsicher und zusätzlich auch noch ziemlich verzweifelt, was die ganze Sache anging: Ich und ein Kind, mit nur 20 Jahren? Das kam mir einfach so subtil vor. 

Am frühen Samstag morgen, es waren jetzt schon über 20 Grad, fuhr ich in Marcos Mercedes zum Flughafen um meinen Cousin abzuholen. Ich freute mich richtig auf Mats. Gut, dass wir uns damals wieder eingekriegt haben ansonsten wäre ich echt aufgeschmissen gewesen. kurz nach dem er aus dem Gebäude kam, packte er seine Taschen in den Kofferraum und setzte sich auf die Beifahrerseite. Ich grinste ihn nüchtern an: "Hi, wie war die Weltreise?", Mats musste lachen: "Wie immer anstrengend.","Wo hast du denn meinen Ludwig gelassen?","Der ist bei Cathy." Mats und Cathy steckten mittlerweile im Scheidungsprozess und wohnten getrennt. Irgendwie tat sie mir schon leid, sie war lange ein Teil der Familie und ich habe sie total lieben gelernt, aber das was sie Mats angetan hat ging gar nicht. Wir fuhren in Richtung Gartenstadt zu meinen Eltern. Immer wenn ich hierher fuhr wurde ich ein wenig emotional, weil ich mir so sorgen um meinen Vater machte. "Wie geht es denn Micha denn mittlerweile?", fragte Mats mich, als hätte er gerade meine Gedanken gelesen. "Ich weiß es nicht genau. Wir telefonieren jeden Tag, aber ich habe das Gefühl er wird immer schwächer. Es kriegt ihn nur keiner zum Arzt und solange er so schwach ist kann er nicht arbeiten gehen. Mama und Papa leben sich auch deswegen auseinander." seufzte ich. Mats runzelte die Stirn: "Ich habe ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache.","Und ich erst. Wer weiß, vielleicht bekommst du ihn ja überredet." lächelte ich. "Und wie hat Marco auf deine erfreulichen Nachrichten reagiert?" fragte er gerade heraus, während ich die Handbremse von Marcos Coupé ein wenig zu hoch zog. Dafür bringt er mich mit Sicherheit um. "Ich äh- wollte es ihm echt sagen- aber als ich es dann endlich herausbrachte war er irgendwie tief am schlummern und hat es nicht mehr mitbekommen." Mats gab mir diesen einen Blick. Ich schmunzelte: "Du glaubst gar nicht wie schwer mir das fällt. Ich wollte schließlich noch kein Kind." und wurde immer leiser. Mats rieb mir über den Rücken: "Das kriegen wir auch noch hin.".
Der Anblick meines Vaters schockierte uns beide. Er war blass, seine Wangen waren eingefallen, er sah im Gesamten mindestens zehn Jahre älter aus als zuvor. Auch Mats konnte ihn zu nichts überreden. Ich hatte Angst um ihn, genauso wie Mats hatte ich ein super schlechtes Gefühl und das schon seit Tagen. Ich war mir unsicher, ob er sich einfach nur gehen ließ und er noch geschwächt war oder ob es womöglich etwas sehr ernstes war, was dahinter steckte.

Im Stadion angekommen, holte Mats sich erstmal ein Bier, bevor er neben mir Platz nahm. Fast hätte ich vergessen, dass ich selbst ja gar keins trinken durfte. Irgendwie war mir schon den ganzen Tag flau im Magen. Ich musste mich echt zusammenreißen und wusste nicht ob das vom ständigen Nachdenken oder vom Baby kam. Eigentlich versuchte ich sogar, alles zu verdrängen wenn ich ehrlich zu mir war. Ich hatte einfach keine Kraft mehr dafür übrig, in meinen Gedanken ständig über die selben Fragen nachzudenken. Zwar wusste ich, dass es mir besser gehen würde, sobald ich mit Marco darüber reden konnte, jedoch fiel es mir unglaublich schwer. "Hi ihr zwei! Mats ich wusste gar nicht, dass du wieder in Dortmund bist!" grinste Ann-Kathrin plötzlich hinter uns. Nach einer komischen und sehr umständlichen Umarmung zwischen Sitzreihen und ihren riesigen Babybauch, begann ich zu erzählen: "Er ist erst seit heute morgen hier." Ann-Kathrins Augen wurden groß und eins musste man an dieser Stelle sagen, sie mag zwar manchmal extrem paddelig sein, aber für diese Sachen hatte sie einfach einen siebten Sinn: "Der Test war positiv, oder?" flüsterte sie daraufhin. Ich nickte: "Aber sag es nicht Mario, Marco weiß nämlich noch nichts davon." Plötzlich schlug sie mir gegen den Arm: "Du hast mir doch versprochen, dass du dich sofort meldest, Du Esel!"
Wenigstens lohnte es sich, nicht Marco geweckt zu haben. Er war von Anfang an zu hundert Prozent da und zeigte dem Stadion auch genau das. Marco schoss ein Tor mit dem Assist von Mario, der das zweite mit Marcos Assist schoss. Wie konnte es anders sein? Ann-Kathrin und ch jubelten unseren Männern zu, waren natürlich stolz wie bolle, deswegen bestellte Ann-Kathrin auch direkt in der Halbzeitpause einen Tisch für fünf Personen im Lieblingsrestaurant der Jungs um den Sieg gebürtig zu feiern. Für mich war es gut, dass ich erstmal nicht alleine mit Marco war. Nur so hatte ich genug Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich ihm von der Schwangerschaft erzählen könnte und mir zu überlegen, wie ich damit auskomme in der Zukunft.

"Bro, da bist du ja wieder! Wir wussten gar nicht, dass du uns die Ehre erweist!" die Jungs umarmten sich zur Begrüßung vor dem Restaurant. "Wenn ich schon verletzt bin, kann ich wenigstens meine Zeit sinnvoll nutzen." lachte er. 
"Bella, alles klar? Wir haben uns heute noch gar nicht richtig gesehen." flüsterte Marco am Tisch in mein Ohr und küsste mich. Ich lächelte: "Ja es ist alles gut, ich war heute total im Stress." erklärte ich. Er nickte. "Ich bin stolz auf dich." grinste ich und küsste ihn nochmal. Auch er grinste wie ein Honigkuchenpferd: "Das Tor war für dich." scherzte er daraufhin. Wir kicherten. Ich liebte diesen Mann so schrecklich doll. Es zerriss mir das Herz, dass ich mich nicht so über das Baby freuen konnte, wie er es können würde, wenn er es denn wüsste. Ich musste es ihm sagen, ich fühlte mich schrecklich und alles machte mir solche Angst, ich wusste aber nicht mal warum genau ich Angst hatte. Deswegen konnte ich auch den eigentlich lustigen Abend nicht so genießen, war abwesend, in meinen Gedanken versunken und brauchte stundenlang zum Essen. Ehrlich gesagt ging ich mir schon selber auf den Sack und das musste definitiv ein Ende finden.

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