Kapitel 4

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Die nächsten Tage zogen, leider, rasend schnell an mir vorbei.
Ehe ich mich versah war Freitag. Natürlich hatte ich versucht zu verdrängen, dass Samstag schon der große Geburtstag von Norbert auf diesem Party-Schiff sein würde.
Unglücklich saß ich an diesem eigentlich schönen, herbstlichen Freitagmorgen also an meinem Schreibtisch und vervollständigte Akten für meinen Vater auf dem Computer. Noch schlimmer war, dass heute noch lange kein Feierabend in Sicht war. Wie es auch anders sein konnte, stand beim BVB heute das 20:30 Uhr Heimspiel auf dem Plan und dann auch noch gegen Schalke. Was ein Ausnahmezustand das Derby doch immer ist. Ich hoffte ehrlich gesagt, dass die Jungs gewinnen würden. Ansonsten würde die Party heute Abend schrecklich werden. Als echte Dortmunderin konnte ich gar nicht für die blauen sein. Insgeheim freute ich mich nämlich für die Jungs, dass sie bis jetzt ihre weiße Weste behielten und Tabellenplatz 1 vereinnahmten mit einer unglaublichen Stärke.
Natürlich hatte ich bis jetzt noch keine Ahnung, was ich anziehen sollte, um auf morgen zurück zu kommen. Wann war ich eigentlich das letzte Mal auf so einer Veranstaltung gewesen? Mein Abiball? Und der war schon 1,5 Jahre her und seit dem hatte ich alles vermieden, was ich hätte meiden können. Das schlimmste aber war, das ich Marco am Dienstag zusagte, seine dämliche Begleitung zu spielen. Bestimmt hatte jede andere Frau außer mir, die einigermaßen Grips hat, auch verstanden wie arrogant er war und deswegen war auch ich sicherlich sein letzter Notnagel, damit er nicht mit leeren Händen dort auftauchen würde. Ich könnte mir jetzt noch in den Arsch dafür beißen und durchschauen konnte ich sein Vorhaben bis jetzt immer noch nicht, aber an diesem Abend fand ich ihn ehrlich gesagt sehr charmant und attraktiv.

Erschrocken schüttelte ich meinen Kopf. Das dachte ich gerade nicht wirklich, oder?

Um auf mein Problem zurück zukommen - meine Zusage für seine bescheuerte Frage bereute ich unglaubliche zwei Sekunden danach, als ich den schwarzen Aston Martin sah, mit dem er an mir vorbei fuhr. Was für ein alter Proll mit Bonzenkarre.

Genau eine halbe Stunde später stand ich wie die letzten Tage auf dem Platz gegenüber von Roman und schoss wie eine Wilde Bälle in Richtung Tor. Mein Vater beobachtete das ganze kritisch. Romans Hand musste schließlich komplett intakt sein für das Spiel heute Abend, kaum auszudenken was passieren würde, wenn die Schlümpfe auf deren heiligen Boden gewinnen würden. 

So viel Sport wie in den letzten Tage habe ich schon lange nicht mehr gemacht. Wenn ich früher nicht gespielt hätte, hätte ich das hier auch niemals getan. Schon jetzt blamierte ich mich ja erbärmlich vor den Profispielern mit meinen schlappen Schüssen. Da sie sich gleichzeitig auf ihr letztes Training vorm Derby vorbereiteten und sich warm machten, konnten sie die Scheiße die ich fabrizierte auch noch live mit ansehen.
"Sag mal Papa, warum können denn die Anderen Bälle aufs Tor schießen, warm machen müssen sie sich doch eh?" dachte ich laut und schaute ihn dabei vorwurfsvoll an. "Schieß doch endlich!" rief Roman gleichzeitig und ich stöhnte innerlich genervt auf. "Nee, du musst jetzt mal kurz warten!", brüllte ich überfordert. Dabei machte ich, ohne es zu bemerken, wohl ein paar Schritte nach rechts. Plötzlich wurde ich von einem sehr hart geschossenem Ball am Hinterkopf getroffen und fiel unglücklich vorne herüber. 

Toll, dachte ich mir. Jetzt auch noch sowas. Wenn ich heraus finden würde wer das war, der kann sich auf etwas gefasst machen. Mein Vater auch, was dachte der sich eigentlich dabei?
"Was ist passiert?","Ich glaube sie ist bewusstlos!","Hilf ihr doch mal auf!","Scheiße, das wollte ich gar nicht."."Sag mal Marcel, wie bist du eigentlich Profifußballer geworden?","Wie ging denn nochmal diese komische Seitenlage?","Man Marco rede nicht so 'nen Mist und hole lieber Wasser oder was zum Kühlen.","Micha ist schon los","Nein, ruf lieber einen Krankenwagen."."Ist ja nicht so, dass hier genug Fachleute rumrennen, Roman. Pff, Krankenwagen wegen einem Ball. Nicht dein Ernst!".
Mit einem schmerzvoll verzogenem Gesicht riss ich genervt meine Augen auf und rieb mir den Hinterkopf. "Ihr könntet mal langsam weiter trainieren, oder gibt es hier was umsonst?" murmelte ich dabei sauer. "Alles klar?" fragte mich plötzlich Marco von der Seite, der sich anscheinend zu mir herunter hockte. Ein Anderer schmaler blonder, eigentlich ganz süßer Kerl hockte genauso vor mir. "Ja." antwortete ich simpel und kann mir einen ungläubigen Blick zur Seite nicht sparen, so überrascht wie ich von der plötzlichen Fürsorglichkeit war. Mario begann leise zu kichern. Spätestens jetzt stand die ganze Mannschaft neugierig um mich herum. "Sorry, ich wollte dich nicht umhauen.", meldete sich der blonde vor mir zu Wort. "Wow Schmelle, du hast es echt geschafft, daraus noch einen Anmachspruch zu formulieren.", bemerkte André kopfschüttelnd. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen: "Schmelle?" wiederholte ich irritiert. "Was ist das denn für ein dämlicher Name?", lachte ich laut. Marco neben mir gluckste leise und aus Marios kichern entwickelte sich ein herzhaftes Lachen, während mich dieser Schmelle ein wenig verdattert anglotzt. 
Inzwischen kam mein Vater, woher auch immer, wieder und reichte mir ein Kühlpad und Wasser. "Tja, sorry Roman, aber wie du siehst bin ich schwer verletzt und deswegen gebe ich meine geliebte Aufgabe jetzt vertrauensvoll an Schmelle weiter, das ist das mindeste was er für mich tun kann, für's Erste jedenfalls." verkündete ich grinsend und wurde bei meinem raschen Versuch aufzustehen von Marco und Mario unterstützt. "Ja klar." lachte Schmelle nun und reichte mir seine Hand: "Ach ja, ich bin übrigens Marcel.".

Fast schon hektisch floh ich vor den Jungs in Richtung Personaldusche. Man, war mir das peinlich. Nach einer heißen Dusche zog ich mir eine lockere, hellblaue und sehr ausgefranzte Jeans an und dazu einen lockeren weißen Wollpullover. "Endlich raus aus diesem komischen BVB-Shirt, fürs Erste jedenfalls." murmelte ich nachdem ich alles in meine Sporttasche schmiss und wieder auf den Weg nach draußen war, zu meinem Vater. Schließlich war ich ja eigentlich zum Arbeiten da. Kurz vor der Tür nach draußen wurde ich von Mario abgefangen: "Wie geht's dir?","Mario dein ernst?", fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen und einem minimalen Schulterzucken. Spätestens als sich sein lächeln in ein breites Grinsen verwandelte wurde mir klar, was er von mir wollte. "Hab gehört du gehst mit Marco zu Norbert's Party?"."Äh ja, irgendwie schon." sagte ich leise und gehe an ihm vorbei. "Gut, dann komm doch vorher mit ihm zu uns, also mir und meiner Freundin Ann-Kathrin. Ein paar andere aus der Mannschaft sind auch da, aber weibliche Unterstützung fehlt meiner Frau immer."."Muss das sein?"."Ja, Marco holt dich ab bevor er zu mir fährt.". Kurz darauf waren wir schon draußen, ohne das ich auch nur ein Wort gegen sein Vorhaben sagen konnte. Er zwinkerte er mir noch zu und trabte dann auf den Platz. Irritiert blieb ich stehen und schaute ihm hinterher: "Kann der jetzt nicht mal mehr für sich selbst sprechen?","Wer kann nicht für sich selbst sprechen?" fragte mein Vater plötzlich neben mir und leitete mich mit einer Hand auf dem Rücken zur Trainerbank, auf der Favre zusammen mit seinem Team die Mannschaft akribisch beobachtete. "Geht es dir besser?" fragte Papa kurz darauf, als ich mich schwungvoll auf den Sitz pflanzte. "So ziemlich, habe nur etwas Kopfschmerzen.","Verständlich.".

Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in diesem Stadion war, aber es ist immer wieder ein tolles Gefühl. Besonders mal wieder ein Derby aus der Nähe anzusehen war schon immer mein Traum. Dick eingepackt, natürlich in einer Jacke vom BVB selbst, wie könnte es auch anders sein, sitze ich also erneut neben meinem Vater, um mir ganz gelassen das Spiel ansehen zu können. 

Pünktlich um halb neun hörte das Stadion und alle vor dem Fernseher das Pfeifen der Trillerpfeife und der Ball begann energisch über das Feld zu rollen, natürlich direkt im Besitz der schwarz-gelben, die direkt offensiv zu spielen begannen. Bis zur Halbzeit funktionierte das auch relativ gut, aber dennoch mit guten Torchancen für die Schlümpfe. Besonders beeindruckend war das Kopfballtor von Mario in der 30. Minute, obwohl ich glaubte, dass es zufällig entstand, sah es definitiv nicht nur bedacht, sondern auch ganz sehenswert aus. Das lag aber auch an der guten Vorbereitung von Julian Weigl, seine Flanke war echt maß genau. 
Bis zum Abpfiff zur 1. Halbzeit hatte sich Dortmund einen guten Puffer von 2:0 ausgebaut, welches nach Guerreiros Ballannahme nach einem abgeprallten Schuss, präzise von ihm ins lange Eck geschossen wurde. Das Abwehrverhalten der Schalker war echt desolat.

Die zweite Halbzeit war weniger intensiv, wenn nicht sogar langweilig für ein Derby. Die Schlümpfe stellten sich unglücklich an, versuchten Schadensbegrenzung zu betreiben, scheiterten bestimmt drei oder viermal letztendlich bei Bürki. Es begann etwas chaotisch zu werden, Kehrer handelte sich eine Gelbe ein, da er harsch ins Duell mit André gegangen ist. Aber auch die Borussen handeln sich hier und da eine gelbe Karte ein, Sokratis hält ungeschickt den Fuß gegen Naldo drauf und Marco platzierte unabsichtig seinen Stollenschuh auf das Bein von Burgstaller und handelte sich damit auch eine Gelbe ein, über die er sich heftig ärgerte. 
Außer einem Wechsel hier und da, passierte nichts erwähnenswertes. 

Bis Marco einen etwas vor zuhaben schien. Aus dem Hinterhalt startete er einen Angriff, der sich sehen lassen konnte. Natürlich war dieser wie erwartet drin.

Der Abpfiff nach satten 5 Minuten Nachspielzeit, erlöste die erschöpften Spieler und löste Euphorie bei uns, und Frustration bei den Gästen aus.

Hach, war das schön. Irgendwo ging nach diesem Sieg dann doch mein schwarz-gelbes Herz auf. Das Stadion tobte und die Jungs feierten sich natürlich massig.

Auf dem Weg in die Kabinen zwinkert der durchschwitze Marco mir zu, zugegeben er sah trotzdem extrem gut aus. Roman kam kurz darauf auch auf mich zu, bedankte sich sogar für das extra Training: "Sag mal, was himmelst du Marco so an? Den findest du doch sonst auch unausstehlich." lachte er irritiert. "Angehimmelt? Ich? Den? Nie im Leben!" versuchte ich, seine Aussagen wegzulachen. Er schaute mich schon beinahe erleichtert an und grinste: "Wollte schon sagen." und verschwand zum Glück in der Kabine. Schlau daraus wurde ich nicht, wie immer.

Zurück zu Hause schmiss ich mich zuerst in gemütliche Klamotten, bevor ich nochmal nach unten ging, um Wasser zu holen. Unerwartet unterhielten sich meine Eltern noch in der Küche.
"Bella morgen Abend machen wir uns gegen 20 Uhr auf den Weg, du hast ja frei.". Ich fühlte mich wie ins kalte Wasser geschmissen. Erzählt von meinen eigenen Plänen hatte ich bis jetzt noch nicht. Wann denn auch? Ich unternahm in der letzten Woche mehr als in den letzten 2,5 Jahren.
"Ja, da sagt ihr was." begann ich schließlich und kratze mich nervös am Hinterkopf. "Ich wurde von Marco Reus - ich, äh, sollte ihn begleiten und irgendwie habe ich dann ja gesagt, er holt mich ab um halb 7 und dann fahren wir zu Mario." grinste ich verzweifelt. Die beiden schauten mich baff an. Meine Mutter hörte sogar auf zu husten, um meinen Worten folgen zu können. "Ach so, okay." murmelte sie und unterdrückte ganz klar ein Grinsen. "Mich freut es, dass du dich so gut zurecht findest auf der Arbeit und Freunde findest.", grinste mein Vater. "Ja sicher." faselte ich schnell, schnappte mir das Wasser und sprintete hoch in mein Zimmer, um mich endlich ins Bett legen zu können.

Gerade als ich die Augen zwei Minuten geschlossen hatte ertönt das lautes Piepen meines Smartphones.

Nummer Unbekannt:
"Übrigens, mein Anzug morgen ist dunkelblau ;)"





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