Kapitel 6

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Am nächsten Tag, Sonntag, wachte ich auf und wusste erstmal nicht im welchem Jahrhundert ich mich überhaupt befinde, so tief habe ich geschlafen.
Mein Griff nach meinem Handy auf dem Nachttisch links von mir ging ins leere. Fast schon panisch tastete meine Hand den Nachttisch ab. Wieder nichts. Stöhnend raffte ich mich auf und versuchte mich auf dem Weg zum Fenster daran zu erinnern, wo ich es gestern Nacht hingelegt habe. Während ich dann die Rolladen hochziehe, traf mich fast der Schlag. "Nein bitte nicht!" seufzte ich Lautstark. Natürlich musste ich meine Tasche und Jacke gestern in Marcos Auto lassen. Wie peinlich. Was mache ich denn jetzt? Ich kann mich jetzt ja nicht mal bei ihm melden. Und eigentlich will ich das auch gar nicht.
Von einer Dusche konnte mich mein Verlust trotzdem nicht abhalten.

Ungefähr eine Stunde später, es war inzwischen schon sage und schreibe halb fünf, ließ ich mich dann frisch geduscht, mit trocken geföhnten Haaren, in bequemer Jogginghose und engem Langarmshirt, unten blicken. "Na von den Toten auferstanden?" lacht mein Vater in der Küche laut. Meine Eltern waren solche Menschen die Nachmittags Kaffee trinken mussten mit Kuchen und allem drum und dran. Ein wenig halbherzig murmelte ich ein "Ja" und schmiss die Kaffeemaschine mit einem zufriedenen Lächeln an. Danach setzte ich mich auch an den Tisch und schaute das erste Mal so richtig in die Runde. Marco saß gegenüber von mir und räusperte sich peinlich berührt. Mit großen Augen verschluckte ich mich an meinem heißen Kaffee. Bilde ich mir das jetzt ein oder ist der wirklich da? So wie ich aussah, wollte ich echt nicht, dass er mich sieht. "Marco wollte dir deine Sachen vorbeibringen, nachdem Training heute Vormittag hat er gemerkt, dass sie noch in seinem Auto sind und dann habe ich ihm Kaffee angeboten.", erklärte mein Vater und klopfte mir auf den Rücken. "Achso, Hi" räusperte ich mich. "Hi" antwortete er langsam und leicht verwirrt. "Und ähh, danke natürlich auch." fügte ich leise hinzu und er nickte bloß lächelnd. Die Stimmung war ganz mies.
Ich konnte mich nicht davon abhalten ihn zu beobachten. Er saß dort wie immer selbstbewusst. Seinen linken Fuß lässig auf den rechten Oberschenkel gelegt, ungemachte Haare und trotzdem erwachsen, locker und irgendwo ganz tief in ihm drin sogar charmant. Kam das gerade von mir? Was denke ich da eigentlich für einen Stuss? Insgeheim war mir klar, dass er spätestens morgen wieder arrogant und egoistisch in Dortmund-Brackel auf dem Platz steht. So viel ist sicher.

Nachdem mein Vater wegen eines Telefonats aus dem Zimmer hechtete, herrschte erneut diese peinliche Stille zwischen uns, genau wie gestern im Auto. Komisch, manchmal scheinen wir auf einer Wellenlänge zu sein und im nächsten Moment haben wir gar keine Ahnung worüber wir reden sollten. Außerdem, was verstand das Universum eigentlich an BVB-Pause nicht? "Wie kamst du heute morgen bitte aus dem Bett, um Fußball zu spielen?" fragte ich schließlich, weil ich keine Lust mehr auf dämliches Anschweigen hatte. "Ich bin das gewohnt und Frühaufsteher.". Er grinste und kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Ich nicht." murmelte ich bloß und trank den letzten Schluss Kaffee aus. "Ich merk's.","Nimm's nicht persönlich.","Ne, ne keine Sorge.". Ich nickte zufrieden. "Scheinst eh ziemlich optimistisch zu sein, was?","Joa, wieso auch nicht?","Weiß nicht, bin überhaupt kein Optimist.","Ich weiß.","Wie du weißt es?","Ist mir schon öfter aufgefallen". Ich sah, dass er innerlich grinsen musste: "Deswegen bist du manchmal auch so biestig!", sprudelte es lachend aus ihm heraus. Schockiert klappte meine Kinnlade herunter und ich begann zu Stammeln: "Ich... äh... bies- was?","War nur ein Spaß, das macht dich interessant." zwinkerte er. Biestig? Hatte er mich gerade echt biestig genannt? Meine Augen durchlöcherten Marcos schockiert. Hellgrün waren sie, mit einem Touch goldbraun, das seine Pupillen umspielten. Sie hatten etwas wohliges an sich, waren aber gleichzeitig auch wirklich schön und ich war mir sicher, man könnte jede Emotion in ihnen sehen, wenn er es denn zulassen würde. Langsam aber sicher, wurde mir bewusst wie makellos er eigentlich ist.
Bin ich denn wahnsinnig geworden? Ich schüttelte plötzlich meinen Kopf. Dieser Blickkontakt hatte eindeutig zu lange gedauert. "Na dann, frag doch nächstes Mal jemand Anderen, der dich begleitet." pfiff ich gespielt gelassen und schnappte mir meine Sachen, die alle ordentlich auf dem Tisch platziert waren: "Wir sehen uns dann." schob ich noch hinterher und verschwand nach oben.

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