Kapitel 84

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Um so anzufangen wie immer: Es war der nächste Morgen.

Bloß war es diesmal nicht irgendein nächster morgen. Es war der Morgen, mein Morgen, unser Morgen: Der Morgen meiner Hochzeit.

Manuela kam ganz früh, es war quasi noch dunkel draußen, in Marcos altes Kinderzimmer in dem ich bekanntlich nächtigte und riss die Vorhänge und Fenster ohne zu zögern auf. Ein kalter Luftstoß zog durch den Raum und verursachte Gänsehaut auf der Seite meines Beins, die wie immer außerhalb der Bettdecke verweile musste. "Aufstehen!" grinste meine Schwiegermutter von Ohr zu Ohr und wackelte erwartungsvoll mit ihren Augenbrauen. Ich zog meine Augenbrauen hoch: "Warum denn so früh?" murrte ich. Andere Bräute wären höchstwahrscheinlich bereits auf den Beinen, aber ich war wie immer die Ruhe selbst. "Weil deine Eltern schon da sind, du Frühstücken solltest und die Stylistin und Brautjungfern und dein Trauzeuge schon in einer knappen Stunde auf der Matte stehen." lachte sie kopfschüttelnd. Ihre Hände hatte sie in die Hüften gestemmt und nickte mit ihrem Kopf in Richtung Tür: "Hopp, hopp!","Ja ja, bin unterwegs.".

Tatsächlich schaffte ich es dann, mich aus dem Bett zu schälen. Während ich die Treppen herunterstapfte fragte ich mich tatsächlich, wie Marco und ich so kurzfristig diese Hochzeit zustande bringen konnten. "Guten Morgen Schätzchen." grinste mein Vater stolz. Meine Mutter lächelte jetzt schon ergriffen. Ich umarmte sie zur Begrüßung. "Mama, bitte nicht jetzt schon heulen.","Sagst du jetzt Bella! Du wirst später die erste sein, die heulen wird. Wetten?" lachte Papa amüsiert. Ich zog skeptisch meine Augenbrauen hoch: "Wetten nicht?" antwortete ich frech. Doch er sollte recht behalten und tief im inneren war es mir bewusst.
Der frühe morgen zog so schnell an mir vorbei, dass ich kaum mit dem Frühstück fertig war, als Mats schon mit Sarah, Ann-Kathrin, Yvonne, Melanie und Vera in der Tür stand. Während die Weiber noch ähnlich aussahen wie ich, und zwar wie ein durch den Dreck gezogener Wischmopp, war Mats schon auf's Feinste herausgeputzt. Er sah echt toll aus. Wir beide lächelten uns zu. Die Hektik brach dann aus, als die Stylistin mit ihrem Team kam. Keiner wollte zuerst dran sein, aber auch keiner zuletzt, bis es mir zu bunt wurde: "Ich gehe freiwillig als letzte, aber macht hinne jetzt, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!" drängte ich. Mats brach in schallendem Gelächter aus: "Da hat wohl jemanden die Nervosität gepackt." bemerkte er, als er sich neben mich stellte und seinen Arm über meine Schulter legte. Ich lachte mit ihm: "Vielleicht ein wenig. Ich will endlich, dass es jetzt losgeht." murmelte ich.
Während ich dann als letzte fertiggemacht wurde, wurde mir von Minute zu Minute mulmiger zumute. Am liebsten hätte ich mich jetzt schon wieder mit irgendeinem Fusel zugekippt, Aber Manuela und meine Mutter passten auf wie Füchse, damit ich gleich nicht auf meiner eigenen Hochzeit betrunken war. Das war vielleicht auch besser so. Meine Gedanken kreisten irgendwann nur noch um Marco. Ich konnte es einfach nicht fassen. Wie sehr ich Marco doch liebte, wie sehr er mir den Kopf verdreht hatte damals und ich es einfach nicht einsehen wollte, dass ich ganz viel für ihn Empfand. Aber ich war froh, dass ich es irgendwann eingesehen hatte. Nur durch ihn war es mir möglich zu wachsen, erwachsen zu werden. Ja, irgendwie hatte er mich befreit aus meinem tristen Leben und es mit knalligen Farben gefüllt. Ich wollte nicht wissen, was ich ohne ihn heute wäre. Meine ganze Haut war plötzlich von einer Gänsehaut überzogen und ich musste Grinsen. Danke Herz, dachte ich. Danke, dass du stark genug warst und dich über meinen Kopf gestellt hast. Alle Hürden haben wir überwunden und egal welche noch kommen würden, die würden wir mit Sicherheit auch noch auf uns nehmen. Diese Notlüge die ich meinem Vater vor gut einem Jahr um die Ohren haute, hat mein Leben nicht nur auf den Kopf gestellt, sondern gerettet.
"Du siehst wunderschön aus." schniefte plötzlich meine Mutter, als ich in das große Wohnzimmer schreitete. Mein Kleid passte wie Maßgeschneidert und meine offenen, leicht aus dem Gesicht gesteckten Wellen passten perfekt zu diesem "unaufwändigen" Brautlook den ich anstrebte. Unter meinem Kleid verborgen hatten sich natürlich meine heißgeliebten weißen Converse anstelle von der Alternative der hohen Hacken. Wie konnte es auch anders sein? Sehen konnte man sie so oder so nicht. Mats räusperte sich: "Und ist der Brauch auch erfüllt?" Ich schaute meinen Cousin erwartungsvoll an: "Welcher Brauch?" fragte ich erschrocken. "Hast du etwas Altes, Neues, Geborgtes und Gebrauchtes an?","Was ist das denn für ein Quatsch? Und was soll mir das bringen?" lachte ich ausgelassen. Mein Vater klärte mich kopfschüttelnd, aber dabei sanft lächelnd auf: "Na, das Alte steht für die Dauerhaftigkeit einer Beziehung, das Neue für den neuen Anfang, das Geborgte dafür, dass man sich immer auf den anderen verlassen kann und das Blaue steht für Reinheit und Treue." Ich runzelte meine Stirn. "Mit dem gebrauchten und blauen kann ich aushelfen!" schreitete mir Ann-Kathrin plötzlich zur Hilfe. Ich grinste. Triumphierend hielt sie ein hellblaues Strumpfband in die Höhe: "Problem gelöst! Das habe ich von Marios Mutter bekommen auf unserer Hochzeit." grinste sie und half mir, es anzuziehen. Alle nickten sich daraufhin zu und strahlten mich an. "Kann es losgehen?" fragte mich mein Vater. Ich nickte heftig mit eingesogenen Lippen.

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