Kapitel 37

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Es war mitten in der Nacht, als ich von lautem Donner geweckt wurde. Hellwach stand ich auf und schloss schnell das bodentiefe Fenster in Marcos Schlafzimmer, damit der Regen nicht herein strömte. Um ihn nicht zu wecken schnappte ich mir mein Smartphone und tapste im dunkeln die großen Stufen der Treppe hinunter, um mich auf das Sofa zu setzen. Nachdem ich eine der Stehlampen anknipste, schaute ich zum ersten Mal seit ein paar Tagen auf mein Handy und erschreckte mich von den ganzen Nachrichten. Schon komisch, wie das Verhältnis zu meinem Vater so abrupt abbrach, nur weil ich jetzt einen Freund hatte. War das normal? Von ihm bekam ich jedenfalls keine einzige Nachricht, dafür von meiner Mutter. Wahrscheinlich würde ich momentan einfach nur erwachsen werden und mich von ihm abkapseln. Schließlich war ich schon immer ein Vaterkind und das durch und durch. Nur noch vage Erinnerungen hatte ich auch an mein eigenes Bett, wann hatte ich überhaupt das letzte mal darin geschlafen? Wochenlang nicht mehr. Ein komisches Gefühl. Momentan fühlte es sich nämlich irgendwie so an, als würde ich nirgendswo hingehören, lebte ständig aus meinem blöden Koffer und holte alle paar Tage mehr und mehr meiner Sachen von zuhause. Obwohl ich mich tierisch wohl bei Marco fühlte, machte ich mir momentan einfach so viele Sorgen. Sorgen über seine Verletzung, Sorgen über seine Gedanken, Sorgen darüber, dass ich mich momentan sehr wenig bei meinen Eltern und Sarah und Ann-Kathrin melden würde. Gut, dass Marco mir heute Mittag in den Arsch getreten hatte und mich dazu zwang, morgen früh mit Ann-Kathrin und Sarah mal wieder in die City zu fahren. Ich freute mich schon darauf. Ein schlechtes Gewissen, dass Marco in der Zeit alleine war hatte ich zwar, aber er meinte er akzeptiere kein nein. Geredet über den Vorfall vor ein paar Wochen hatten wir mittlerweile immer noch nicht. Manchmal, wenn ich mich daran erinnerte, löste der Gedanke ein Zwicken in meinem Magen aus. Dann stellte ich mir die Frage, ob ich da überhaupt noch drüber reden sollte oder ob es überhaupt noch notwendig war. Schließlich hatten Marco und ich eher andere Sorgen gerade, besonders er war doch noch ziemlich neben der Spur. Die Entscheidung dieses Thema hinten anzustellen erschien mir also durchaus plausibel. Aber da war ja noch das andere Thema. Das aktuellere, das was Marco sauer machen wird, nämlich dass ich mich dazu entschieden hatte mein Praktikum zu pausieren wegen ihm.

Als ich Ann-Kathrin am nächsten Morgen von ihrem gemeinsamen Haus, indem sie zusammen mit Mario lebte abholte, stand ich eine Zeit lang skeptisch in ihrem großen Wohnzimmer und wartete auf sie. Anscheinend war sie wie so oft einfach noch nicht fertig. Schließlich war sie die Modebloggerin schlechthin. Also würde ich im Winter mit einem creme farbendem kurzen Pullover herum rennen, bräuchte ich gar nicht erst versuchen das Wort "Erkältung" auszusprechen, denn die hätte ich innerhalb einer Millisekunde, so schnell würde mir die Aussprache des Wortes niemals gelingen. Dazu trug sie eine locker geschnittene Hose mit extremen Rissen drin. Auch die hochhackigen Stiefeletten und die auch kurz geschnittene Winterjacke würden sie nicht wärmen, das war klar wie Kloßbrühe. Shopping war dann heute wohl eher in der Thier-Galerie angesagt. Ich dagegen war das komplette Gegenteil in meiner blauen Skinny Jeans, die ich mit einem dicken weißem Pullover, meinem grauen Mantel und schwarzen Ankle Boots kombinierte. Zumindest war ich schon mal ne Nummer wärmer angezogen. Zur Not hatte ich sogar einen Schal mit. Aber dieses Thema mal beiseite, denn Ann-Kathrin schaute beinahe halb so deprimiert wie Marco es die letzten Tage tat und das sollte schon was heißen. "Hi du Trödeltante! Alles klar?" begrüßte ich sie und umarmte sie daraufhin kurz. "Ich bin etwas erkältet und mir ist übel, keine Ahnung warum." murmelte sie bedrückt. Ich zog die Augenbrauen rekordverdächtig hoch und setzte schon an, etwas zu bemerken jedoch wollte ich sie nicht für ihre Klamotten Auswahl anmeckern. Schließlich war sie alt genug. "Wir trinken gleich eine heiße Zitrone im Solo und dann geht's dir ganz sicher besser." heiterte ich sie grinsend auf und wedelte mit Marcos Autoschlüsseln vor ihrer Nase herum. Sie zog scharf die Luft ein: "Du darfst Marcos Karre fahren? Das durfte bis jetzt ja noch niemand von seinen Ischen!","Ich bin ja auch nicht irgend eine Ische, ich bin seine Freundin und wir führen eine sehr ernste Beziehung!" antwortete ich amüsiert. Daraufhin stiegen wir ins Auto, Sarah wartete bestimmt schon im Solo sehnsüchtig auf uns.

So war es dann auch. Nachdem Sarah uns begrüßte, wir eine gehörige Standpauke erhielten und das Thema Marcos Verletzung abgeschlossen war, widmeten wir uns gemütlich dem riesigen Frühstücksbuffet im Café. Ich hatte es schon damals geliebt. Apropos damals geliebt, ich war froh Tim noch nicht gesehen zu haben. Anscheinend arbeitete er heute glücklicherweise mal nicht, ich hatte echt keine Lust darauf, ihn zu sehen. Wenn es hier nicht so lecker wäre, würde ich hier ehrlich gesagt auch keinen Fuß mehr hier in die Tür setzen.
Gegenüber von mir saß Ann, auf ihrem Teller häuften sich nur so die Pfannenkuchen und der Ahornsirup gemischt mit Nutella. Das war nicht so meins ehrlich gesagt. Kein Wunder, dass ihr schlecht war. Sogar ich verzichtete heute auf mein morgendliches Ritual, das Nutellabrötchen und aß sogar ausnahmsweise relativ gesund. "Also Ann-Kathrin du hast wohl beim den Jahreswechsel alle deine Prinzipien über Bord geworfen, wie es scheint." lachte Sarah irgendwann laut, nachdem wir uns eher auf ihr Schlemmen konzentrierten, anstatt selber zu essen. "Wieso? Man muss sich doch auch mal was gönnen. Dafür macht ihr einen auf pseudogesunde stereotyp Spielerfrauen." konterte sie grinsend, sie sah aus wie ein übergewichtiger kleine Hamster durch das viele Essen, das sie beim Reden in ihren Wangen deponierte. "Das geht doch nicht. Ich wusste ja gar nicht, dass wir einen Rollentausch gemacht haben." haute ich lachend raus. "Jetzt lasst mich doch gefälligst in Ruhe essen!" zischte sie. Genau das taten wir auch nicht, dass wir beide gleich noch einen ihrer heißgeliebten Pfannenkuchen im Gesicht hängen hätten. Wir mussten sie ja nicht noch extra provozieren.
Mit den Mädels war es so ausgelassen wie lange nicht mehr. Ich war so froh, dass Marco mich dazu überredet hatte, etwas mit ihnen zu unternehmen. Er war der perfekteste Freund. Über das Wort Spielerfrau aus Ann-Kathrins Mund musste ich noch viel nachdenken auf dem Rückweg, so hatte man mich ja noch nie genannt. Ich hatte auch schon immer das Gefühl, dass dieses Wort einen sehr bitteren Beigeschmack hatte. Irgendwie gefiel es mir nicht wirklich so genannt zu werden, aber da müsste man einfach drüber stehen können, oder?

Gerade als wir das Café Solo verlassen wollten, rannte Ann-Kathrin unaufhaltbar zurück ins Gebäude. Was hatte die denn so plötzlich? Sarah dachte wohl das selbe, wir schauten uns nämlich mit dem gleichen verstörten Blick an nach dieser Aktion. Sie hielt sich so komisch den Mund zu, als müsste sie sich übergeben. - Kein Wunder wenn man bergeweise Zeug in sich hereinstopfte und dann auch so süßes Kram. Was hatte Ann- Kathrin denn bloß, sie war doch sonst nicht so?

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