Kapitel 75

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Am nächsten Tag wachte ich mit einem stark dröhnendem Schädel auf. Zugegeben, eventuell waren es ein bis zwei Getränke zu viel. Spaß machte es mir gestern Abend trotzdem und das, obwohl ich mich nicht mal mehr daran erinnern konnte, wie ich nach Hause kam. 
Mir machten die Kopfschmerzen deswegen überhaupt nichts aus. Müde stapfte ich die Treppen herunter und nur um unten auf dem Esstisch eine Aspirintablette in Wasser aufgelöst zusammen mit zwei Karten für das Heimspiel heute Abend vorzufinden: "Falls du Lust hast zuzusehen" zierte ein kleines Notizzettelchen. War ja klar, dass der Herr echte Konversationen vermied und versuchte über meine freie Zeit zu verfügen, genauso wie er von mir verlangte nach England zu ziehen. Man, ich war echt sauer auf ihn. Meine Wut steigerte sich dann auch noch enorm, als ein dicker England Reiseführer daneben lag und spürte, wie der dicke Kloß in meinem Hals noch weiter anschwoll. 
Ich überlegte angestrengt, wen ich überhaupt mitnehmen sollte ins Stadion. An Ann-Kathrin war gar nicht zu denken und mit Sarah hatte ich in letzter Zeit er weniger zutun. Alleine hatte ich jedoch keine Lust. Trotzdem musste ich mich wohl oder übel dazu zu überwinden, ohne Begleitung dort aufzukreuzen. Das würde mit Sicherheit langweilig werden. 

"Warum habt ihr beide jetzt schon wieder Streit, hm?" fragte Mats mit streng hochgezogenen Augenbrauen, als ich ihn in den Katakomben besuchte. "Wie kommst du denn darauf?" fragte ich scheinheilig. "Naja, ihr beide lauft mit dem gleichen elendigem Gesichtsausdruck rum und ich kenne euch nun ja nicht erst seit gestern." schmunzelte er. "Ach ist nicht so wichtig ehrlich gesagt." murmelte ich genervt. "Hört doch endlich auf euch wegen Kleinigkeiten zu streiten. Wie soll das denn erst werden, wenn ihr verheiratet seid?"

Während der BVB dann seinen Sieg gegen Fortuna verschenkte, dachte ich die ganze Zeit über Mats' Worte nach. Ich machte auf keinen Fall Stress wegen Kleinigkeiten. In ein anderes Land zu ziehen ist für mich keine Kleinigkeit, aber er hatte Recht. Wie sollte es denn erst werden, wenn wir Ehefrau und Ehemann wären? So langsam fragte ich mich, ob es überhaupt noch richtig wäre, ihn zu heiraten. Genau in diesem Moment spiegelte sich mein Ring im Sonnenlicht und blendete mich gleichzeitig ein wenig. Natürlich durfte ich die schönen Momente unserer Beziehung nicht vergessen. Wenn ich an diese dachte, wurde mir warm ums Herz und mein Bauch kribbelte wie verrückt. Für mich stand jedoch trotzdem irgendwie fest, dass ich einen klaren Schlussstrich ziehen musste, sobald er sich für England entschied, entschied er sich gegen mich. Ich konnte wirklich verstehen, das und warum er Blut geleckt hatte und plötzlich unbedingt in der Premiere League Fuß fassen wollte, aber das konnte er nicht von mir verlangen. Ehrlich gesagt konnte ich Marco dort auch nicht vor meinem inneren Auge spielen sehen. Wenn ich sah, wie er hier im Westfalenstadion mit erhobenem Hauptes auflief, so ein Ansehen von den Fans genoss und so eine wichtige Rolle für den BVB spielte nicht nur als Captain oder Spieler oder als Identifikationsfigur der Fans, sondern auch als menschlich alles zusammenhielt, und zwar ein Team , dass extrem stark war und allen, auch neuen Spielern den nötigen Rückhalt gab. Konnte man ihm so etwas auch in England bieten? Mit Sicherheit nicht. Also lief ich nach der Niederlage zurück zu meinem Auto. So passend wie noch nie begann es zu regnen. Der Tag war echt grottenschlecht. 

"Wo ist Marco?" fragte ich Mats, als der alleine nach Hause kam. Er selbst spielte natürlich noch nicht wieder mit, aber hat sich trotzdem alles von der Ersatzbank aus angesehen. "Ich glaube der geht dir aus dem Weg. Marco ist noch mit Mario etwas essen gegangen oder so. Ich habe es nicht ganz mitgekriegt.","Super, er hätte ja wenigstens bescheid sagen können. Dann hätte ich nicht so viel Essen gemacht." meckerte ich direkt los. Mats nickte nur und stellte seine Tasche in den Flur. "Rege dich nicht so auf. Mario kann schließlich auch nicht mehr so oft raus, seitdem der Kleine da ist.","Ja und?","Ja, lass ihm doch den Spaß.","Darum geht es doch nicht.","Nicht? "Worum denn dann?","Es geht darum, dass er mir aus dem Weg geht.","Das hast du aber auch schon gemacht.","Sag mal Mats, auf welcher Seite stehst du eigentlich? Was soll das?" fragte ich aufgebracht. "Auf keiner. Ich sage nur, egal was passiert ist lass ihm kurz seinen Freiraum und dann kommt er schon wieder an. Ich kenne Marco gut genug.","Schön, dass du ihn kennst! DU kennst ihn ja anscheinend besser als ich." motzte ich lauthals und starrte ihn sauer an. Mich nervte, dass er mich nicht unterstützen konnte. Generell nervte es mich, dass Marco mir aus dem Weg ging und ich nicht wusste wie es weiter gehen soll. Ich wollte, dass Marco sich entscheidet. Insgeheim wusste ich, seine Wahl wird auf die Karriere treffen und vielleicht war es auch richtig so, aber ich hoffte er würde sich für mich entscheiden. Ich wusste, dass ich Stur war und sehr radikal, aber sein Plan passte einfach nicht zu meinem. Ich war doch eigentlich noch so jung und musste erstmal für mich herausfinden, welchen Weg ich einschlagen würde. Mit allen diesen dummen Sachen die mir zwischendurch passiert sind hätte ich doch vor einem Jahr nie gerechnet. Bei der Entscheidung um mein Leben würde ich mir niemanden hereinreden lassen und ich werde mir vor allem von keinem sagen lassen, ich würde unnötig herum stressen. Ich war zwar jung, aber nicht dumm und auch ganz sicher nicht naiv. Also war meine Entscheidung ganz legitim und sobald ich Marco sehen würde, würde ich ihm direkt vor die Wahl stellen. Egal wie lange er mich meiden würde. Dann musste ich halt noch einige Tage warten, mit ihm zu reden, aber das war mir egal. Ich wollte ihm nicht hinterherrennen und ich war mir sicher, dass er das wusste und mich deswegen mied. Er wollte den Tatsachen einfach noch nicht ins Auge sehen, weil er mich liebte. Aber den Menschen den man liebt, musste man auch manchmal gehen lassen. Das war schon seit Jahr und Tag so. Liebe war eben manchmal nicht genug.

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