Ein Buch, so bunt wie das Leben

Liberalismus

Wir reden nicht von Anarchie,
wir sind bloß Liberale.(1)
Des Staates Polydaktylie(2)
begehrt, dass ich ihm zahle.
Der Bürger ist sich selbst gerecht,
vollbringt auch gute Taten.
Die Planwirtschaftler sind zu schlecht,(3)
im Fortschritt nur die spaten.

Sie bauen auf die Selbstheilkraft
des Marktes, der Gewissen,
dass Michel's von alleine schafft,(4)
sie ruhen auf ihrn Kissen.
Sie sind gesetzparanoid,
den Reichen blind sie trauen,
die Sünde in die Laster zieht,
auf Sandgewissen bauen.

Die Willkür und Detailgewalt
Beamter bleibt für immer,
des heißen Dämons Schreckgestalt
ein schwacher Sorgenschimmer.
Wer redet und mit Taten spart,
in Milch statt Honig badet,
der hilft der Welt auf seine Art,
indem er wen'ger schadet.

Den Zeitpfad zu dem Paradies
wir Seit an Seite gehen,
voll Freude, bis ein Auge ließ
den Grat uns vor uns sehen.
Es ist des Guten Gegenteil
das Nichts so wie das Schlechte.
Am schlecht Fels scheuert's Halteseil,
das Nichts ist seine Flechte.

Die Menschen wollen helfen nur
gedrückt oder gezogen.
Drum dies ist unser Erde Kur,
alls andre wär verlogen.
Erlösung, sie ist liberal,
das lässt sich leicht erkennen.
Doch liberi sind den' egal,
die liberal sich nennen.(5)

1) Liberale sind die, die in der Politik möglichst viel Freiheit wollen. Heute - und ich bin nicht liberal! - fordern sie weniger Regeln und Steuern, sowie mehr Privatisierung. Der Markt und die Bürger würden es schon regeln. Hinweis: Tun sie nicht.
2) Polydaktylie: Jemand mit Polydaktylie hat zu viele Finger an der Hand
3) In DDR und Sowjetunion setzte man darauf, alle Wirtschaft vom Staat aus zu steuern. Führte dazu, dass die Wirtschaft viel zu statisch, langsam und schwach war, und nicht auf den Verbraucher ausgerichtet.
4) Der deutsche Michel ist in Karikaturen die Personifikation des deutschen Volkes.
5) Wortspiel, lat.: libertas = Freiheit (eher weniger in Richtung Möglichkeit, die heißt licentia), liberi = Kinder

29. 08. 2019