Totenstadt

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Ich kann die stummen Geister hörn,
die um die Häuser streifen.
Sie fuhren eh, ich könnte schwörn,
auf schnellen Autoreifen.
Vergangen ist Geschwindigkeit,
doch wich sie nicht der Ruhe.
Vollkommnet ist im Tod ihr Leid,
ganz ohn eng Kleid und Schuhe.

Es gab zuweilen Tod und Mord,
gab Gaudi und auch Liebe.
Doch heute fällt kein liebes Wort,
kein bös', es gibt kein Hiebe.
Die einen abgefallen sind,
die anderen gegangen.
Umworben ward ein gutes Kind,
das dumme hatt' Verlangen.

Die Stadt kein Individuum
ist ehedem gewesen.
Sie war ein schmucklos oppidum,(1)
ein Faserteil im Besen.
So hässlich wie sie früher war,
so traurig ist sie heute.
Belebt hatt' sie die Menschenschar,
die anderen war Beute.

Das Städtchen war romantisch nicht,
doch Empathie macht traurig.
Ihm fehlt ein jede Form von Licht,
dass man es findet schaurig.
Man fühlte sich im Feuer kalt
der lang vergangnen Tage.
Doch seelentoter Steinewald
verneint die Flammenfrage.

Die Sonne flirrt, versengt die Haut,
doch keine innern glimmen.
Denn Seelen sind auf Sand gebaut,
in Strömen mit zu schwimmen.
Die Stadt, in ihrer Größe klein,
verblich zum Friedhof, ehe
gar gnädig alles stürzte ein,
dass ich kein Leichen sehe.

Ich rate dir, nicht wie so viel'
zur Totenstadt zu werden.
Das Leben ist nicht nur ein Spiel,
gebaut nicht fest auf Erden.
Denn Städters großes Geistesleid
wohl wird sich noch verschärfen,
wenn er sich will der Unfreiheit,
der Fordrung unterwerfen.

Verbaue deine Seele nicht,
vor Muster sie bewahre.
Ein jeder irgend mächtig Wicht
vergällt' sie dann zur Ware.
Wenn ehedem zum Ende hin
dein Pulver ist verschossen,
das Feuerblut vergossen,
dann siehst du: Es war ohne Sinn.

1) oppidum: lateinisch für eine (nicht zu große) Stadt

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