Die längste Nacht

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Getrennt sind wir von ihr, der einen,
die bietet uns das einzge Licht.
Wird an ei'm Tag die Sonne scheinen,
ich spüren Wärme im Gesicht?
Polarnacht heißen kürzer Spannen,
die wie der heutge Tag aus Nacht.
Dann schweigen schwärzer noch die Tannen,
was stillen Wald zum Friedhof macht.

Wie schwarz der Mutterleib gewesen,
so dunkel ist mein Leben auch.
Die Welt wird nie mehr wohl genesen,
noch steht der Tundra letzter Strauch.
Noch kann ich mühsam mich entsinnen,
wie ausgeschaut der müde Mond,
wenngleich wir nur mehr uns von innen
erleuchten, er woanders wohnt.

Gefrostet von der kalten Schwärze,
erstarrt, verödet, stirbt die Welt.
Was lebte, ward zu Eis im Schmerze,
der Wald so fad wie braches Feld.
Woher auch immer, was wir aßen,
wenngleich uns schlauester Verstand,
so alle Menschen doch vergaßen,
dass ohne Sonn nicht wär das Land.

Wenn unsichtbar die Freudensonne,
des Mondes wohlger Glaubensschein,
so bleibt doch ewig von der Wonne
die Hoffnung, brennen Kerzlein klein.
So jederzeit in tiefster Trauer
erwärmt uns ihre Zuversicht.
Sie brennen nieder nicht die Mauer,
doch leuchten dem, der sie zerbricht.

Es wird wohl nie mehr ganz verenden -
da sei dir wohlgetrost, gewiss:
Zum sonnig Tage wird's sich wenden,
was immer auch der Tod entriss.

Die Sonntag' kam' stets - wenn's so weit -,
die dunkle Dürste stillten.
Das Kleinste kann zu seiner Zeit
ein bunte Blüte bilden.
Und wie viel mehr ist, was uns bleibt,
was unsre Erd kann wahren.
Ein Keim bald wieder Blüten treibt,
nach noch so kargen Jahren.

3. 1. 2020

Ein Buch, so bunt wie das LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt