Kapitel 1

543 14 0
                                    

September 1993
Der Unfall war jetzt bald 2 Jahre her. Barby war damals nichts passiert und ich hatte auch überlebt, wenn auch nur knapp. Das Auto hatte mich damals voll erwischt. An mehr konnte ich mich nicht mehr erinnern. Das nächste, was ich wieder wusste, war, dass ich irgendwann wach wurde und Barby weinend meine Hand hielt und sich mein Körper komisch anfühlte. Mehrere Tage später wusste ich dann auch, was nicht stimmte. Das Auto hatte mich so erwischt, dass ich mehrere gebrochene Wirbel hatte und das Rückenmark beschädigt wurde. Seitdem war ich querschnittsgelähmt und spürte ab den Brustwarzen abwärts nichts mehr. Ich war ab sofort auf einen Rollstuhl angewiesen.
Heute würde ich das erste mal seit langem wieder auftreten. Ich war lange in Reha gewesen und hatte danach noch eine Weile auf dem Hausboot mit meinem Vater gelebt. Jetzt war ich soweit wieder fit, dass ich auf die Bühne konnte. Aber ich hatte schreckliche Angst und fühlte mich noch immer ziemlich hilflos. Momentan saßen wir alle noch im Bus. Ich saß im unteren Stock am Tisch. Das war einfacher für meine Geschwister, denn hier drinnen war es so eng, dass ich nicht mit dem Rollstuhl hereinkonnte und getragen werden musste. Das nächste Problem war, dass ich nicht gut aufrecht sitzen konnte. Im Rollstuhl hatte ich eine Rückenlehne, die mich auch seitlich stütze. Hier im Bus gab es am Tisch und oben jetzt jeweils eine Sitzschale für mich. Darin konnte ich angeschnallt werden, sonst rutschte ich bei jeder Kurve weg. Die Schalen konnten auch gedreht werden, damit ich besser hingesetzt werden konnte. Neben mir saßen Angelo und Maite und spielten mit mir Karten. „Paddy, du gewinnst schon wieder. Mit dir spielen macht gar keinen Spaß", motzte Maite. Ich grinste nur und streckte meiner kleinen Schwester die Zunge raus. „Wir sind gleich da, räumt mal euer Chaos hier auf", unterbrach uns Kathy, unsere älteste Schwester. Angelo seufzte und drückte mir alle Karten in die Hand. Ich packte alle in die Schachtel und Angelo und Maite räumten die Chips und die Gläser weg. Dann hielten wir auch schon an. Jimmy und Joey polterten mit Patricia und Barby, welche Sean auf dem Arm hatte, die Treppe herunter. John kam zu uns nach hinten. „Wir müssen uns beeilen, in 2 Stunden soll es losgehen. Wir gehen schonmal raus, Joey, du kommst mit Paddy nach", befahl mein großer Bruder. Alle nickten. Widerrede war bei ihm sowieso zwecklos. Alle liefen schnell nach draußen. Joey drehte meinen Sitz und löste die Gurte an meiner Brust und meiner Hüfte. „So, los gehts kleiner Bruder." Er drehte sich um und ging in die Hocke. Ich schlag meine Arme und seinen Hals und Joey hob mich hoch. Er trug mich aus dem Bus und direkt zu meinem Rollstuhl, den schon jemand bereitgestellt hatte. Joey setzte mich hinein. Ich sortierte rasch meine Beine und schloss den Gurt um meine Hüfte. „Komm, wir schauen mal, wie weit die anderen sind." Ich nickte und ließ mich von Joey zur Bühne schieben. Dort war hinten seit neuestem eine Rampe für mich, die aber so steil war, dass mich jemand schieben musste. Oben konnte ich dann allein zur Bühne, wohin ich jetzt auch rollte. „Kathy, soll ich was helfen", fragte ich meine große Schwester. „Ja, du musst mal probieren, ob du mit den ganzen Kabeln von deinem Mirko nach vorne kannst. Ach so, und versuch mal, ob du das Mirko zu dir runterbiegen kannst." ich nickte und manövrierte mich zwischen dem ganzen Chaos nach vorne. Dort musste ich mich ziemlich strecken, um das Mikro nach unten zu ziehen. „Kathy, so passt alles." „Gut, dann kannst du mir mal den kleinen Quälgeist hier abnehmen, dem ist langweilig", antwortete sie und schon hatte ich meinen kleinen Neffen Sean auf dem Schoß liegen, der sofort lachte, als er mich sah. Die anderen bauten weiter alles auf und ich kitzelte solange Sean durch.
Dann waren die anderen auch schon fertig und wir verschwanden alle hinter der Bühne. „20 Minuten haben wir noch, wer noch aufs Klo muss, geht jetzt", bestimmte Kathy. Jimmy wandte sich an mich „brauchst du Hilfe?" ich nickte und lies mich von Jimmy zum Bus schieben. Dort konnte ich mich in Ruhe katheterisieren, richtig aufs Klo konnte ich seit dem Unfall nicht mehr. Jimmy wartete draußen, bis ich nach ihm rief. Er kam sofort rein und trug mich nach draußen. Unterwegs schnappte ich mir noch einen Zylinder, der herumlag und setzte ihn auf. Sobald ich wieder im Rollstuhl saß, schob mich Jimmy eilig zur Bühne. Wir hatten nur noch 3 Minuten. Die anderen warteten schon. Als wir ankamen, betete Patricia noch schnell mit uns und dann ging es raus auf die Bühne.

Manchmal kommt alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt