Kapitel 17

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Paddy
Am nächsten morgen waren wir bereits am Hausboot angekommen und verließen den Bus. Ich freute mich schon so, denn hier konnte ich mich für ein paar Tage selbstständig fortbewegen. Nur um auf das Schiff zu kommen, brauchte ich Hilfe. So ließ ich mich von Jimmy in den Rollstuhl setzten und dann ins Boot schieben. Dort rollte ich direkt zu Papa. Er hatte bereits auf uns gewartet und saß am Tisch, der schon gedeckt war. Ich hielt direkt vor Papa an und er beugte sich zu mir nach vorne. Ich ließ mich in seine ausgebreiteten arme fallen und genoss die Nähe zu ihm. Nach kurzer Zeit tauchten auch meine Geschwister auf und wollten zu Papa. Er ließ mich los und ich kippte nach vorne. Ich hatte mich vorher zu weit nach vorne gelehnt und konnte mich jetzt nicht mehr aufrecht halten. Joey hielt mich sofort an den Schultern fest und zog meinen Oberkörper nach hinten. "Danke", murmelte ich und rollte zur Seite. Nachdem meine Geschwister auch alle Papa umarmt hatten, setzten sich alle. John schob einen Stuhl beiseite, sodass ich mit dem Rollstuhl an den Tisch konnte. Ein normaler Stuhl wäre mir zu wackelig gewesen. Aber das hatte immerhin den Vorteil, dass ich den Tisch selbst verlassen konnte, wenn ich wollte und nicht warten musste. Wir frühstücken alle zusammen, doch meine Gedanken wanderten ständig zu Lisa. Ich sah ständig ihre wunderschönen Augen vor mir. Ich würde alles dafür tun, dieses Mädchen wiederzusehen.
Da riss mich Kathy aus meinen Gedanken. „Paddy, nachher kommt Papas Arzt, der wird dich auch noch untersuchen wegen dem zittern in deinen Beinen." Ich nickte. „Ich gehe solange noch in mein Zimmer", meinte ich und stieß mich von Tisch weg. Dann rollte ich zu der Kajüte, die ich mir mit Angelo teilte. Wenigstens hatten wir hier jeder ein eigenes Bett, auch wenn die Betten sehr schmal waren. Ich stellte meinen Rollstuhl neben mein Bett und öffnete den Gurt an meiner Hüfte. Dann nahm ich meine bewegungslosen Beine und stellte sie auf den Boden. Danach lehnte ich mich zum Bett und rutschte darauf. Doch in dem Moment zitterten meine Beine wieder und ich konnte mein Gleichgewicht nicht mehr halten. Ich rutschte ab und landete mit einem dumpfen Plumps auf dem Boden. Ich hing zwischen Bett und Rollstuhl und hatte keine Chance, mich irgendwo hochzuziehen. Zum Glück hatten meine Geschwister den Lärm gehört und Jimmy und Barby kamen angerannt. „Paddy!", rief Barby, als sie mich auf dem Boden sah. „Mir geht es gut, ich bin nur abgerutscht und komme nicht allein wieder hoch", sagte ich und merkte, wie meine Wangen rot wurden. Jimmy bückte sich kommentarlos und hob mich aufs Bett. Dort kippte ich sofort zur Seite und schlug mir noch beinahe den Kopf an. Barby schlug sich die Hände vor den Mund. „Barby, alles in Ordnung. Mir geht es gut", beruhigte ich sie. Barby nickte mit großen Augen und legte meine Beine aufs Bett. Ich drehte mich mühsam auf den Rücken und starrte den Lattenrost von Angelos Bett über mir an. Barby und Jimmy merkten, dass ich nach diesem Zwischenfall nicht reden wollte und verließen mein Zimmer wieder. Kaum dass die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, liefen mir die Tränen herunter. Mir war das so peinlich gewesen. Nicht mal allein in mein Bett konnte ich. So würde mich sowieso nie ein Mädchen wollen. Ich sollte mir Lisa aus dem Kopf schlagen. So ein Mädchen wie sie konnte jeden haben. Warum sollte sie also ausgerechnet an einem Jungen wie mir Interesse haben? Ich seufzte frustriert und versuchte, zu schlafen. Solange ich schlief, konnte mir schon nichts peinliches mehr passieren.
Ich musste wirklich eingeschlafen sein, denn als die Tür geöffnet wurde, erschrak ich ziemlich. Ich blinzelte und sah, dass Kathy gemeinsam mit Papas Arzt vor mir stand. „So Patrick, dann wollen wir mal", sagte er und begann, mich zu untersuchen. Der Arzt tastete meine Beine ab, schaute sich meine Beine genau an und wollte dann, dass ich mich auf die Bettkante setzte. Dazu musste ich mich mit beiden Händen abstützen und der Arzt probierte, ob ich Reflexe zeigte. Danach durfte ich mich wieder hinlegen und der Arzt wollte kurz draußen mit Kathy reden. Dann ging die Tür wieder auf und Kathy kam allein herein. Sie setzte sich zu mir auf die Bettkante. „Paddy, der Arzt meint, dass es ganz gut aussieht. Er hat gesagt, dass du leichte Reflexe in den Beinen hast. Anscheinend erholt sich dein Rückenmark. Das Zittern ist dafür auch ein gutes Zeichen. Aber du bekommst jetzt trotzdem Medikamente, damit das Zittern besser wird. Außerdem möchte er, dass du das Krankengymnastik machst, weil es sein kann, dass dadurch deine Beine noch besser werden. Der Arzt hat gesagt, dass es sogar sein kann, dass du irgendwann zumindest wieder stehen oder mit viel Glück auch wieder ein bisschen laufen kannst." Ich könnte es kaum fassen und musste einfach weinen. Das klang so gut und gab mir wieder ein bisschen Hoffnung. Kathy strich mir beruhigend über den Kopf. Da sah ich, dass sie ebenfalls Tränen in den Augen hatte. „Kathy, erzählst du das den anderen auch? Ich glaube, ich kann das nicht", schluchzte ich. Kathy nickte und ging hinaus. Ich hörte, wie sie mit den anderen redete und dann wurde meine Tür aufgerissen. Barby stürmte weinend herein und warf sich zu mir ins Bett. Nach und nach trudelten auch die anderen ein und drückten mich. Innerhalb kürzester Zeit standen alle weinend oder mit Tränen in den Augen um mein Bett herum. Barby konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Sie blieb noch eine Weile bei mir im Bett liegen, bis sie irgendwann aufstand und kurz darauf mit ihrer Gitarre zurückkam. „Paddy, ich will dir mein neues Lied vorspielen. Das habe ich geschrieben, weil ich mir so sehr wünsche, dass du wieder lachst", sagte sie und begann zu singen. Das Lied war wunderschön. Barby verriet mir dann auch noch, dass sie das Lied „Baby smile" genannt hatte. „Barbarina, das Lied musst du unbedingt den anderen vorspielen, es ist so schön. Und ich würde mir wünschen, dass das Lied auf die neue Platte kommt", flüsterte ich ihr ins Ohr und drückte meine große Schwester fest an mich.

Manchmal kommt alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt