Kapitel 66

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Jimmy
Mir tat alles weh. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Schmerzen gehabt. Der Arzt hatte auch gesagt, dass gebrochene Rippen sehr schmerzhaft waren und auch lange weh taten. Meinen Kopf spürte ich auch ziemlich. Nur meine Hand machte keine Probleme. Der Gips nervte zwar ziemlich, aber weh tat die Hand nicht. Wegen den gebrochenen Rippen konnte ich auch kaum allein aufstehen, den Weg zum Klo schaffte ich erst recht nicht allein. Jetzt war auch ich auf Hilfe angewiesen, nicht nur Paddy, dem es heute auch nicht gut ging. Was mich auch belastete, war der Grund, warum ich die Verletzungen hatte. Ich war von einem Typen angesprochen worden, der angeblich Autogramme wollte. Deshalb war ich ihm gefolgt. In Wahrheit hatte er Geld von mir gewollt. Ich hatte aber nichts bei mir gehabt. Er und seine beiden Freunde, die im Park gewartet hatten, hatten mich dann angegriffen und ich hatte keine Chance gehabt, mich zu wehren. Das war alles so schnell gegangen. Und sie hatten gedroht, sie würden mich verfolgen, wenn ich jemandem erzählte, was wirklich passiert war. Deshalb schwieg ich lieber. Ich hatte Angst, dass sonst meine Geschwister in Gefahr waren.
Endlich kam jemand vom Konzert zurück. Es war zum Glück Joey. Der kam sofort zu uns. „Joey, ich muss aufs Klo. Hilfst du mir?", bat ich ihn. Joey nickte. „Paddy, ich setzte Jimmy unten in deinen Rollstuhl. Bis ich ihn zu Fuß beim Klo habe, hat er vermutlich schon längst in die Hose gemacht", meinte Joey grinsend. Paddy nickte. Dann tat er so, als würde er etwas aufschreiben. „Sollen wir Dir nachher Block und Stift hochbringen?", fragte ich und er nickte wieder. Dann half mir Joey aus dem Bett. Sofort hatte ich wieder mehr schmerzen und schwindelig wurde mir auch. Irgendwie kamen wir unten an und Joey setzte mich in Paddys Rollstuhl. Damit schob er mich zur Toilette, wo er mir wieder helfen musste. Es war mir ein bisschen peinlich, aber immerhin half mir Joey und niemand anderes von meinen Geschwistern.
Anschließend brachte mich Joey wieder zum Bus und nach oben zu Paddy. Dann rannte er nochmal nach unten und holte Block und Stift für Paddy. Dieser griff sofort danach. „Ich bleibe beim nächsten Konzert auch bei Jimmy. Ich bin nicht fit genug für ein Konzert", schrieb er. „Aber du musst was essen", meinte Joey, doch Paddy schüttelte den Kopf und zeigte auf die Beatmung. „Na gut, aber später dann. Denk daran, was Dr Verreet zu dem Thema gesagt hat. Drei bis vier Mahlzeiten am Tag und zwar anständige Portionen", erinnerte Joey. Paddy machte undefinierbare Gesten. Vermutlich wollte er davon im Moment nichts wissen. Allerdings hatte Joey recht. Paddy nahm immer mehr ab. Ich schätzte, dass er noch knapp 50 Kilo wog. Paddy war zwar schon immer relativ dünn gewesen, aber zur Zeit wurde das immer schlimmer. Er musste definitiv zunehmen. Und Dr Verreet war da zum Glück hart. Er würde auch nicht zögern und Kathy und Papa davon überzeugen, dass eine Sonde die beste Lösung für Paddy wäre. Inzwischen sah ich das auch so. Mein kleiner Bruder war kaum noch zu erkennen. Und ich vermutete, dass er auch deshalb keine Kraft hatte, weil er zu wenig aß. Aber im Moment konnte ich da sowieso nichts ändern. Hoffentlich würde er morgen ordentlich essen. Schließlich hatte Patricia Geburtstag und Maite würde Kuchen backen. Mit dem Gedanken an Kuchen schlief ich wieder ein.
Ich wurde geweckt, als die anderen nach und nach in den Bus kamen. Für heute waren wir fertig und würden weiterfahren. „Jimmy, willst du unten mit uns essen?", fragte Barby, die den Kopf heraufstreckte. „Ja, ich versuche es. Mein Kopf tut nicht mehr weh und die Rippen werden wohl noch länger weh tun. Da gewöhne ich mich wohl besser daran", meinte ich. Beim aufstehen half mir Barby dann und ich wankte die Treppe nach unten zum Tisch. Dort ließ ich mich auf die Bank fallen. „Ich hole mal Paddy, der hat seit gestern morgen nichts mehr gegessen", beschloss John und verschwand. Kurz darauf kam er ohne Paddy wieder. „Er weigert sich. Er ist der Meinung, nicht genug Luft zu bekommen und schmerzen zu haben. Wenn das morgen nicht besser wird, rufe ich Dr Verreet an. Den muss ich sowieso anrufen wegen Dir Jimmy, damit er deine Brüche kontrolliert", meinte John und setzte sich. Anscheinend hatte er was Paddy betraf aufgegeben. „Erzähl uns doch endlich, was genau mit dir passiert ist", quengelte Maite. Jetzt bloß nichts falsches sagen. „Wie gesagt, ich wurde zusammengeschlagen. Da waren plötzlich drei Typen und haben auf mich eingeschlagen, bis ich ohnmächtig geworden bin. Gesichter habe ich keine erkennen können", erzählte ich. Die Details verschwieg ich. Das beunruhigte meine Geschwister aber doch ziemlich und Kathy bestand darauf, dass ich eine Anzeige gegen unbekannt aufgeben sollte, sobald ich fit genug war und zur Polizei gehen konnte. Ich stimmte ihr zu, aber das würde ich nicht tun. Ich würde nur so tun, als würde ich zur Polizei gehen. Schließlich wusste ich nicht, ob dann nicht meine Geschwister in Gefahr wären, wenn ich wirklich eine Anzeige machen würde. Und ich wollte meine Geschwister nicht in Gefahr bringen.

Manchmal kommt alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt