Kapitel 50

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Paddy
Am nächsten morgen war mir immer noch peinlich, was in der Nacht passiert war. Als Joey zu mir kam, um die Beatmung abzumachen, zog ich mir die Decke über das Gesicht und blieb liegen. Solange ich an dem Ding hing, konnte ich nicht sprechen und wurde hoffentlich in Ruhe gelassen. Aber Joey war hartnäckig. „Paddy, willst du wirklich an der Beatmung bleiben?", fragte er und ich nickte unter der Decke. „Dann kann ich ja runter gehen und dein Frühstück auch essen", meinte er und ich hörte, wie er aufstand. Sofort riss ich mir die Decke vom Gesicht. Ich war mir nicht sicher, ob Joey das wirklich tun würde. Und dann wäre ich allein hier oben und könnte nicht rufen, wenn ich aus dem Bett wollte. „Na geht doch", meinte Joey und kam wieder zu mir zurück. Ich legte schnell die Hände auf die Maske und schüttelte den Kopf. „Willst du echt noch an der Beatmung bleiben?", erkundigte sich Joey jetzt eher besorgt und ich zuckte die Schultern. „Wie du willst. Dann kann ich dir ja jetzt in Ruhe sagen, was ich vorher schon sagen wollte, ohne dass du mich unterbrichst. Also, die muss das wegen heute Nacht nicht peinlich sein. Angelo hat da eher einen Grund, sich zu schämen. Deine Blase ist gelähmt und du kannst nicht kontrollieren, wann du aufs Klo musst. Da kann das leicht mal passieren. Also stell dich nicht so an und komm mit mir runter zum Frühstück. Ich hab Hunger. Kann ich dann jetzt die Beatmung ausmachen?", fragte er am Ende und ich nickte. Was anderes blieb mir ja auch nicht übrig und außerdem wollte ich ja auch was sagen können und vor allem essen. Joey schaltete das Gerät aus und ich befreite mich von der Maske. Aber die verhedderte sich jetzt in meinen Haaren und ich bekam sie nicht vom Gesicht. Sofort wurde die Luft knapp, denn die Maske lag ja luftdicht an meinem Gesicht an. Joey schaltete sofort die Beatmung wieder an, damit ich in Ruhe meine Haare aus dem Gurt zupfen konnte. Das dauerte ziemlich und dabei musste ich mich auch von ein paar Strähnen trennen, die sich so fest verheddert hatten, dass wir sie nicht mehr losbekamen. Dann war es endlich geschafft und ich konnte die Maske abnehmen. „Paddy, du musst deine Haare irgendwie anders zusammenmachen", meinte Joey nur und half mir dann beim anziehen. Anschließend trug er mich nach unten, wo die anderen bereits warteten. Nach dem Frühstück jagte uns Kathy zum duschen. Dieses Mal brauchte ich keinen Sauerstoff und konnte mich so viel besser duschen. Danach trug mich John zu meinem Rollstuhl. Heute wollte ich das erste mal seit meinem Unfall allein nach draußen. Patricia hatte in knapp einem Monat Geburtstag und ich wollte ihr unbedingt ein Geschenk kaufen. Ich hatte gesehen, dass ganz in der Nähe ein Flohmarkt war und dort wollte ich hin. Nur Angelo wusste, wohin ich wollte und hatte den Auftrag, Patricia so lange von dem Flohmarkt fernzuhalten, bis ich zurück war. Er brachte mir noch das sauerstoffgerät, welches ich auch benutzte. Da ich ja allein unterwegs war, musste ich selbst fahren und da brauchte ich es noch. Unterwegs musste ich zwei mal eine Pause machen, weil ich keine Kraft mehr hatte. Dann war ich aber endlich angekommen und fand direkt am zweiten stand etwas für Patricia. Es war eine Kette, die ihr bestimmt gefiel. Ich bezahlte und entdeckte dann an einem anderen stand noch ein Oberteil, das mir gefiel. Es war ein bunt kariertes Hemd und es passte mir auch. Das kaufte ich ebenfalls und dann machte ich mich auf den Rückweg. Unterwegs wurde das anschieben immer anstrengender und erst jetzt merkte ich, dass auf dem Weg viele kleine Steine lagen. Irgendwann rollte ich deshalb auf das Gras neben dem Weg, dort kam ich besser voran. Hier war weit und breit niemand unterwegs und so kämpfte ich mich langsam zurück zum Campingplatz. Doch plötzlich war da ein Ast an einem der kleinen Räder und ich konnte nichts dagegen tun. Ganz langsam kippte der Rollstuhl und ich landete voll auf meinem Handgelenk, das danach ziemlich weh tat. Der Rollstuhl lag mehr oder weniger auf mir und ich kam nicht an den Gurt an meiner Hüfte heran. So war es unmöglich für mich, mich selbst zu befreien. Ich konnte ja nicht aus dem Rollstuhl krabbeln, solange der Gurt zu war. Verzweifelt zog und zerrte ich mit einer Hand an dem Rollstuhl, schaffte es aber nicht. So langsam verließen mich auch endgültig meine Kräfte und ich blieb schließlich erschöpft liegen. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass jemand vorbeikam und mich fand. Angelo wusste ja zwar, wo ich war, aber er würde mich bestimmt noch nicht suchen gehen. Und er hatte versprochen, den anderen nicht zu verraten, wo ich war. Also konnten die mich auch nicht finden. In diesem Moment hasste ich mein Leben so sehr. Ich wollte einfach nur frei sein und mich bewegen können, wie ich wollte. Ohne diesen Rollstuhl und ohne den Sauerstoff, denn in dem Schlauch hatte ich mich auch noch irgendwie verheddert. Deshalb war der Schlauch jetzt ziemlich kurz und ich konnte meinen Kopf nicht drehen, ohne dass der Schlauch mir an den Ohren weh tat. Ich war so unendlich wütend auf meine Situation und einfach auf alles, dass mir irgendwann die Tränen kamen. So lag ich hilflos auf dem kalten Boden, konnte nicht aufstehen, fror und niemand kam.
Ich wusste nicht, wie lange ich so gelegen hatte, als plötzlich eine vertraute Stimme zu hören war. „Paddy!", rief es leicht panisch. „Barby, hier. Hier bin ich!", rief ich zurück und endlich kamen Schritte näher. Meine Schwester hatte mich also gefunden.

Manchmal kommt alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt