Kapitel 21

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Paddy
Ich saß am Tisch und ließ meinen Kopf nach hinten fallen. Nach vorne ging ja nicht mehr. Warum hatte dieser Therapeut auch meiner Schwester diesen Gurt geben müssen. Hätte er mir das Teil gegeben, hätte ich es verschwinden lassen können und meine Brüder hätten mir sicher auch dabei geholfen. Aber dafür war es jetzt zu spät. Da blieb nur, so selten wie möglich hier zu sitzen solange wir fuhren. „Paddy, spielst du mit?", riss mich Angelo aus meinen Gedanken und wedelte mit dem Kartenspiel vor mir herum. „Nein, heute nicht. Ich bin müde", antwortete ich. „Jimmy, kannst du mich hochbringen?", bat ich dann. Jimmy nickte und drehte mich zu sich. Dann kämpfte er mit dem Gurt. Als ich losgeschnallt war, merkte ich sofort, dass dieses Teil vielleicht doch nicht so schlecht war. Ich musste mich damit nämlich gar nicht anstrengen, um aufrecht zu sitzen. Jimmy trug mich nach oben und direkt zum Bett. Barby saß auf dem Boden und schrieb etwas. Ich zog meinen Schlafanzug an und legte mich so hin, dass ich Barby anschauen konnte. „Was machst du denn?", fragte ich sie. Sie stand auf und setzte sich zu mir aufs Bett. „Schau, ich hab die Bilder von den letzten Konzerten entwickeln lassen und eingeklebt", sie zeigte mir die Fotos. Sie waren wirklich schön geworden und Barby hatte zu jedem Bild noch dazugeschrieben, wo und bei welchem Lied es entstanden war. Außerdem hatte sie noch ein Foto von mir und Joey, bei dem Joey mich über die Schulter geworfen hatte und mit mir davongerannt war. Man sah hauptsächlich meine fliegenden Haare. „Die Bilder sind toll geworden", lobte ich Barby. Sie lächelte. „Ich hab noch mehr Bilder, aber die zeige ich dir erst, wenn sie im Album sind", meinte sie und widmete sich dann wieder den Bildern und Stiften. Ich beobachtete meine große Schwester noch eine Weile, bis Angelo und Maite heraufkamen. „Die großen haben uns ins Bett geschickt", beschwerte sich Angelo. „Da hatten sie recht, wir müssen ja morgen wieder fit sein", meinte Barby und räumte ihre Sachen weg. Angelo kuschelte sich an mich wie ein kleines Kätzchen und war bald darauf eingeschlafen. Ich lag noch eine Weile wach und hörte, wie sich die großen ebenfalls hinlegten. Irgendwann würde ich wach, weil Angelo neben mir zusammenzuckte. „Angelo, was ist", flüsterte ich. „Ich hatte einen Albtraum", an Angelos stimme erkannte ich, dass er fast weinte. Ich legte meinen Arm um ihn. „Alles ist in Ordnung, du bist wach und alles ist gut", flüsterte ich beruhigend. Angelo weinte still und ich strich ihm über den Rücken. In solchen Momenten fehlte Mama ganz besonders. So musste eben ich jetzt für Angelo da sein. Ich hielt meinen kleinen Bruder lange im Arm, bis er sich langsam beruhigte und sein Atem gleichmäßig wurde. Bald darauf schlief auch ich wieder ein und wachte erst am nächsten morgen durch Hotel California auf. Ich fühlte mich, als hätte ich kaum geschlafen und mir tat alles weh. Meine Geschwister sprangen aber alle total aufgedreht aus den Betten und rannten herum. Scheinbar hatten sie alle wunderbar geschlafen. „Paddy, Frühstück ist fertig, ich bringe dich runter", sagte John dann zu mir und trug mich nach unten. Er setzte mich hin und ich merkte direkt, wie ich zusammensackte. Irgendwie konnte ich heute gar nicht so wirklich sitzen. „Alles in Ordnung?", fragte Patricia sofort besorgt. Ihr entging auch gar nichts. „Geht schon, ich fühle mich nur irgendwie so schwach heute und mir tut alles weh", meinte ich. „Das kommt bestimmt von der Therapie gestern. Soll ich dich lieber anschnallen?", fragte sie. So ungern ich das tat nickte ich. Ich hatte die Befürchtung, dass ich die Konzerte nicht schaffen würde, wenn ich jetzt schon meine ganze Kraft verbrauchte. Patricia schnallte mich an und ich konnte mich entspannen. Die Gurte hielten mich, ohne dass ich etwas tun musste. Wir frühstücken alle zusammen und die anderen bauten danach alles auf. Ich blieb sitzen und las ein bisschen, schließlich brauchte ich meine Kraft später noch. Irgendwann kam Angelo herein. „Die anderen haben mich weggeschickt und gesagt, ich würde ihnen nur im Weg umgehen", maulte er ziemlich wütend. „Angelito, komm her, mir gehst du nicht im Weg um. Ich freue mich, dass du hier bist, allein ist es ziemlich langweilig", ich streckte meinen Arm nach ihm aus und er setzte sich neben mich. Ich legte meinen Arm um ihn und Angelo lehnte sich an meine Schulter. „Nerve ich dich wirklich nicht?", fragte er nach einer Weile nachdenklich. „Manchmal schon", grinste ich. „Aber das ist doch normal. Kleine Brüder müssen manchmal nervig sein. Meistens mag ich dich aber viel zu sehr, als dass du mich nerven könntest. Schließlich bist du nicht nur mein kleiner Bruder, sondern auch mein bester Freund", sprach ich weiter. Angelo sagte gar nichts mehr und nickte nur an meine Schulter. Den kleinen schien irgendwas zu bedrücken. „Du kannst jederzeit mit mir über alles reden, kleiner Engel. Ich bin für dich da", sagte ich deshalb leise zu ihm. „Ich weiß, Paddy. Aber im Moment möchte ich nicht darüber reden. Ein anderes mal vielleicht, wenn wir sicher ungestört sind", kam die Antwort. Komisch, sonst redete er doch immer über alles und jeden, ohne Rücksicht auf Zuhörer. Entweder er hatte ein Geheimnis oder ihn beschäftigte etwas so sehr, dass er sich nur mir anvertrauen wollte. Aber ich hatte Geduld. Früher oder später würde mir Angelo sowieso erzählen, was los war. Er redete immer irgendwann.



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