Kapitel 57

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Angelo
Ich hatte doch tatsächlich meinen großen Bruder Paddy beim knutschen erwischt. Und er hatte mir nicht erzählt gehabt, dass er verliebt war. Nur Jimmy schien es gewusst zu haben. Das tat so weh. Mein bester Freund hatte mir nichts davon erzählt, obwohl wir uns doch sonst immer alles erzählt hatten. Jetzt hatte ich niemanden mehr, dem ich meine Sorgen wegen Kira anvertrauen konnte. Ich war so wütend und enttäuscht von meinem großen Bruder. Ich lag neben Paddy, hatte mich aber von ihm weggedreht und so langsam kamen mir vor lauter Wut und Enttäuschung die Tränen. Noch nie hatte ich mich so verraten gefühlt. Mit dieser Wut im Bauch schlief ich dann irgendwann ein. Wach wurde ich dann aber mitten in der Nacht, weil plötzlich etwas sehr hektisch piepste. Anhand von Paddys Reaktion erkannte ich, dass seine Beatmung die Geräusche von sich gab. Paddy riss verzweifelt an der Maske und bekam sie nicht vom Gesicht. Er wurde immer verzweifelter und zerrte hektischer daran. Ich war noch so würend, dass ich ihm nicht half. Paddy zerrte nochmal kräftig an der Maske und bekam sie schließlich von seinem Gesicht. Meine anderen Geschwister standen mittlerweile auch alle um uns herum. „Das Gerät spinnt", gab Joey von sich, nachdem er daran ein paar Knöpfe gedrückt hatte. „Ich hab plötzlich keine Luft mehr bekommen", erklärte nun Paddy. „Und Angelo hat mir nicht geholfen, als ich die Maske nicht sofort vom Gesicht bekommen habe. Er hat einfach nur zugeschaut und ich dachte, ich ersticke", schluchzte er. Jetzt tat mir mein Verhalten schon wieder fast leid, aber nur fast. Patricia schaute mich böse an. „Angelo Kelly, wir reden morgen", fauchte sie mich an. Oh je, das klang nach Ärger. „Paddy, da scheint etwas kaputt zu sein", wandte sie sich dann an Paddy. „Nein, es liegt am Strom. Der Generator ist hinüber und das Gerät hatte keinen Strom. Ich schaue morgen, ob ich das Teil wieder zum laufen bekomme oder sonst muss ein neuer her", mischte sich Joey ein, der an dem Gerät herumprobiert hatte. „Aber heute Nacht musst du ohne Beatmung aushalten, jetzt nur mit Taschenlampen als Licht kann ich da gar nichts machen." Paddy seufzte. „Das schaffst du schon, von uns muss eben immer jemand wach sein, falls du aufhörst mit atmen", beruhigte Kathy Paddy. Dann wurden die Betten neu verteilt. Ich musste allein in einem Bett schlafen. Das war noch viel schlimmer als Ärger zu bekommen. Wir waren alle nie allein und da war das wirklich schlimm für mich. „Angelo, du bist nicht dran, heute Nacht nach Paddy zu schauen. Wer weiß, ob du ihn im Notfall weckst", fauchte mich Joey noch an und dann drehten sich alle meine Geschwister von mir weg. Jimmy würde als erster wach bleiben, dann Joey, Patricia und Kathy. Barby und Maite durften wie John schlafen. Und ich musste auch schlafen, obwohl ich doch immer für meinen Bruder da war. Aber ich konnte einfach nicht einschlafen. Ich hörte, wie sich Jimmy und Paddy leise unterhielten. Anscheinend ging es um die beiden Mädchen. Paddy schien Jimmy alles erzählt zu haben. Meine Wut kehrte mit noch viel mehr Kraft zurück. Am liebsten hätte ich meine Sachen gepackt und wäre abgehauen, zu Kira. Von Paddy wollte ich jedesfalls nichts mehr wissen. Sollte er sich doch einen neuen besten Freund aussuchen. Einsam und leicht verzweifelt umarmte ich mein Kopfkissen, denn ich hatte ja niemand neben mir, der mich in den Arm nahm. So schlief ich dann irgendwann ein und wurde am nächsten morgen von Hotel California geweckt. Da merkte ich, dass mein Bett schon wieder nass war. Anscheinend hatte ich vor lauter Wut ins Bett gemacht. Paddy würde mich bestimmt auslachen deswegen, jetzt wo ich ihm sowieso nicht mehr wichtig war. Ich blieb einfach im Bett liegen, in der Hoffnung, dass niemand etwas merkte und wollte erst aufstehen, wenn alle unten waren. Aber Kathy kam zu mir. „Angelo, du bleibst hier oben. Ich will mit dir reden, sobald die anderen unten sind", informierte sie mich und ich nickte. Jimmy half Paddy beim anziehen und brachte ihn nach unten. Die anderen gingen ebenfalls nach unten. Paddy war ganz blass und sah aus, als hätte er kaum geschlafen. Auch war er an seinem Sauerstoff angeschlossen, was in den letzten Tagen nie so gewesen war. Er schaute kurz zu mir und da sah ich in seinen Augen Enttäuschung. Aber mir war das egal, er hatte mich schließlich verraten. Da kam Kathy zu mir. „So und jetzt sag, warum hast du Paddy nicht geholfen?" „Ich bin so wütend auf ihn. Paddy hat eine Freundin und hat mir das nicht erzählt. Er hat mir geschworen, dass wir immer über alles reden können und jetzt hat er das vor mir geheim gehalten. Ich hasse ihn", erklärte ich meiner großen Schwester und heulte. „Das musst du selbst mit ihm regeln. Aber das ist noch lange kein Grund, Paddy nicht zu helfen, wenn er dringend Hilfe braucht. Er hätte ersticken können und du hast zugesehen. Solange du dich so verhälst, kann ich dir nicht vertrauen. Du wirst die nächste Zeit nicht mit Paddy in einem Bett schlafen, ich kann mich nicht auf dich verlassen", sagte Kathy zu mir und nahm mich dann aber trotzdem in den Arm. Da merkte sie, dass mein Bett nass war. „Angelito, hast du ins Bett gemacht?", fragte sie leise und ich nickte. „Das beziehst du schnell frisch und dann komm runter. Wenn du mir sagen magst, was zur Zeit los ist, dass du wegen einer Kleinigkeit so wütend auf Paddy wirst und wieder ins Bett machst, kannst du jederzeit kommen", sagte sie noch und dann ließ mich Kathy allein. Schnell bezog ich das Bett frisch und wischte mir die Tränen aus den Augen. Dann ging ich nach unten zum Frühstück und musste mich natürlich gegenüber von Paddy hinsetzen. Paddy starrte sofort nur noch auf sein Müsli und vermied es, mich anzuschauen. War mir aber egal, von mir aus konnte der verräter so lange beleidigt sein, wie er wollte. Ich würde sowieso bald verschwinden. Sobald wir in Köln waren, würde ich mich in den Zug nach Warnemünde setzen. Kiras Eltern würden mich sicher bei ihnen bleiben lassen. Dort gab es wenigstens Leute, die mich verstanden.

Manchmal kommt alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt