Kapitel 20

266 9 0
                                    

Jimmy
Paddy war nach der Therapie völlig erledigt. Er lag erschöpft auf dem Sofa und hörte Joey und mir zu. Ihm schien sogar die Kraft zu fehlen, um zu reden. Wir machten automatisch Quatsch und erzählten von früher, um ihn zum Lachen zu bringen. Das klappte nicht so ganz, aber immerhin grinste Paddy jetzt. Maite blieb auch noch eine Weile bei uns, bevor sie in die Küche ging. Heute Abend würden wir schon wieder weiterfahren und wollten davor noch alle zusammen essen.
Irgendwann klopfte es an der eingangstür. „Ich mache auf, das ist bestimmt Vincent", ich stand auf und ging in den Flur. Vor der Tür stand tatsächlich Vincent. Ich wechselte sofort ins Französische, wie immer bei Vincent. „Kathy ist noch im Tonstudio. Komm du solange zu uns, dann kannst du sie nachher überraschen", meinte ich. Vincent nickte und folgte mir. Gemeinsam gingen wir ins Wohnzimmer. Wir unterhielten uns eine Weile, bis Maite auftauchte. „Essen ist fertig, ich hole Papa", sagte sie und war wieder verschwunden. „Dann hole ich die anderen, Vincent du kannst ja schon in die Küche", meinte Joey und verschwand ebenfalls. Vincent ging direkt in die Küche. Ich blieb bei Paddy. Er kämpfte sich in eine sitzende Position und ich hielt ihm meinen Arm zur Unterstützung hin. Er hielt sich daran fest und zog sich endgültig hoch. Dann half ich ihm, sich in den Rollstuhl zu setzen und folgte ihm zur Küche. Inzwischen polterten die anderen ebenfalls in die Küche und wir hörten Kathy schon im Flur lachen und kreischen. Auch Sean lachte laut. Als wir in die Küche kamen, lag Kathy mit Tränen in den Augen in Vincents armen. Es war so schön, meine große Schwester so glücklich zu sehen. Jetzt kamen aucj Maite und Papa in die Küche und wir setzten uns alle an den Tisch. Maite hatte heute sogar einen Kuchen zum Nachtisch gebacken. Wenn wir loszogen, gab es davor immer etwas gutes zum Essen. Von mir aus könnten wir jeden Tag wegfahren, denn Maites Kuchen schmeckte so gut. Alle langten ordentlich zu, vor allem auch Paddy. Er übertraf heute sogar Angelo, der normal das meiste aß. Anscheinend hatte die Krankengymnastik Paddy ziemlich hungrig gemacht.
Nach dem Essen war es dann auch schon wieder Zeit, sich von Papa zu verabschieden. Gepackt hatten wir bereits beziehungsweise hatten gar nicht wirklich ausgepackt. Wir hatten hier genug Klamotten und mussten nur ein paar persönliche Dinge immer mit in den Bus nehmen. Jeder brachte seine Sachen schnell nach draußen aufs Deck. Vincent würde alles in den Bus bringen, während wir uns von Papa verabschiedeten. Ich war da auch immer ziemlich schnell. Zwar verstand ich mich nicht immer gut mit Papa, aber die Verabschiedung von ihm ging mir jedes Mal sehr nahe. Ich konnte es nicht ertragen, wie Barby dann immer schrecklich weinte und Papa Tränen in den Augen hatte. Joey ging es da ähnlich. Wir drückten Papa schnell an uns und verließen dann den Raum, bevor wir auch noch weinen mussten. Draußen lehnte ich mich an die Wand und atmete tief durch. „Ich warte hier auf die anderen, geh du schon mal zu Vincent", sagte ich zu Joey, der auch gleich verschwand. Jetzt hatte ich kurz Zeit und konnte meine Gefühle zulassen. Ich wischte mir die Tränen aber gleich wieder aus den Augen, damit meine Geschwister nicht sahen, dass ich geweint hatte. Es reichte, dass ich kürzlich vor Paddy geweint hatte. Dann waren auch schon stimmen zu hören und Kathy und John kamen mit Angelo und Maite nach draußen. Gleich darauf folgte auch Patricia. Jetzt waren nur noch Barby und Paddy drinnen. „Ich warte noch auf die beiden", meinte ich zu den anderen, die ebenfalls schon zum Bus gingen. Ich konnte sehen, dass Patricia geweint hatte und John nahm sie in den Arm. Ich wartete bis die Tür wieder aufging und Paddy und Barby herauskamen. Beide hatten geweint, Barby weinte auch jetzt noch. Ich trat zu den beiden. „Jimmy, schieb mich bitte", bat Paddy und ich trat hinter ihn. Paddy zog Barby auf seinen Schoß und drückte sie an sich. Er murmelte etwas, was ich aber nicht verstehen konnte. Ich schob die beiden in Richtung Bus. Barby beruhigte sich langsam wieder und stand am Bus auf. Sie ging hinein und ich schnappte mir Paddy, der heute ziemlich schlapp auf meinem Rücken hing. John räumte noch schnell den Rollstuhl weg. Ich trug Paddy zu seinem Sitz. Dort angekommen setzte ich ihn ab und Patricia kam zu uns. „Paddy, der Therapeut hat uns noch einen anderen Gurt für dich gegeben. Damit sitzt du sicherer, wenn wir fahren", erklärte sie. Patricia zeigte Paddy den neuen Gurt und er schaute ziemlich unglücklich aus. Der neue Gurt war zwischen seinen Beinen befestigt und an der Hüfte. Dann ging ein Stück Stoff nach oben bis zu Paddys Schultern. Dort gab es über den Schultern und unter den Armen jeweils nochmal zwei schnallen. So wurde Paddys gesamter Oberkörper aufrecht gehalten und er konnte auch nicht mit dem Po wegrutschen. „Tricia, mach das weg, das ist ja schrecklich", motzte Paddy sofort. „Paddy, das geht nicht. So sitzt du viel sicherer", antwortete sie. „Aber jetzt kann ich mich ja gar nicht mehr bewegen, ich kann mich kein bisschen nach vorne lehnen", motzte er weiter. „Das soll ja auch so sein. Daran musst du dich jetzt eben gewöhnen, der Gurt bleibt auf jeden Fall dran", antwortete Tricia streng und blickte auch mich strafend an. Ich nickte nur und Paddy schaute noch unglücklicher. Ich setzte mich zu ihm. „Paddy, anders geht es jetzt eben nicht, aber wenn du fleißig trainierst, brauchst du das Teil bestimmt bald nicht mehr", versuchte ich, meinen kleinen Bruder aufzumuntern. Paddy antwortete nicht und starrte stur geradeaus. Ich blieb still neben ihm sitzen. Oben waren die anderen zu hören, die gerade alles ausgepackt hatten, was wir so brauchten. Dann kamen sie nach und nach zu uns herunter. Die älteren ignorierten Paddy und mich ziemlich, nur Angelo schaute mit großen Augen zu Paddy. Ich sah den kleinen warnend an. Fehlte noch, dass er irgendwelche Kommentare abgab. John setzte sich ans Steuer und wir verließen Köln wieder für längere Zeit.

Manchmal kommt alles andersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt