Kapitel 79

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-Joey-

Ich habe Leyla gestern Abend nicht gehört, als sie nach Hause gekommen ist. Dabei habe ich mich extra bemüht, lange wach zu bleiben. Das ich sie heute Morgen auch nicht zu Gesicht bekommen habe, macht mich allerdings stutzig. Ich habe fast das Gefühl, Leyla geht mir aus dem Weg. Aber warum? Habe ich irgendwas gesagt oder getan, was sie verärgert haben könnte? Abgesehen von dem Streit mit Jimmy gestern früh kann ich mich an nicht's erinnern.

"Sauberer wird der Teller nicht." Patricia's Worte holen mich so abrupt aus meinen Gedanken, das mir dieser aus den Fingern rutscht, zum Glück aber im Abwaschbecken landet.

"Wo warst du denn gerade?", fragt meine Schwester und sieht mich amüsiert an.

"Nirgends.", antworte ich und widme mich wieder dem dreckigen Geschirr.

Das Jimmy mir aus dem Weg geht, wundert mich weniger. Seit unserer Auseinandersetzung am Morgen nach Silvester habe ich meinen Bruder kaum noch gesehen. Ein oder zwei Mal sind wir uns zufällig im Flur über den Weg gelaufen, aber abgesehen von den gemeinsamen Mahlzeiten war es das dann auch. Vielleicht tut uns die Funkstille ja auch ganz gut, nach Allem, was passiert ist.

Am nächsten Morgen bekomme ich Leyla nach zwei Tagen wieder zu Gesicht. Doch sie murmelt nur etwas wie "Bin spät dran.", und "Wir reden später." Und dann ist sie auch schon zur Tür raus.

Da wir den ganzen Tag mit der Planung neuer Konzerte beschäftigt sind, kann ich für ein paar Stunden Leyla's komisches Verhalten mir gegenüber vergessen. Wir sind so in unsere Arbeit vertieft, das wir gar nicht mitbekommen, wie schnell die Zeit verfliegt. Als ich das nächste Mal aufschaue wird es draußen bereits dunkel. Müde räume ich meine Sachen zusammen und gehe nach oben. Das ich komplett in meine Arbeit vertieft war und Leyla nicht habe nach Hause kommen hören, realisiere ich erst, als ich sehe, das Licht in ihrem Zimmer brennt. Ich klopfe an und trete dann ein.

Leyla steht mit dem Rücken zu mir an ihrem Schreibtisch und schaut konzentriert auf irgendwelche Papiere.

"Hey, ich habe dich gar nicht kommen hören.", sage ich leise, um sie nicht zu erschrecken.

"Ja, ist bisschen später geworden.", antwortet sie, dreht sich kurz zu mir um, widmet sich dann aber wieder den Unterlagen.

"Warum gehst du mir aus dem Weg?" Ich schließe die Tür hinter mir, stelle mich neben sie und lege meine Unterlagen neben ihre auf den Schreibtisch.

"Was? Tue ich doch gar nicht.", antwortet sie, ohne mich anzusehen.

"Doch Leyla, das tust du.", sage ich bestimmt. Ich nehme ihre Hand und halte sie dadurch von ihrer Arbeit ab. Endlich sieht sie mich an, aber in ihrem Blick liegt irgendetwas, was ich so von ihr nicht kenne. Und das beunruhigt mich ein bisschen.

"Was ist los?" Leyla seufzt und versucht sich aus meinem Griff zu lösen. Ohne Erfolg. Ganz offensichtlich will sie nicht mit mir darüber reden. Ich weiß, das ich sie nicht dazu zwingen kann, aber ich wüsste gerne, was sie bedrückt.

"Hat es was mit Jimmy zu tun?", frage ich und lasse ihre Hand los, um sie nicht zu bedrängen.

"Wenn du es genau wissen willst, ja.", antwortet sie, zieht das letzte Buch aus ihrem Rucksack und knallt es auf den Tisch.

"Was ist denn passiert?", frage ich ruhig.

"Das da ist passiert., antwortet sie und deutet auf mich. Verwirrt schaue ich sie an, ehe ich kapiere, das sie die Schramme neben meinem Auge meint, die mein Bruder mir verpasst hat.

"Das ist doch nur ein Kratzer. Nicht weiter schlimm."

"Ja, dieses Mal vielleicht.", sagt Leyla, deutlich ruhiger.

"Und was kommt heraus, wenn ihr euch das nächste Mal wegen mir an die Gurgel geht? Ich habe echt keine Lust euch im Krankenhaus besuchen zu müssen."

"Dann wird es eben kein nächstes Mal geben. Wir bekommen das schon irgendwie hin, Jimmy und ich.", antworte ich, glaube aber nicht wirklich an meine eigenen Worte.

"Vielleicht. Aber nicht solange ich zwischen euch stehe." Ich kann Leyla nur anstarren. Was will sie mir genau damit sagen? Will sie etwa....? Nein, bestimmt nicht.

"Was meinst du damit?" Entgeistert schaue ich sie an.

"Joey, ich gehe nach Hause. Morgen."

"Was? Nein, dein zu Hause ist doch hier. Hier bei mir." Flehend sehe ich sie an und nehme wieder ihre Hand.

"Nein, ist es nicht. Ich will nicht der Grund sein, wenn du und Jimmy das nicht mehr auf die Reihe bekommt. Es hängt viel mehr daran, als eure Beziehung zueinander. Ich kann nicht verantworten, dass all das, was ihr euch so mühsam aufgebaut und erarbeitet habt, kaputt gemacht wird. Nicht wegen mir." Tränen steigen ihr in die Augen. Ich unterdrücke den Reflex, sie an mich zu ziehen, denn wie es aussieht, will sie nicht von mir getröstet werden. Verzweiflung steigt in mir auf und ich versuche den Kloß herunter zu schlucken, der sich in meinem Hals gebildet hat.

"Das hat doch Alles nicht's mit dir zu tun.", flüstere ich und lege ihr eine Hand an die Wange.

"Doch, hat es und das weißt du auch.", entgegnet Leyla und legt ihre Hand auf meine. Ich schlucke hart und nicke dann.

"Glaube mir. Es ist besser so.", sagt Leyla und führt meine Hand von sich weg.

"Ich liebe dich." So, jetzt ist es raus! Eigentlich war mir das von Anfang an klar; gleich von Tag eins an. Aber so richtig klar wird mir die Bedeutung dieser drei Worte erst jetzt, wo ich sie ausgesprochen habe.

"Dann lass mich gehen.", flüstert Leyla und die erste Träne kullert ihr über die Wange.

"Und wenn ich mir wünsche, das du bleibst?" Zwischen meinen Unterlagen krame ich mein Buch hervor und deute auf mein Lesezeichen. Ja, ich hatte während der letzten Tage viel Zeit!

Ein kleines Lächeln huscht über ihr Gesicht.

"Du hast es echt bis zum Ende gelesen.", stellt sie überrascht fest.

"Natürlich.", antworte ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Leyla nimmt mir das Buch aus der Hand und streicht über den Einband.

"Bitte bleib.", sage ich leise.

"Nicht alle Geschichten enden mit einem Happy End.", sagt Leyla und gibt mir mein Buch wieder.

Da es nicht's bringen würde sie jetzt weiter zu drängen, gehe ich in mein Zimmer. Meine Unterlagen fliegen im hohen Bogen auf meinen Schreibtisch und ich werfe mich auf mein Bett. Das kann doch Alles nicht war sein!

Als ich die Augen wieder öffne ist es draußen hell. Mist! Schnell stehe ich auf, ziehe mir ein frisches Shirt an und hechte in den Flur. Vielleicht ist Leyla noch hier und wir können über Alles in Ruhe reden!

"Du hast verpennt. Sie ist weg." Erschrocken drehe ich mich um und entdecke Jimmy, der lässig an der Wand lehnt. Nein, das kann doch nicht sein!

Wie angewurzelt stehen Jimmy und ich im Flur. Fassungslos starren wir uns an. Ist das gerade wirklich passiert? Ist Leyla wirklich gegangen?

"Alles okay bei euch?" Patricia tritt zu uns und schaut fragend zwischen Jimmy und mir hin und her.

"Okay... Keine Antwort ist auch eine Antwort. Habt ihr Leyla gesehen?" Als ihr Name fällt rutscht mir das Herz in die Hose und Jimmy dreht sich um und geht. Dabei rammt er seine Schulter gegen meine und wirft mir einen Blick zu, der mich sicher töten sollte.

"Joey, hast du Leyla gesehen?", fragt meine Schwester erneut.

"Sie ist weg. Nach Hause."

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