Kapitel 75

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-Joey-

In wenigen Stunden ist Jahreswechsel, draußen wird es schon langsam dunkel. Dichtes Schneetreiben minimiert die Sichtweite auf wenige Meter. Hoffen starten bei dem Wetter überhaupt die Flieger!

Wir sind schon eine Weile dabei das Haus für die Silvesterparty vorzubereiten. Viel haben wir zwar nicht, aber ein bisschen Deko muss sein. Sonst kommt ja Keiner in Stimmung.

Getränkekisten werden geschleppt, das Abendessen zubereitet und auch der Sekt zum Anstoßen steht kalt. Ringsherum schießen Leute schon die ersten Raketen in den Himmel. Wenn das so weitergeht, bleibt es Mitternacht totenstill.

"Ist das die Letzte?", frage ich Paddy und deute auf die Kiste in seinen Händen, hinter der er selbst kaum zu sehen ist.

"Nein, Jimmy bringt die Letzte.", antwortet mein kleiner Bruder. Da ich mir die Qualen, die er sich mit der, für ihn viel zu schweren Kiste, antut nicht mit ansehen kann, nehme ich sie ihm ab und stelle sie zu den anderen.

"Ich drehe noch eine kleine Runde. Ist das okay, oder braucht ihr mich noch?", frage ich meine Schwestern, die in der Küche beschäftigt sind.

"Nein, gehe ruhig.", antwortet Patricia.

"Aber bleibe nicht zu lange. Wir wollen pünktlich essen!", ruft Kathy mir nach, als ich schon auf dem Weg zur Tür bin.

"Jaha!", antwortet ich, ziehe mir meine Jacke über und verlasse das Haus.

Auf den Straßen herrscht eine seltsame Unruhe. Menschen hetzen durch die Gegend, andauernd hupt irgendwo ein Auto und überall um mich herum knallt es. Um die Ruhe vor dem Sturm genießen zu können, war es offensichtlich nicht die klügste Idee, raus zu gehen. Egal.

Etwas außerhalb, wo es ruhiger ist, setze ich mich in einem Park auf eine Bank. Ich lege den Kopf in den Nacken und schließe die Augen.
Ein laut hupendes Auto fährt an mir vorbei und ich zucke erschrocken zusammen. Meinte ich nicht eben noch, hier sei es stiller? So viel zu dem Thema. Doch so leicht lasse ich mich nicht von hier vertreiben! Ich schaue wieder nach oben und betrachte kleine Wolken, die am schwarzen Himmel vorbei ziehen. Dazwischen funkeln vereinzelte Sterne und die Kondenzstreifen mehrerer Flugzeuge sind zu sehen.

'Hoffentlich sitzt Leyla in einem davon.', denke ich. Hoffentlich ist ihr Flug gestartet und sie ist auf dem Weg hierher. Auf dem Weg zu mir.

Einerseits freue ich mich natürlich auf sie; ich habe sie während der letzten Tage echt vermisst. Andererseits hätte ich gern mehr Zeit gehabt, um mich auf das Gespräch mit Jimmy vorzubereiten. Seit Leyla's Abflug überlege ich, wie ich es meinem Bruder beibringe, das wir, Leyla und ich, ein Paar sind. Manchmal kam mir der kurze Gedanke, ob wir es nicht für uns behalten können. Zumindest vorerst, bis wir uns sicher sind, dass diese Sache zwischen uns funktioniert. Aber das wäre meinem Bruder gegenüber nicht fair. Und wenn Jimmy es dann durch irgendeinen doofen Zufall herauabekommt, ist er erst Recht sauer. Dann lieber kurz und schmerzlos. Und vor Allem ehrlich!

Schon als ich in den Hausflur trete steigt mir der Duft von selbstgebackener Pizza in die Nase. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und mein Magen knurrt. Die meisten meiner Geschwister sind schon dabei den Tisch zu decken, was wohl heißt, das ich gerade noch rechtzeitig gekommen bin.

"Habt ihr schon was von Thomas gehört? Er wollte doch Leyla vom Flughafen herbringen, oder?", frage ich möglichst beiläufig und trage das Besteck ins Esszimmer.

"Leyla ist schon oben in ihrem Zimmer. Ihr habt euch vorhin ganz knapp verpasst.", antwortet Jimmy und wirft mir ein Päckchen Servietten zu.

Unter dem Vorwand, mir frische Klamotten anzuziehen gehe ich nach oben. Natürlich erst, nachdem ich den Tisch fertig gedeckt habe, versteht sich. Sonst könnte sich selbst die größte Schnarchnase seinen Teil denken.

In meinem Zimmer ziehe ich mir eine neue Hose und ein frisches T-Shirt über.

"Habe ich es doch richtig gehört, das du da bist.", sagt Leyla, die auf einmal in meiner Tür steht.

"Ja, sieht so aus.", antworte ich, da mir nicht's besseres einfällt.

"Willst du gar nicht wissen, wie mein Weihnachten war?", fragt Leyla zaghaft und schließt die Tür hinter sich.

"Äh... Doch, eigentlich schon.", antworte ich ehrlich. Wir setzen uns nebeneinander auf mein Bett, Leyla legt den Kopf an meine Schulter und beginnt dann zu erzählen. Ich nehme ihre Hand in meine und lausche ihren Erzählungen.

Während Leyla erzählt, vergeht die Zeit so schnell, das wir erst merken, das es Zeit für das Abendessen ist, als Patricia nach uns ruft.

Nach dem Abendessen sind wir alle so satt und vollgefressen, dass wir es uns im Wohnzimmer gemütlich machen und sehen uns einen Film an. Von diesem bekomme ich allerdings nicht viel mit, da mein Blick immer wieder zu Leyla huscht, die es sich in einem Sessel am anderen Ende des Raumes gemütlich gemacht hat. Zwar hat sie den Blick starr auf den Bildschirm gerichtet, aber ich sehe ihr an, dass auch sie mit den Gedanken wo anders ist. Als würde sie meinen Blick auf sich spüren können, zuckt genau dann ein Lächeln über ihr wunderschönes Gesicht. Zum Glück ist es so dunkel und meine Geschwister; vor allem Jimmy; bekommen davon nicht's mit. Die sind so auf den Film konzentriert, von dem ich nicht einmal mehr weiß, wie er heißt. Und wie es aussieht, geht es Leyla nicht anders, was mich schmunzeln lässt.

Die Zeit bis Mitternacht vergeht wie im Flug. Im Gegensatz zum Nachmittag ist es tatsächlich ziemlich ruhig draußen. Da auch wir den Jahreswechsel nicht vom Fenster aus erleben wollen, machen wir uns fertig. Okay, das klingt übertrieben. In Wahrheit ziehen wir uns einfach warm an und versammeln uns auf dem Balkon, den wir heute Nachmittag schon dekoriert haben. Sogar die Lichterkette, die Jimmy und ich um das Geländer geflochten haben brennt schon. Sieht sogar noch besser aus als ich dachte.

"Joey kannst du die Getränke mit nach draußen bringen? Es ist gleich Null Uhr!", ruft John mir von draußen zu.

"Klar!", antworte ich. Ich hole Gläser aus dem Schrank, nehme die Flasche aus dem Kühlschrank und stelle alles auf ein Tablett. Dieses balanciere ich nach draußen und stelle es auf dem kleinen Tisch in der Mitte ab.

"So, bitteschön. Ich gehe mir noch einen Pullover holen.", sage ich. Ist doch kälter als ich dachte.

"Okay, aber beeile dich. Wir wollen doch alle zusammen anstoßen."

Wieder im Wohnzimmer, ziehe ich den Pullover über. Als ich unter dem Stoff wieder auftaue, steht Leyla vor mir. Ich dachte, sie ist schon mit den Anderen nach draußen gegangen.

"Hey.", sagt sie leise.

"Hey.", antworte ich und kann meinen Blick nicht von ihr nehmen. In dem Moment, als ich etwas sagen will, starten meine Geschwister draußen den Countdown.

Zehn...neun...acht... Ich mache einen Schritt auf Leyla zu. Sieben...sechs...fünf... Leyla tut es mir gleich und schiebt ihre Hand in meinen. Vier...drei...zwei... Ich lege Leyla meine freie Hand in den Nacken und ziehe sie an mich. Eins...null!

"Happy New Year.", sage ich leise.

"Happy New Year, Joey." Leyla lächelt mir zu und ohne weiter über mein Handeln nachzudenken, drücke ich meine auf Leyla's Lippen und küsse sie. Genau wie vor ihrem Abflug.

Ringsherum knallen Raketen; die bunten Lichter flackern sogar durch meine geschlossenen Augen. Den tosenden Lärm nehme ich gar nicht war. Ich spüre einfach nur Leyla's Lippen auf meinen. Alles andere rückt in den Hintergrund. Weit in den Hintergrund.

Erst ein lauter Knall, der anders klingt, als all die andern holt mich aus meiner Trance. Das, und Leyla, die ruckartig von mir ablässt. Es ist ausgerechnet Jimmy, der im Wohnzimmer aufgetaucht ist und bei unserem Anblick eine der Getränkekisten hat fallen lassen.

"Happy New Year.", sagt er bitter, blitzt uns an und im nächsten Augenblick ist er auch schon wieder verschwunden. Mist!

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