Kapitel 2

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An Wochentagen klingelt mein Wecker normal immer um die gleiche Uhrzeit. Immer um sechs Uhr morgens, da ich pünktlich aufstehen und das Haus verlassen muss. Die immer gleiche und wiederkehrende Routine, die mich noch irgendwie zusammenhält. Dabei weiß ich, dass das in wenigen Monaten enden wird. Dann habe ich nämlich meinen Abschluss und sollte wissen, was ich mit meinem Leben anfangen will. Wie gesagt, ich sollte es wissen. Heute habe ich aber erst zur dritten Stunde, also reißt mich der Wecker erst gegen acht Uhr aus dem Schlaf. Immerhin etwas.

Während ich noch im Bett liege und an die Zimmerdecke starre, höre ich die kleinen und leisen Schritte auf dem Parkett und spüre dann auch, dass sich das Bett ganz leicht senkt, sodass ich meinen Blick neben mich lenke und etwas lachen muss.
Cassy: Guten Morgen, Stitch."
Stitch ist mein Kater, der seit wenigen Monaten bei mir lebt. Ich war damals mit Bolin unterwegs durch Enger nach einem Spiel und da haben wir ihn im Straßengraben gefunden. Damals war er noch sehr klein, abgemagert und hilflos von seiner Mutter zurückgelassen. Ich konnte ihn nicht zurücklassen und habe ihn daher mitgenommen und bin mit Bolin zum Tierarzt gefahren. Auch wenn die Prognose nicht sehr gut war, ihm geht es heute sehr gut und er gehört jetzt zu mir dazu.
Cassy: Ich weiß, ich muss mich noch fertig machen und du willst dein Frühstück haben. Ich komme ja schon, Stitch."
Die Decke lege ich von mir runter und setze mich im Anschluss an den Rand des Betts. Einen Moment verweile ich dort und schaue im Raum umher. Die Sonne geht auf, im Raum stehen einige wenige Kartons noch rum und meine Schultasche steht vor dem Schrank. Es ist nur noch dieser Tag, dann hast du Wochenende, Cassy.

Auf Schritt und Tritt läuft mir Stitch nach. Auch als ich mir meine Sachen aus den Schrank suche, läuft er neben mir her und setzt sich auf eine der Kisten, wo noch die letzten meiner Sachen drinnen sind. Ich werde mich nie daran gewöhnen können, dass wir jetzt hier sind. Dass ich das Alte hinter mir lassen soll. Für den Tag krame ich ein schwarzes Shirt und eine dunkle Cargo Hose raus, damit ich vom Bügel noch zuletzt ein rot kariertes Flanellhemd nehmen kann. Immer mehr praktisch als schick gekleidet, so war ich immer schon.

Geduscht und mit trockenen Haaren stehe ich um 8.45 Uhr vor dem Spiegel, damit ich mir die vorderen Strähnen meines Haares wegbinden kann. Dabei gehe ich mir wieder bewusst über den dunklen Ansatz. Neben meinen Pastellblauen Haaren fällt der auch wieder stark auf. Seit ich 13 Jahre alt bin, habe ich meine Naturhaarfarbe nicht mehr getragen und seitdem ich 16 bin und die Oberstufe besuche, trage ich auch immer gefärbte Kontaktlinsen. Ebenfalls Hellblau. Alles, damit ich so wenig nach mir aussehe, wie es geht. Meinen Ansatz sollte ich in den nächsten Tagen trotzdem wieder dringend blondieren. Das Blau sollte ich dafür auch noch haben. Zuletzt lege ich mir nur meine Kette um, die ich immer trage und stecke mir die drei Ringe an, die man jeden Tag an mir sieht. Meine Ohrringe trage ich immer. Links schlicht zwei silberne Kugeln und am rechten Ohr habe ich dazu noch ein Industrial und Helix Piercing. Durch das Hemd verdecke ich das Traumfängertattoo auf meinem rechten Oberarm und auch den kleinen Schmetterling auf meinem rechten Handgelenk. Auch wenn fast jeder es weiß, gerade ist es nur zu kalt, diese offen zu zeigen. Ich freue mich wieder auf den Sommer. Den November hasse ich von allen Monaten sowieso am meisten.

Stitch miaut mich an, als ich endlich unten in der Küche ankomme und ihm somit was zum Fressen geben kann. Ich bin noch gut in der Zeit, kann ihm das also geben, mein Brötchen auf den Toaster legen und im Haus noch die Rollos alle hochlassen. Ein normaler Herbsttag, es regnet zum Glück nicht und es ist nicht mehr stockfinster draußen. Während des Frühstückes werde ich von meinem Kater so gut wie in Ruhe gelassen. In der Klassengruppe auf WhatsApp ist nichts los und auf musical.ly oder Instagram ist auch nichts interessantes zu sehen. Also starte ich YouTube und schaue eines der letzten Videos von Julien Bam »5 Youtuber VERARSCHEN (feat. ApeCrime)«, damit es nicht so still im Haus ist. Die Stille, die in den vergangenen Jahren entstanden ist, habe ich nicht gut aushalten können und ich denke, ich werde sie auch nie aushalten können.

Meine Schultasche steht im Flur, während ich mir die Jacke überziehe. Dabei sitzt Stitch hinter mir und schaut mich die gesamte Zeit über an. Heute ist einer meiner langen Tage, da ich heute Nachmittag noch nach Bünde muss. Klavierunterricht. Zuletzt verabschiede ich mich von Stitch, nehme noch die letzten Sachen inklusive Haustürschlüssel und verlasse danach auch um 9.15 Uhr das Haus. Zur Schule laufe ich 20 Minuten, immerhin lebe ich auch in Herford und muss daher nicht mit dem Bus fahren. Ich setze mir meine Kopfhörer auf und starte die Playlist mit den sieben Titeln, die ich am Morgen immer höre.

• Halt dein Maul – Y-Titty
• Sugar (feat. Francesco Yates) – Robin Schulz
• Uptown Funk (feat. Bruno Mars) – Mark Ronson
• Ich trau mich nicht – ApeCrime
• Take a Hint – The Great Pop Crew
• Roar - Katy Perry
• Stressed Out - Twenty One Pilots

Als ich auf einen abgelegeneren Feldweg ankomme, zünde ich mir noch eine Zigarette an, nehme einen ersten Zug und lasse meinen Kopf danach in den Nacken fallen. In wenigen Wochen haben wir Weihnachtsferien, aber zuerst muss ich dieses Wochenende überleben.

Zum Gymnasium hin laufe ich über den Parkplatz und sehe dort auch gleich das Auto von Bolin. Er ist fast immer vor mir hier und seinen alten Mercedes würde ich immer erkennen. Bevor ich durch den Eingang gehe, nehme ich meine Kopfhörer wieder ab, da ich bereits einmal schon von einer Lehrerin angesprochen wurde, dass ich im Gebäude keine Musik hören soll. Manche sehe das alles auch zu streng. Ich bin immerhin alt genug, darf mein Handy in der Schule nutzen. Durch die Flure geht es zum Trakt, wo die Abiturienten alle sind. Einige aus meinen Kursen begrüßen mich kurz und knapp und ich gehe weiter ins Auditorium, wo wir uns in den Pausen aufhalten. Dort sitzt auch Bolin an einem Tisch und liest in seinem Biologie Buch.
Cassy: Hast du schon wieder die Hausaufgaben vergessen, Bolin?"
Mit seinen typisch beleidigten Blick schaut er auf und will mit dem Buch nach mir schlagen. Allerdings kann ich vorher ausweichen und lache daher leicht.
Bolin: Wir schreiben später die Klausur. Ihr im Physik Grundkurs habt ja bereits geschrieben. Ich hasse dieses Fach so sehr!"

Für die Zeit, die wir noch bis zur nächsten Stunde haben, sitzen wir beide im Auditorium, danach muss Bolin zu seiner Bioklausur und für mich geht es zum Musikraum, wo ich heute meine zwei Stunden Musik Leistungskurs habe, bevor ich die Schule wieder verlassen könnte. Ich warte nur bis nach der fünften, weil Bolin dort Schluss hat und mich mit nach Bünde nimmt. So kann ich mir eine Busfahrt unter den nervigen Kindern sparen und komme trotzdem zu meinem Unterricht...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt