Kapitel 25

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»Ich möchte meine Erinnerungen verbrennen. Ich möchte sie nehmen, zusammenknüllen oder zerreißen, es ist mir egal, und sie mit allem, was mir geblieben ist, in Asche verwandeln. Mit all dem Schmerz, der Trauer und Wut, der Angst und dem großen Loch in mir drin.«

Weiter als über den ersten Absatz hinaus, bin ich beim Buch gar nicht mehr gekommen. Es ist das dritte Buch, was ich lesen wollte, aber in den wenigen Tagen ist das doch etwas viel geworden. Es ist gerade mal Dienstagabend, erst seit Sonntag muss ich offiziell zu Hause blieben und ich könnte jetzt schon vor Langeweile sterben. Natürlich, ich könnte auch irgendwas auf meiner Wii spielen, eine Serie oder einen Film schauen oder sonst was zum Zeitvertreibt machen, aber wenn es das einzige ist, was man machen kann, verliert es schnell an Interesse. Zwei Bücher habe ich komplett durchgelesen und ich denke, dass ich auch erstmal genug davon habe. Und trotzdem sind es noch zwei lange Wochen, die ich hier verbringen soll und ich halte es jetzt schon nicht mehr aus. Ich könnte auch den ganzen Tag vor meinem Klavier hängen, aber auch da bin ich irgendwann mit meinem Lied durch. Es bleibt also einfach dabei, ich werde mich hier mit meinen Kater langweilen. Immerhin ist das hier auch eine Strafe, also erfüllt sie wohl perfekt ihren Zweck.

Einziger Lichtblick an den Abenden ist Bolin, da wir zu der Zeit immer über Facetime sprechen können. Er ist dann auch wieder zu Hause, wir beide haben unsere Aufgaben erledigt und reden die Zeit, bevor wir uns schlafen legen würden, noch miteinander.
Bolin: Und, wie kommt dir das Zimmerhüten?"
Cassy: Mir fällt die Decke auf den Kopf! Gott, es ist hier so verdammt langweilig, das kannst du dir kaum vorstellen. Ich habe auch einfach keine Idee mehr, was ich noch tun sollte."
Bolin: Hast du-"
Cassy: Ja, ich habe gelesen, eine Serie geschaut, die Aufgaben gemacht, das Projekt für Seminarfach fast fertig, mit Stitch gespielt, mein Klavierlied fertig und das neue Skylanders für die Wii auch beinahe beendet."
Bolin muss anfangen zu lachen, weil ich all das in drei Tagen gemacht habe. Was soll ich denn sonst machen? Für den Garten viel zu kalt, Chris ist den Tag meist unterwegs bei der Halle in Bünde und die Schule ist manchmal früh zu Ende. Verein und Klavierunterricht ist erst am Ende der Woche. Ich. Habe. Zu. Viel. Zeit!
Bolin: Morgen wieder Mediathek? Ich muss mein Buch wieder zurückbringen."
Cassy: Sehr gerne."
Bolin: Weil du so Velory auch aus dem Weg gehen kannst."
Cassy: Am liebsten würde ich die niemals wiedersehen."

Zum Glück gehen wir nicht in einem Jahrgang und sehen uns daher höchstens in den Pausen. Anderweitig hätte ich sonst alles probiert, damit ich sie nicht sehen muss. Da hätte ich sogar lieber den seltsamen Herr Heyne bei seiner Chemiesammlung geholfen, von der ich keine Ahnung habe. Aber die ist immerhin abgeschottet von allem, aber vor allem von Velory.

Bolin gähnt leicht und lässt sich auf sein Bett fallen. Für mich ist es noch recht früh, aber ich weiß, dass er immer sehr früh aufsteht und daher seinen Schlaf eigentlich braucht.
Cassy: Willst du schlafen gehen?"
Bolin: Ich will dir nicht den Eindruck geben, dass ich nicht für dich da sein will."
Cassy: Du machst gerade sehr viel. Ohne dich würde ich am Abend hier eingehen. Ich kann dann aber noch etwas mit Stitch spielen und die Kisten ausräumen...wäre mal Zeit."
Ich schaue zu den zwei letzten Kartons, wo noch Erinnerungen aus vergangenen Zeiten und der alten Wohnung drinnen sind. Bisher konnte ich das einfach nicht...
Bolin: Soll ich dich morgen abholen?"
Cassy: Bei mir fällt Religion aus. Ich komme erst zur dritten Stunde. Wir können uns aber in der Pause in der Mediathek treffen, okay?"
Bolin: Klingt nach einem guten Plan, Chef. Mach nicht mehr zu lange."
Cassy: Du weißt, dass ich nur lügen würde."
Bolin: Natürlich. Bis morgen Cassy."
Cassy: Bis morgen Bolin. Verschlaf auch nicht."

Mein Weg am Morgen zur Schule hin ging wie immer etwa 20 Minuten und ich komme so auch pünktlich zur Pause dort an. Einige der kleineren Schüler laufen mir entgegen, aber haben dabei eher das Ziel auf den Hof zu kommen. Mein Weg geht gleich in den Trakt der Abiturienten und in einen der Seitengänge der unteren Etage. Über ein paar wenige Stufen komme ich dort an und muss nur noch einzig an den Kunsträumen vorbeilaufen. Und dort, bei einen der ersten Räume, kommt es genau zu der Begegnung, die ich verhindern wollte.

Ich weiß nicht, warum ich das getan habe, ich schaue für einen Moment in einen der Räume und genau dann, wie hätte es anders sein sollen, kommt genau sie aus dem Raum heraus. Dabei sehe ich ihr freches Lächeln, was ich kaum ignorieren kann.
Velory: Hat Daddy dich nicht eingeschlossen oder weggezaubert?"
Cassy: Halt die Klappe Velory. Du weißt rein gar nichts, lass mich einfach in Ruhe, verstanden? Du hast genug angerichtet."
Ich will weitergehen. Ich will aus der Situation raus kommen. Ich will von ihr weg. Und trotzdem schafft sie es immer wieder einen Punkt zu triggern, der mich in ein Gefühl von Machtlosigkeit treibt. Machtlosigkeit über mein eigenes Handeln, Denken und Fühlen.
Velory: Mommy war vermutlich ganz entsetzt, dass ihr braves, kleines Mädchen nachts von der Polizei nach Hause gebracht wurde."
Cassy: Lass es...spricht das nicht an...wag es dir nicht..."

Du hast keine Ahnung, was du da machst! Du hast keine Ahnung, wer sie war! Du weißt rein gar nichts! Du kennst mich nicht!
Velory: Ach...ich habe es vergessen...für Christina interessiert sich niemand. Einfach nur ein Unfall, der niemals geliebt werden würde."
Die anderen schauen sie an, danach mich, wie ich den Kiefer zusammenpresse und meine Hände zu Fäusten ball. Ich hasse sie!
Velory: Vermutlich würden sie vieles tun, damit sie nicht deine Mutter sein müsste. Vielleicht würde sie auch einfach einen Unfall vortäuschen, um es zu beenden."

Sie hat eine Grenze übertreten, nach der es für mich keinerlei Zurück mehr gibt. Auch wenn sie versucht, mich mit ihren Händen davon abzuhalten, ich gehe auf sie los, packe nach ihren Schulter, schreie sie an, aber bekomme davon kaum was mit. Immer wieder dränge ich sie weiter weg, habe aber immer wieder noch was zu sagen. Das letzte, was ich dann aber sehe, sind ihre rudernden Arme, als sie die Treppenstufen des Gangs runterfällt...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt