Kapitel 21

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Am nächsten Samstag sitze ich mit meinem Bruder wieder in der Halle, aber dieses Mal in unseren Büros. Bis vor einer Stunde hatten wir eine Besprechung, die endlich durch ist und ich trage die Sachen nach, die noch verbessert wurden. In den nächsten Wochen gehen die letzten Bestellungen raus, die letzten Skizzen sind dann gefestigt und alles sollte danach stimmen. Dann kann »Magic – Die einmalige Stadionshow« stattfinden. Endlich!

Während ich an meinem PC sitze und die letzten Dateien speichere, leuchtet mein Handy wieder auf. Als ich heute Mittag gegangen bin, meinte Cassy, dass sie sich heute mit ihren Freunden treffen wollte. Es würde nicht lange dauern, da sie etwas klären wollte. Ob es letzte Woche dann tatsächlich an denen gelegen hat? Mittlerweile ist es fast neun Uhr und ich dachte, dass, wenn ich bald nach Hause komme, dass sie dann auch wieder da sein wird. Die Nachricht, die sie mir geschrieben hat, sagt aber was anderes.
Cassy: Bin noch bei meinen Freunden. Wird doch etwas später.
Chris: Kommst du heute aber wieder zurück oder bleibst du bei Bolin?
Cassy: Der ist heute gar nicht dabei. Ich komme später nach Hause.
Cassy: Keine Sorge, wird nicht zu spät.
Chris: Ist gut, melde dich vielleicht später nochmal. Ich gehe jetzt bald nach Hause.
Eine weitere Nachricht bekomme ich danach nicht mehr und ich weiß nicht wieso, aber es beunruhigt mich etwas. Das Verhalten, was sie die letzte Woche gezeigt hat und jetzt dieses spontane Treffen, irgendwas passt da nicht zusammen.

Meinen skeptischen Blick, den ich noch immer auf mein Handy gerichtet habe, bekommt mein Bruder auch mit. Zuerst meide ich seinen und schaue daher wieder auf meinen Bildschirm, aber als die letzte Datei gespeichert ist, sodass ich den runterfahren kann, muss ich zwangsweise wieder zu ihm hinsehen.
Andreas: Ist irgendwas mit Cassy?"
Chris: Sie ist heute mit Freunden unterwegs."
Andreas: Und was ist daran so seltsam? Du schaust die ganze Zeit immer wieder auf dein Handy. Ist etwas vorgefallen?"
Weiß ich selbst ja nicht mal richtig. Ich hatte immer wieder vor sie anzusprechen, aber habe mich nie getraut. Gerade halten wir es zusammen in diesem Haus aus und das wollte ich nicht riskieren. Den Frieden, den wir mehr oder wenige haben, wollte ich nicht wieder zerstören, weil ich das immer wieder geschafft habe.
Chris: Letzte Woche ist sie abends kurz weg gewesen, keine ganze Stunde. Als sie dann aber wieder kam, ich wusste nicht, wo sie hin ist, war sie so...anders."
Andreas: Was heißt denn anders?"
Chris: Wenn ich das wüsste. So aufgelöst irgendwie. In der Woche hatte sie sich dann in ihrem Zimmer eingeschlossen und war nur für Schüle, Verein und Klavierunterricht draußen unterwegs."
Andreas: Das ist wirklich seltsam."

Ich zucke mit den Schultern, da ich keine Antwort habe und von ihr auch nicht bekommen habe, geschweige denn bekommen werde. Normal versucht sie immer so wenig wie möglich zu Hause zu sein und diese Woche wollte sie gar nicht weg. Dazu hat sie kaum ihr Zimmer verlassen. Am Abend hat sie immer oben gegessen, ich habe ihr etwas gebracht und am Morgen, ich stehe nach ihr auf, stand der Teller wieder unten in der Küche. Das letzte Mal, dass sie so distanziert war und Zeit für sich brauchte, war, als sie ihre Mutter verloren hatte. Daher zerbreche ich mir den Kopf, was ihr widerfahren sein muss, dass sie wieder so geworden ist.

Meine Sachen finden ihren Weg in meine Tasche, da ich bereit bin nach Hause zu fahren. Ich muss mich um Stitch kümmern, will noch eine Kleinigkeit essen und danach vielleicht eine Serie sehen. Ans Schlafen könnte ich nicht denken, wenn Cassy unterwegs ist und sich derartig seltsam benimmt.
Andreas: Du gehst nach Hause?"
Chris: Ja, ist spät geworden. Außerdem wartet Stitch auf mich."
Und den Kopf für irgendwas anderes habe ich auch schon lange nicht mehr. Zeitgleich packt auch Andreas seine Sachen zusammen, damit wir gemeinsam das Büro verlassen können. Im Gegensatz zu mir muss er nur einen kurzen Weg über den Hof gehen. Für mich ist es eine kurze Fahrt, bis ich wieder zu Hause ankomme.
Andreas: Hältst du mich auf den laufenden, wie es mit den Plänen steht?"
Chris: Ich schicke dir die Updates, keine Sorge, Bruder."
Ein letztes Lächeln und eine bestätigende Handgeste von ihm, bevor er sich verabschiedet und seinen Weg geht, wobei ich zum Auto gehe und mich auch auf den Weg mache. Bevor es los geht, schaue ich nochmal aufs Handy, aber keine neue Nachricht. Ich schmeiße es auf den Beifahrersitz, was sich im Laufe der Fahrt als Fehler herausstellt. Ich lenke mich immer wieder ab und reiße dabei mein Auto an einer Kreuzung beinahe in den Gegenverkehr. Cassy darf nicht noch einmal eine solche Nachricht hören müssen. Keinen Autounfall, konzentriere dich, für deine Tochter.

Es ist 23 Uhr, als ich allmählich die Nerven verliere. Cassy hatte sich kein weiteres Mal gemeldet und seit wir geschrieben hatte, war sie nicht mehr online. Auf meine Nachricht hatte sie nicht geantwortet und als ich versucht hatte sie anzurufen, was wohl gemerkt nie vorkommt, wurde ich entweder weggedrückt, oder sie hatte ihr Handy ausgestellt, oder es ist ausgegangen. Macht es aber nicht besser! Ich war kurz davor Bolin zu schreiben, aber da fiel mir ein, dass sie selbst geschrieben hatte, dass er heute nicht dabei gewesen ist. Heißt, dass meine Tochter mit irgendwelchen Leuten unterwegs ist, die ich in meine Leben noch nie gesehen habe! Bewahre die Ruhe, Christian. Sie ist kein kleines Mädchen mehr und war öfters schon unterwegs. Du weißt, dass sie nicht trinkt und dass sie noch nie in ihrem Leben was angestellt hat. So war sie noch nie. Am Ende haben sie einfach nur die Zeit vergessen. Sei doch froh, dass Cassy sich wieder hat ablenken lassen und vielleicht konnte sich am Ende doch alles klären. Denk nicht immer so pessimistisch.

Mit ihrem Kater sitze ich im Wohnzimmer, eine Serie läuft gerade durch, wobei ich den Anschluss schon lange verloren habe. Stitch ist der erste der aufschaut, sodass ich mich erst wunder. Kurz darauf klingelt es aber an der Haustür. Er muss wohl Autotüren oder sowas gehört haben. Warum klingelt Cassy? Sie hat einen Schlüssel. Ich stehe auf, wobei sich Stitch keinen Zentimeter bewegt. An der Haustür muss ich erstmal aufschließen, da ich sie immer abschließe und als ich die Tür öffne, zeigt sich ein Bild, was ich lange nicht gesehen hatte und was mich innerlich schockiert. Vor mir stehen zwei Beamte der Polizei, dahinter kleinlaut meine Tochter, die sich nicht traut, mich anzuschauen.
Polizist: Herr Reinelt, wir müssen Ihnen ihre Tochter vorbeibringen...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt