Sina packt ihre letzten Sachen zusammen, da sie sich nicht sicher ist, ob sie über den Tag nochmal zum Hotel gehen würde. Heute ist der große Tag. Die Nervosität, die ansonsten immer meinen Vater plagt, übernimmt auch mich jetzt, wobei das an verschiedenen Dingen liegen dürfte. Und einer davon steht gerade noch mit im Raum.
Ihr Rucksack ist beinahe gepackt. Aus dem Badezimmer holt sie noch ihre kleine Tasche, da dort alles drin ist, was sie für Haare und Make-Up noch gebrauchen könnte und diese wandert auch noch in ihren Rucksack. In der gesamten Zeit habe ich meinen Blick nie von ihr abgewendet, weil ich das nicht geschafft hatte. Innerlich habe ich einen Kampf mit mir selbst geführt, dass ich das, was mir im Kopf kreist, ansprechen muss und zugleich denke ich, dass es der komplett falsche Moment ist. Aber wann sollte es bitte der richtige Moment sein? Wir sehen uns jetzt bis August mindestens nicht mehr. Und sie bekommt davon gar nichts mit, da Sina ihre Checkliste durchgeht, damit sie für den Auftritt heute Abend nichts vergessen würde. Heute geht es für jedermann um alles.
Meine Hände habe ich auf meinen Beinen liegen. Mit zwei Fingern streiche ich über den Schmetterling an meinem rechten Handgelenk. Angewohnheit von mir, die eigentlich jeder einordnen kann. Nervosität. Dass ich mich einfach vor dem drücken will, was eigentlich unausweichlich ist. Es wäre ihr gegenüber nicht fair.
Christina: Sina?"
Als sie sich in meine Richtung dreht, lächelt sie zuerst. Dieses typische Lächeln von ihr, was ich den Tag über gestern immer wieder sehen durfte, was ihr auch sehr gut steht, was ich gerne bei ihr sehe. Aber je länger sie mich, meine Blicke und meine Art, wie ich dort vor ihr sitze, beobachtet, desto weniger sehe ich davon.
Christina: Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt echt das Arschloch in der Geschichte bin, erst recht nach dem gestrigen Tag, aber ich will ehrlich zu dir sein...ich muss erst mit mir und meinen Gefühlen und Gedanken klar kommen, bevor ich dir irgendwie sagen kann, was das zwischen uns ist und ob es überhaupt was wird."
Sina: Verstehe ich..."
Lüge. Wenn man sowas gesagt bekommt, bei einer Person, bei der man sich Hoffnung macht, ist es niemals okay und man versteht es auch niemals richtig.
Christina: Es tut mir leid, dass ich dir das antue."
Sina: Ich bin dir dankbar, dass du ehrlich bist. Und ja, es ist vielleicht nicht leicht für mich zu verstehen...aber ich kann dich zu nichts zwingen."Bedrückendes Schweigen zwischen uns beiden, was keiner von uns beiden wirklich gut aushalten kann. Sina packt weiterhin die Sachen, obwohl sie so wohl nur von sich ablenken und mich nicht weiterhin anschauen will. Bevor das hier noch ganz schlimm endet, stehe ich vom Sofa auf, verabschiede mich von Sina, sie sich ebenfalls und dann verlasse ich das Zimmer, wo ich die Nacht gewesen bin.
Mit meinen Vater treffe ich mich unten in der Lobby, so hatten wir es zuvor noch per WhatsApp abgesprochen. Immerhin kamen keine etlichen nachfragen, warum ich nicht ins Zimmer gekommen bin und wie der Abend gestern war. Zumindest nicht über Nachrichten. Als ich aus dem Fahrstuhl komme, sehe ich ihn gleich, wobei er gerade noch am Handy ist und telefoniert. Mit einer Kopfbewegung zeigt er mir, dass wir schon gehen können. Einige weniger Fetzen des Gesprächs bekomme ich mit, aber ich beachte sie nicht weiter. Den Inhalt verstehe ich sowieso nicht. Meinen Blick habe ich auf meine Füße gesenkt, ich laufe wie ferngesteuert neben meinen Papa daher und hänge meine Gedanken auf. Hätte ich das gestern gelassen, hätte ich Sina nie derartig kennengelernt, aber zugleich hätte ich ihr heute morgen nicht sowas sagen müssen. Ich will gerne keine Angst mehr haben, es kann und wird immer wieder passieren und sie versucht alles, damit ich keine haben muss. Sie hat sich trotz der Drohung meines Vaters an mich gewagt. Was sollte Sina noch machen?
Den leichten Stoß gegen meinen Arm bekomme ich mit, schaue auf und sehe, dass mein Vater schon gar nicht mehr telefoniert. Vermutlich macht er das eine ganze Zeit schon nicht mehr und hat stattdessen mein seltsames Verhalten beobachtet.
Chris: Willst du drüber reden?"
Dafür, dass ich so lange gedacht hatte, dass er nichts von mir weiß, bekommt er sehr schnell mit, wenn etwas nicht stimmt. Wollen ist eine gute Frage. Ich will gerade sehr viel und mein Kopf dagegen sehr wenig.
Christina: Hattest du nie die Angst, dass sowas, was Mama getan hat, dir nochmal passieren könnte?"
Er zuckt mit den Schultern, schaut kurz auf, um zu sehen, wo es jetzt entlang geht, aber richtet seinen Blick ziemlich schnell wieder zu mir hin.
Chris: Wenn du immer nur daran denkst, was passiert ist und was passieren könnte, vergisst du irgendwann das hier und jetzt zu genießen."
Ich würde dazu gerne noch etwas sagen, aber irgendwie hatte er alles gesagt. Einen Abend habe ich mal nicht drüber nachgedacht und das war der gestrige Abend. Und ehrlich, ich habe die Zeit mit ihr dort auf der Dachterrasse der Bar geliebt. Und eigentlich nicht nur das.Bei den Proben sitze ich in der Nähe meines Vaters. Die Gewerke haben hier viel zu viel zu tun, da lasse ich alle für sich in Ruhe. Ab August haben sie mich sowieso immer am Hals. Die einzelnen Besprechungen lasse ich an mir vorbeiziehen, da Papa dann keine Zeit hat und ich sehe in der Zeit die Bilder durch, die ich hier gemacht habe, damit ich heute Abend noch etwas auf Instagram posten könnte. Die letzte Abnahme folgt von meinen Vater und Onkeln und den Meistern der Gewerke, aber schnell kommt das okay. Es geht bald los.
Und dann sitze ich wieder in der Kabine meines Vater, während er die letzten Sachen an sich regelt oder regeln lässt. Seine Haare liegen wieder wie gewohnt, die Sachen trägt er bereits und gerade legt er sich noch die letzte Kette um. Andreas klopft beim Vorbeigehen an seiner Tür, was das Zeichen ist, dass er zur Bühne geht.
Christina: Es geht gleich los."
Verkrampft nickt mein Vater, weicht keinen Zentimeter vom Platz, bis ich auf ihn zugehe und ihn noch ein letztes Mal in Arm nehme.
Christina: Ich weiß, dass ihr das schaffen werdet...ich bin unendlich stolz auf euch..."
Chris: Danke..."
Einmal drückt er noch meine Schultern, als wir einander wieder anschauen, bevor er die letzten Sachen vom Tisch nimmt, die er hinter der Bühne gebrauchen wird.Die Tür der Kabine wird wieder ein Stücke geöffnet und zuerst schauen wir beide dahin, aber ich wende sehr schnell meinen Blick ab.
Sina: Der Plan ist jetzt gleich geblieben?"
Ich spüre, dass der Blick meines Vaters auf mir liegt, aber versuche das Gefühl zu unterdrücken. So wie vieles andere Christina. Und wozu hatte es dich immer wieder gebracht? Willst du dich dein ganzes Leben immer wieder verstecken?
Chris: Alles so, wie ich es gestern nochmal rumgeschickt hatte. Deine Sachen hängen bei der Bühne, falls ich das vergessen haben sollte."
Sina: Okay, danke dir. Viel Erfolg und Christina?"
Wie sie meinen Namen ausspricht. Vorsichtig sehe ich wieder auf und direkt zu ihr hin. Es ist euch beiden nicht fair gegenüber.
Sina: Genieße die Show."Bevor Sina die Kabine meines Vaters wieder verlassen kann, drücke ich mich an ihm vorbei, damit ich nach ihrer Hand greifen kann. Sichtlich übervordere ich sie damit. Das sagt zumindest ihr Blick aus, den sie nicht von mir lässt.
Christina: Papa?"
Aber mein, vielleicht auch leicht unsicheres, Lächeln zeigt ihr, dass alles gut ist.
Christina: Ich war gestern mit Sina aus. Ich mag sie wirklich sehr und ich denke, dass das zwischen uns in geraumer Zeit auch etwas ernsthaftes und offizielles werden könnte."
Sina schenkt mir wieder das Lächeln, was ich so gerne bei ihr sehe. Wenn die Wahrheit dafür ausreicht, dass ich es von dir bekomme, will ich immer so zu dir sein. Wieder schaue ich zu meinen Vater, der das alles bereits wusste und mich jetzt sanft anlächelt.
Christina: Ich wollte, dass du das weißt, denn ich habe mich in Sina verliebt...
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Nameless to You
Fanfiction»Es heißt immer, dass alles im Leben einen bestimmten Grund hat, aber manchmal würde ich diesen nur zu gerne wissen!« Ein anfangs normaler Herbsttag im November zerstört in diesem Fall eine gesamte Familie und keine erbrachte Mühe scheint das Ausmaß...