Während er uns beiden etwas in die Gläser einschenkt, beobachte ich ihn eine Zeit. Soweit ich mich erinnere, hat er sich seit dem Tod von Mama mit niemand anderen getroffen. Woher weiß er dann, dass er auch auf Männer steht und warum hat er das nicht gemacht? Ist jetzt nicht so, dass er nicht für andere attraktiv wirken könnte, bestes Beispiel Karina, aber ich denke, dass es an mir liegen wird. Wegen meiner dummen Art, die ich ihm in all den Jahren immer wieder gezeigt habe.
Papa setzt sich gerade wieder richtig hin und will etwas aus seinem Glas trinken, als ich ihn ungewollt dazu bringe, dass er sich verschluckt.
Christina: Wie sieht es bei dieser Thematik eigentlich bei dir aus?"
Das Glas stellt er wieder vor sich ab, fängt sich kurz und muss danach etwas verlegen lachen, bevor er seinen Blick wieder zu mir richtet.
Chris: Willst du jetzt wirklich mit deinem Vater darüber reden, was er Datetechnisch in den letzten Jahren so erlebt hat?"
Ich muss da nicht lange drüber nachdenken, nicke einfach und bringe uns beide daher zum Lachen. Wenn ich der Grund bin, dass du solo geblieben bist, will ich es jetzt ändern.
Christina: Wie hast du rausgefunden, dass du auch auf Männer stehst? Hast du Mama jemals...betrogen?"
Ihn das zu fragen ist mir doch irgendwie unangenehm. Was sollte er dir jetzt sagen, Christina? Wenn es passiert ist?
Chris: Das hätte ich ihr niemals antun können. Ja, zum Ende unserer Ehe lief alles schlecht und einige Sachen, die für mich zu einer Beziehung gehören...wenn man den anderen nicht mehr liebt, fühlt sich vieles irgendwann falsch an."Ich denke, ich weiß, was er anspielt und bin froh, dass er nicht alles ausspricht. Aber ich kann dich verstehen. Auch ich habe diese Zeit mir Velory immer genossen.
Chris: Ich habe es rausgefunden, als ich in Frankreich war mit 16."
Ich setze mich etwas näher an ihn ran, bringe Papa erneut zum Lachen, aber will wirklich mehr von ihm erfahren. Auch, wie er es bei sich rausgefunden hat.
Chris: Louis ging in die Klasse, wo ich untergebracht war. Wir verbrachten viel Zeit zusammen, kamen uns immer wieder irgendwie näher, aber etwa eine Woche, bevor ich gehen musste, hatte er mich bei einen unserer Treffen geküsst...ich bin weggelaufen. Zu Hause hatte ich deine Mutter und dich. Es war falsch, was ich da tat."
Seine Hände gehen über seine Beine. Etwas, was ich auch immer wieder mache, wenn ich nervös bin. Papa bekommt meine Blicke mit, dass ich genau weiß, warum er das tut.
Chris: Ich habe es Sarah gesagt und sie hatte mich aufgefordert, dass ich es niemals jemanden sagen sollte."
Christina: Warum hat sie das getan?"
Chris: Zumal, weil sie gegen alles war, was nicht der Norm entsprach. Egal, ob es zwei Männer, zwei Frauen oder alles, was dazwischen ist, gewesen ist, für sie waren diese Menschen einfach krank und nicht normal. Sie wollte nicht, dass irgendjemand weiß, dass ich auf Männer stehe, weil, was sollten sie über sie denken? Dass ich mit ihr als Freundin nicht glücklich bin?"
Meine Mutter war wirklich eine richtige Narzisstin.Warum haben wir beide nur so unter Mama gelitten? Weil er nicht gehen konnte. Er hätte dich sonst verloren und das hätte er nicht verkraften können. Und in den letzten Jahren habe ich ihm das Leben zur Hölle gemacht. Wenn ich könnte, würde ich die Zeit gerne zurückdrehen und alles anders, aber vor allem besser, machen. Im Nachhinein ist man aber immer schlauer, würde vieles anders machen, aber immerhin kann ich es für die Zukunft mitnehmen und ihm jetzt beistehen.
Ich kaue auf meiner Lippe herum und lege mir den nächsten Satz in Gedanken zurecht, aber egal, wie ich es auch formuliere, der Satz bleibt seltsam und da muss ich einfach durch.
Christina: Hast du dich in den letzten Jahren überhaupt mit jemanden getroffen? Weil...ich habe es dir wohl nicht gerade leicht gemacht..."
Chris: Habe ich, aber immer, wenn es auf was ernsteres rauslief, habe ich den Kontakt abgebrochen. Zum einen wegen dir, aber auch...weil es sich immer falsch angefühlt hatte."
Christina: War da auch mal ein Typ drunter?"
Chris: Ein paar wenige."
Christina: Hattest du auch mal was mit einem Mann?"
Chris: Christina!"
Mein Vater muss lachen und schaut zu mir hin. Zum einen, weil er wirklich über meine ständigen und vielleicht etwas zu neugierigen Fragen lachen muss, aber ich sehe auch, dass er etwas rot geworden ist.
Chris: Willst du wirklich mit deinem Vater darüber reden?"
Christina: Du bist nur knapp 15 Jahre älter. Du könntest auch ein Freund aus der Uni sein, die ich noch nicht besuche."Ich würde Chris immer als meinen Vater ansehen, denn das ist er. Ja, uns trennen knappe 15 Jahre, aber trotzdem hat er damals sein Bestes getan und scheinbar hat er auch vieles richtig gemacht. Trotzdem sind wir uns in zu vielen Dingen zu ähnlich und viele Phasen im Leben laufen gefühlt bei uns parallel ab. Außerdem war ich immer schon neugierig. Die Grenzen davon habe ich noch nicht gefunden.
Da ich nicht aufhöre ihn anzuschauen, lacht Papa verlegen und schaut auf den Boden, bevor er zu seinen ersten Satz ansetzen kann.
Chris: Ich habe vor knapp zwei Jahren in Münster Rafael kennengelernt. Ich war mit Manu und Paul feiern und in einem Club sind wir beide ins Gespräch gekommen. Auch er war an den Abend unfassbar nett, liebenswürdig und einfach einfühlsam süß zu mir. So kam es, dass ich eben nicht mit zu Paul gegangen bin, sondern mit zu Rafael."
Ich habe das Gefühl, als müsste ich ihn in diesen Augenblick unterbrechen, dass er nicht doch zu sehr ins Detail geht, aber bevor ich das machen kann, lacht er erneut und reißt mich etwas aus meinen Gedanken raus.
Chris: Ich kann sehr gut nachvollziehen, warum du auf Frauen stehst. Frauen sehen ganzheitlich deutlich ästhetischer aus als Männer."
Ich muss ungehalten lachen, lasse mich gegen die Lehne des Sofas fallen und wecke dadurch meinen Kater auf, der bis eben geschlafen hat.
Chris: Man sucht sich leider nicht aus, in wen man sich verliebt."
Christina: Ich hoffe, dass du jemand richtigen findest."Wo er eben noch gelacht hat, schaut er nun wieder gefasst zu mir hin. Ja, ich habe ihn in all den Jahren davon abgehalten, dass er sich auf was ernstes einlässt.
Christina: Ich würde mich freuen, würdest du mir irgendwann mal eine Freundin oder einen Freund vorstellen."
Auch wenn Papa es nicht ausspricht, er bedankt sich. Dass wir beide mit dem Vergangen nach und nach abschließen und dass wir etwas neues anfangen. Auch wenn es heißt, dass ich jemand neues an der Seite meines Papas sehen muss. Darf. Ich dürfte endlich wieder jemanden an der Seite meines Vater sehen.Bevor wir uns in anderweitigen Seltsamkeiten verfangen, steht Papa von seinem Platz auf, sodass ich gleich zu ihm schaue.
Chris: Wollen wir noch einen Film schauen? Oder willst du dich schlafen legen vor deinen großen Tag morgen?"
Christina: Ehrlich, ich habe gar keine Lust mehr auf meinen Geburtstag."
Chris: Sag sowas nicht. Das wird schon alles werde, gib dem Tag einfach eine Chance."
Mein Dad ist definitiv zu positiv und gut gelaunt für meine Phase, in der ich gerade stecke. Aber vielleicht rettet er mich auch so vor dem Ertrinken im Strudel des Mittleids.
Chris: Also, was für ein Film darf es denn sein?"
Christina: Die Unfassbaren – Now You See Me?"
Chris: Da bin ich mit dabei."Und so endet der Tag mit meinen Vater wieder auf dem Sofa, während wir beide einen Film schauen, den wir etliche Male einzeln gesehen haben, aber an dem Tag das erste Mal gemeinsam sehen. Ich will viel mehr solcher Momente mit ihm...
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Nameless to You
Fanfiction»Es heißt immer, dass alles im Leben einen bestimmten Grund hat, aber manchmal würde ich diesen nur zu gerne wissen!« Ein anfangs normaler Herbsttag im November zerstört in diesem Fall eine gesamte Familie und keine erbrachte Mühe scheint das Ausmaß...