Kapitel 62

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Wenn das Lieblingsessen meines Vater und mir Lasagne ist, sollte es kein Wunder sein, dass es uns am Abend zu einem Italiener verschlagen hat. Zusammen haben wir den Nachmittag in der Stadt verbracht, aber ich wusste, dass ich nichts brauche. Ich wollte ihn einfach nur bei mir haben.

Unsere Getränke werden auf den Tisch gestellt und mein Vater schaut von seinem Handy auf. Es ist seltsam, dass er den ganzen Tag immer wieder darauf geschaut hatte. Ich weiß, dass es oft auch was mit seiner Arbeit zu tun haben kann, aber so oft macht er es wirklich nie. Und immer wieder habe ich mitbekommen, dass er danach eine kurze Zeit etwas genervter war. Ich hoffe, dass alles klappt, wie er es wollte und dass das vor allem nichts mit mir zu tun hat. Hätte er heute arbeiten sollen und ist wegen mir einfach weggeblieben? Das hätte er dir bestimmt gesagt, Christina. Außerdem weiß auch dein Onkel, dass du heute 19 wirst. Auch Andreas hatte mir heute morgen geschrieben und es schien nicht so, als wäre er genervt, dass sein Bruder nicht in der Halle ist. Dann hat es vielleicht einfach einen anderen Grund.

Papa atmet genervt aus, legt sein Handy zur Seite, fängt sich einen Moment und wendet seine Aufmerksamkeit danach wieder komplett zu mir hin. Ich will nachfragen, was los ist, aber lasse es am Ende doch lieber. Vielleicht ist es etwas, was mich nichts angeht.
Christina: Danke...für den Tag."
Chris: Das mindeste, was ich tun kann. Wenn ich in so vielen anderen Jahren nie da gewesen bin."
Auch wenn er sich an einem Lächeln probiert, er scheitert kläglich daran und wendet auch sogleich seinen Blick von mir ab. Zuerst will er etwas aus seinem Glas trinken, tippt am Ende aber einzig nervös am Glas.
Christina: Es war wegen Mama, richtig?"
Das Nicken kommt nicht mehr so zögernd, wie es vor einigen Wochen der Fall gewesen ist. Vielleicht, weil er sie nicht mehr in Schutz nehmen will. Ich verüble es ihm nicht.
Chris: Sie wollte nie, dass ich da bin. Trotzdem hatte ich immer, jedes Jahr, etwas für dich geschrieben. Erst sehr viel später, als sie den Unfall hatte, fand ich all das ungeöffnet in einer Kiste im Keller der alten Wohnung. Ich hätte einfach bleiben sollen und nicht gegen sie verlieren. Aber dafür war ich zu schwach..."
Christina: Hast du die noch?"
Etwas verwirrt schaut er mich an, bevor er etwas beginnt zu nicken.
Chris: Dann will ich sie lesen. Mal sehen, was du meinem 10-jährigen Ich sagen wolltest."

Jeden Brief, jedes Bild und alles, was ich von meinen Eltern gefunden, gesehen und gelesen hatte, hat mir immer wieder gezeigt, was mein Leben eigentlich war und was ich immer wieder ignoriert hatte. Und alles, was ich jetzt finden und in die Hände bekommen kann, will ich auch sehen und haben. Erst recht, wenn ich Papa dadurch etwas näher kommen kann.

Das Essen wird vom Kellner gerade auf den Tisch gestellt – ich blieb der Lasagne treu, mein Vater bestellte sich eine Pizza – leuchtet sein Handy auf, was er gleich in die Hand nimmt. Sein leises Fluchen bekomme ich mit, auch wenn er das nicht wollte.
Chris: Tut mir leid."
Ohne eine weitere Erklärung steht er von seinem Platz auf und lässt mich allein am Tisch zurück. Auch der Kellner schaut mich verwirrt an. Als wäre ich sitzengelassen worden. Ich will mich dazu anhalten, dass ich auf meinem Platz bleibe, immerhin geht mich das wohl nichts an, aber die Neugierde in mir, ist nicht auszuhalten. Den ganzen Tag hat er das immer wieder gemacht und er ist mir mindestens eine Erklärung schuldig. Immer wieder hat sein Handy seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Egal, ob es am Morgen gewesen ist, als wir in der Stadt waren oder jetzt hier. Und dass er mich jetzt hier sitzen lässt, ist der Schlussstrich, den ich ziehe.

Mehr oder weniger habe ich mitbekommen, wo er langgelaufen ist und daher gehe ich ihm nach. Ich stoppe, als ich seine Stimme höre. Er steht im Gang zu dem Toiletten und ich bleibe hinter der Wand stehen, sodass er mich nicht sehen kann.
Chris: Es ist mir egal, was das mit dir macht, was du für Probleme haben könntest. Da hättest du früher dran denken sollen."
Ich versuche so leise zu atmen, wie es für mich möglich ist. Damit ich mich einzig auf das Gespräch konzentrieren kann, schließe ich die Augen, lasse meinen Kopf gegen die Mauer fallen und höre einfach zu.
Chris: Die Entscheidung ist gefallen und du kannst nicht mehr daran rückgängig machen. Andreas und ich haben beide darüber gesprochen...und ob wir das können!"
Der ist wütend. Ein einziges Mal hatte Papa mich angeschrien und da hatte ich es verdient. Er behält fast immer die Ruhe, aber scheinbar bei dieser Person nicht.
Chris: Es ist mir scheiß egal, was du da machen willst, du bist raus. Komm damit klar. Du lässt mich jetzt in Ruhe, ich habe heute besseres zu tun. Du hast auch diesen Tag wieder erfolgreich ruiniert...erspar dir deine Entschuldigung und lass mich ab sofort allein."

Ich schaffe es gar nicht wieder zum Platz zu laufen, bevor mein Vater wieder zurück in den Hauptraum kommt. Als ich gerade wieder aufschaue und von der Wand weggehe, steht er auch schon vor mir. Sichtlich überrascht, dass ich hier bin,
Christina: Ich wollte nicht lauschen, aber du hast den ganzen Tag immer wieder am Handy gehangen und bist einfach gegangen, da..."
Er seufzt. Nicht, weil er von mir genervt ist, aber vom Tag, von der Situation. Mit einer kurzen Handbewegung zeigt er mir, dass ich mitkommen soll, das mache ich auch und so kommen wir wieder am Tisch an, wo wir uns setzen.
Chris: Es tut mir leid. Dass ich das den ganzen Tag gemacht hatte. Aber ich habe heute morgen gleich mit Andreas gesprochen und...auch wenn wir sie bis ende Februar unter Vertrag lassen müssen, wir haben Karina sofort entlassen und bis dahin beurlaubt. Sie darf zusätzlich das Gelände der Halle nicht mehr betreten."
Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Dass er das alles getan hat, nachdem die Situation gestern so geendet ist.
Christina: Warum..."
Chris: Es ist das eine, hätte sie einfach kein Interesse an dir. Aber dass sie dich bewusst ausgenutzt hat, um mich irgendwie zu beeinflussen...niemand tut meiner Tochter sowas an, dafür würde ich schon sorgen."

Tief im Inneren ist er eben genauso, wie jeder andere Vater einer Tochter. Du beschützt das, was dir wichtig ist und dafür liebe ich dich, Papa...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt