Kapitel 32

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Zwei Tage, die ich von zu Hause weg bin. Zwei Tage, an denen Chris mich immer wieder versucht hat zu erreichen. Am Sonntag, in etwa 18 Stunden, geht es wieder zurück. Bei dem, was ich bisher erfahren hatte, weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Diese Reise hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt und ich stecke mittendrin.

Es ist etwas nach der Mittagszeit. Heute morgen war ich mit meine Oma noch einkaufen, wollte ihr dabei helfen. Opa war noch arbeiten und ist vor zwei Stunden nach Hause gekommen. Ich habe mich dann in das Zimmer, wo ich seit zwei Tagen lebe, zurückgezogen, weil ich hier zumindest meine Ruhe habe. Immer wieder habe ich einige Bilder mir angeschaut oder habe einige Seiten wieder gelesen, die im Poesiealbum stehen. Allerdings schaffe ich es da kaum was zu lesen, weil ich es zum Teil so krank finde, was für Gedanken meine Mutter gehabt hat, dass ich mir das nicht lange antun kann. Ich bräuchte mal jemanden, der für mich da sein kann und der nicht zwangsmäßig mit mir verwand ist.

Mein Handy läd zwar gerade, aber trotzdem entsperre ich das und gehe auf WhatsApp. Dort dann wieder auf dem Chat mit Bolin und rufe ihn an. Eigentlich sollte er zu Hause sein. Ich hoffe das zumindest, damit ich irgendwen zum Reden habe.
Bolin: Hey Cassy, alles gut bei dir?"
Cassy: Ehrlich...nicht so wirklich. In den letzten Tagen habe ich so unfassbar viel von meiner Mutter erfahren, die ich nicht erfahren wollte."
Bolin: Wo bist du denn?"
Ich wollte antworte und ihm sagen, dass ich bei meinen Großeltern in Zürich bin. Was ist aber, wenn Chris sich bei ihm gemeldet hat und wenn ich das sage, würde er es weitergeben.
Cassy: Das kann ich dir nicht sagen, da du es an Chris weitergeben würdest."
Bolin: Er weiß nicht, wo du bist!?"

Okay, vielleicht haben sie auch doch nicht miteinander gesprochen. Bevor Bolin mir jetzt einen Vortrag halten kann, dass ich ihm gerade echt was antue, unterbreche ich ihn gleich.
Cassy: Mein Leben war eine verdammte Lüge! Meine Mutter war...das letzte! Warum hatte mir das nie irgendjemand gesagt? Warum wusste ich das alles nicht?"
Dann ist er still und das zu verdächtig still. Daher setze ich mich auf, schaue ins Zimmer und werde innerlich wieder nervös.
Cassy: Bolin, du weißt etwas und ich will, dass du mir das jetzt sagts. Sofort!"

Der 19. Juli 2007...

Ich, Bolin, war zu Besuch bei Cassy. Wir beide waren zehn Jahre alt und haben bei ihr im Garten Fußball gespielt. Das taten wir oft, verbrachten so den Sommer zusammen. Und eigentlich war es ein ganz normaler Tag. Am Rand saß ihr Vater, der vor seinen Notizen gesessen hat. Immer wieder schaute er zu uns auf, lächelte leicht, freute sich für uns.
Cassy: Pass zu mir!"
Ich tat es, aber habe den Ball an der falschen Stelle getroffen. Daher rollte er weiter zur Seite, wo er gar nicht hin sollte. Cassy lief ihm dennoch nach, trat einmal falsch auf und fiel zu Boden in die Begrenzung des Beets. Die bestand damals aus kleinen Findlingen und sie schlug sich da den Kopf dran an. Sie lag regungslos am Boden, ich starrte zu Chris, der sofort von seinem Platz aufgesprungen ist. Er rannte zu ihr, ließ sich neben ihr fallen und hörte zuerst, ob sie noch atmete. Tat sie. Er legte Cassy in die Seitenlage und lief wieder ins Haus. Ich ihm hinterher.
Chris: Sarah!"

Ihre Mutter stand in der Küche, telefonierte mit einer Freundin und hatte in ihrer Hand den Autoschlüssel. Zu der Zeit hatten beide nur ein Wagen.
Sarah: Ja, ich bin schon fast auf dem Weg."
Chris erkannte, dass es nichts wichtiges war und wollte ihr das Telefon aus der Hand reißen, aber das ließ seine Frau nicht zu.
Sarah: Sag mal, spinnst du! Ich telefoniere hier gerade mit Corinna!"
Chris: Und Christina liegt gerade bewusstlos im Garten! Sie hat sich den Kopf angeschlagen!"
Sarah: Die soll nicht wieder simulieren, wie zu AG Zeiten, wo sie keine Lust zu hat."
Wieder schlägt er nach dem Telefon, aber Sarah machte etwas, was ich nicht glauben wollte. Sie schmiss es zu Boden, sodass es in seine Einzelteile zerfiel.
Chris: Gib mir den verdammten Schlüssen, Sarah!"
Sarah: Ich habe einen Termin!"

Mit einem starren Blick schaute Chris damals zu ihr hin. Als hätte er kaum was anderes von ihr erwartet. Während sie denkt, dass sie gewonnen hätte, will er wieder zurück in den Garten laufen, wobei Sarah ihm folgte.
Sarah: Was hast du bitte vor?!"
Chris: Wenn du es behinderst, dann laufe ich mit ihr zum Krankenhaus! Ich sehe nicht zu, wie meine Tochter im Garten stirbt! Du kannst mit mir machen, was du willst, aber niemals im Leben tust du meiner Christina etwas an!"

Das war der Moment, wo Sarah genervt seufzt, mich anschaut und danach Chris den Autoschlüssel vorhält. Vielleicht, weil wir beide wussten, dass sie daran schuld gewesen wäre. Denn ich denke kaum, dass es Einsicht gewesen ist. Ich wurde einige Zeit später abgeholt und Chris fuhr mir Cassy ins Krankenhaus. Zum Glück hatte sie keine bleibenden Schäden. Cassy blieb nur ein paar Tage, aber man sagte uns, dass sie einige Erinnerungen vermutlich verloren hat, für immer.

Heute...

Ich habe kaum eine Erinnerung, die vor meinem 10 Lebensjahr abspielt. Weil ich mich nicht daran erinnern kann. Ich weiß, dass ich oft mit Bolin gespielt habe und dass ich immer schon gerne Fußball gespielt hatte. Deswegen bin ich heute ja auch in einem Verein. Es war ihr wirklich immer scheiß egal, was mit mir ist. Für sie wäre es immer schon okay gewesen, wäre ich einfach gestorben. Dann wäre sie wieder der Mittelpunkt gewesen.
Bolin: Cassy..."
Ich lege einfach auf, ohne, dass ich noch ein Wort mich ihm spreche. Es verletzte mich nicht, dass er mir das in all den Jahren nie gesagt hatte. Wie hätte er das tun sollen, wenn ich selbst nicht davon hören wollte? Aber je länger ich hier bin, desto größer wird mein Hass auf diese Person, die ich niemals im Leben wiedersehen werde. Andererseits würdest du nur mit ihr streiten, sie anschreien und wissen wollen, wie sie dir das antun konnte.

Das letzte Abendessen war von meiner Seite aus sehr still. Ich habe einzig gefragt, ob ich ein paar Sachen wieder mit zurücknehmen kann. Michelle und Torsten gaben mir das okay. Außerdem schrieben sie mir auch ihre neue Telefonnummer auf und ich gab die von uns auch wieder raus. Vier Jahre waren schon lange genug, wo wir einander angeschwiegen hatten. Ich wünschte, ich hätte das alles schon früher gewusst. Ich hätte die Wahrheit früher erfahren. Dann hätte ich Chris über die ganzen Jahre nicht so behandelt und hätte niemals so über meine Mutter gedacht...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt