Ich habe den Sonntag gehasst, dabei wollte ich einfach nur etwas Zeit mit meiner Freundin verbringen. Am Ende war sie nur den Film über bei mir und musste sich danach wieder verabschieden. »Ich dachte, es ginge dir nur um den Film, Cassy. Mehr Zeit habe ich heute leider nicht.« Sonst hattest du auch immer Zeit, was kommt dir jetzt denn immer wieder dazwischen? Was ist dir gerade so dermaßen wichtig?
Bolin schaut von seinem Kunstbuch auf und starrt dabei auf mein Blatt, wo etliche Kritzeleien mittlerweile drauf sind. Drei Freistunden am Dienstag und Bolin wollte lieber hier bleiben. Bei dem kalten und nassen Wetter verüble ich es ihm aber auch nicht. Dabei sitzt er jetzt dort und schaut sich seine Sachen für Kunst an und ich hänge vor dem Blatt und mache...irgendwas.
Bolin: Was macht die Kunst?"
Cassy: Existieren."
Eigentlich will ich mit ihm kein Gespräch anfangen, da danach sowieso nur wieder ein »Das habe ich dir von Anfang an bereits gesagt« kommen würde und er hätte ja irgendwo wieder recht gehabt. Wobei es nicht vollkommen stimmt. Sie war und ist nicht immer so, nur gerade und ich verstehe überhaupt nicht, warum sie so abwesend mir gegenüber ist.
Cassy: Was sagt die Kunst?"
Bolin: Dass sie richtig zu deuten ist. Kichkas Frühstück. Dass man daher auch einfach am Morgen nach dem Frühstück alles stehen und liegen lassen kann, es mit dem Tisch verbindet, das deswegen dann Montage nennt und dann kann man es als Kunst, anstatt Faulheit verkaufen."
Meinen misstrauischen Blick bekommt Bolin sehr gut mit und dreht im nächsten Moment daher das Buch um, damit ich besagtes beschriebenes Bild sehen kann.
Cassy: Warum ist Kunst immer so seltsam?"
Bolin: Weil Künstler seltsame Leute sind."Sein – Ich bin eigentlich nur zu Faul meinen Tisch aufzuräumen – Kunstwerk ist dann wieder etwas wichtiger als meine seltsamen Striche, die nach und nach dann einfach wie eine schwarze Fläche aussehen. Neben den letzten Linien, Kreisen und Strichen, die ich ziehe, verliere ich den Sinn an allem und schmeiße meinen Bleistift dann irgendwann auf den Tisch. Leider rollt er überhaupt nicht praktisch bis zur Kante und am Ende von der Tischkante genau auf den Schoß von Bolin. Er schaut zuerst dahin und im Anschluss legt er sein Buch endlich weg und schaut zu mir hin.
Bolin: Gut, um wen geht es heute? Wieder um deinen Vater?"
Cassy: Ausnahmsweise mal nicht. Gerade hängt der sowieso so viel auf Arbeit, dass ich ihn fast immer nur abends sehe."
Bolin: Was ist es dann, Cassy?"Ich lasse mich in den Stuhl fallen, verschränke meine Arme vor mir und schaue im nächsten Moment raus auf den Innenhof. Vor allem, damit ich Bolin nicht anschauen muss.
Cassy: Velory ist in letzter Zeit so seltsam und ich weißt einfach nicht, was los ist."
Bolin: Was heißt denn, dass sie seltsam ist? Für mich war sie das schon immer."
Ein kurzer genervter Seitenblick, da er das nicht nochmal hätte erwähnen müssen.
Cassy: Sie schreibt mir fast nie, sagt unsere Treffen immer wieder ab, hat selbst kein Interesse an einer Verabredung und wenn wir uns sehen, hängt sie immer am Handy."Erinnert mich irgendwie an das Verhalten von jemand ganz anderen. Ich habe alles einfach immer schon gehasst. Entweder ist das der ganz normale Ablauf im Leben, oder die Menschen, mit denen ich irgendwas zu tun habe, brauchen mich alle einfach nicht. Würde zumindest erklären, warum mich jeder immer wieder ignoriert, nicht beachtet und andere Dinge als wichtiger ansieht. Eigentlich sollte man denken, dass man sich irgendwann daran gewöhnen würde.
Endlich bekomme ich meinen Stift von Bolin wieder zurück, wobei er danach seine Arme auf den Tisch stützt und mich danach anschaut. Worauf wartet er jetzt noch? Er könnte mir einfach vorhalten, dass er es wusste. Vielleicht will er dich aber auch gerade nicht verletzen, Cassy. Immerhin ist das dein bester Freund. Als würde er zu seinem Satz ansetzen und es danach doch lassen, atmet er ein, seufzt danach kurz und wendet seinen Blick danach auch nach draußen ab.
Bolin: Ich weiß, dass du es nicht hören willst, Cassy, aber Velory ist kein guter Mensch. Zumindest keiner, der dich verdient hätte und weiß, wie man mit anderen richtig umgeht."
Cassy: Bolin, das sagst du immer schon."
Bolin: Weil es mir immer schon aufgefallen ist. Cassy wirklich, bist du so blind und stur?"
Ich schaue weg, damit er die Reaktion dazu in meinen Augen nicht zu sehen bekommt. Du weißt nicht, wie es ist, wenn du keinen hast, Bolin. Deine Familie ist für dich da, dein Freund liebt dich und auf deine Freunde kannst du immer zählen.
Bolin: Sie ist mit dir zusammen, weil sie daraus Vorteile ziehen kann. Sie wollte damals nicht allein sein, war frisch getrennt und du kamst ihr gelegen. Dazu musste sie sich bei dir nie Sorgen ums Geld machen. Auch wenn es das deines Vaters ist, es muss dir doch aufgefallen sein, Cassy."
Cassy: Vielleicht habe ich es auch einfach ignoriert..."Mit dem Ärmel meines Flanellhemdes wische ich mir kurz über die Augen, bevor ich einmal durchatme und danach wieder zu Bolin schaue. Auch wenn ich noch nicht wieder komplett gefasst bin, es muss für den Moment reichen.
Bolin: Cassy..."
Cassy: Du musst dieses Leben nicht führen, Bolin. Du weißt nicht, wie das ist."
Bolin: Und ich glaube, dass du selbst nicht mal weißt, wie dein Leben laufen könnte."
Er schaut auf seine Uhr und räumt seine Sachen zusammen. Immer wieder will ich zu einem Satz ansetzen, schaffe das aber nicht, bis Bolin mit seinen Sachen aufsteht.
Bolin: Du willst es nicht sehen. Dass Velory dich einfach nur ausnutzt. Dass du emotional von ihr abhängig bist, alles gibst, damit du sie nicht verlierst und dich aufopferst. Und auch, dass dein Vater mehr tut, als du siehst oder sehen willst."
Cassy: Du-"
Bolin: Ich kenne ihn seit über 10 Jahren. Ich habe auch deine Mutter gekannt, Cassy...ich kenne dich besser als irgendjemand anderes. Ich kenne die Wahrheit..."Und während er zu seinem Unterricht geht und über irgendwelche Frühstückstische redet, weil die Kunst seltsam ist, sitze ich im Auditorium vor dem vollgekritzelten Blatt und gehe dabei immer wieder die gleichen Linien nach. Neben den Kreisen, Kanten und Ecken, stehen nun auch diese vier Worte dort, die ich so lange mit dem Bleistift nachziehe, bis ich vor Wut zu viel Druck ausübe und die Spitze abbreche. Dabei rollt diese genau in die Mitte des kurzen Satzes. Ich hasse mein Leben...
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Nameless to You
Fanfiction»Es heißt immer, dass alles im Leben einen bestimmten Grund hat, aber manchmal würde ich diesen nur zu gerne wissen!« Ein anfangs normaler Herbsttag im November zerstört in diesem Fall eine gesamte Familie und keine erbrachte Mühe scheint das Ausmaß...