Kapitel 10

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Der letzte Tourblock ist hinter uns gebracht für dieses Jahr und gegen ein Uhr morgens kamen Andreas und ich wieder zu Hause an. Er bei sich in Bünde und ich in Herford. Auch wenn dieses Haus nach diesem einen Jahr noch immer kein richtiges zu Hause geworden ist. Vielleicht wird es das auch niemals sein.

Ich muss mich bemühen, dass ich leise bin und das lief im Grunde auch lange gut. Aber als ich mir noch etwas zu trinken aus der Küche holen wollte, hatte ich auch plötzlich Stitch bei mir sitzen. Er schaut zu mir rauf, bleibt aber zum Glück stehen.
Chris: Hey...du bist also nicht oben bei Cassy?"
Sie hatte Stitch damals einfach mit hergebracht. Ich kam an den Tag erst spät von der Arbeit nach Hause, wollte von ihr wissen, warum sie an einem Tag so viel Geld ausgegeben hat, was ich sehen kann, da sie einfach eine Zweitkarte für mein Konto hat, und dann kam dort dieser kleine Kater um die Ecke. Ich konnte ihn nicht rauswerfen.
Chris: Du kannst nicht bei mir bleiben, Kleiner"
Als würde er mich verstehen, es aber eiskalt ignorieren, geht er vor zu meinem Schlafzimmer und sitzt dann vor der Tür. Mich bringt es zu einem schwachen Lachen, bevor ich schnell meine Flasche Wasser nehme und dann zum Zimmer gehe. Ich muss warten, da Stitch anderweitig einfach mitlaufen würde.
Chris: Für Cassy war es nicht leicht, oder..."
Sein Fell ist leicht verwuschelt und ich denke, dass er heute für meine Tochter da sein musste. Dieser Tag wird uns auf ewig verfolgen, nur auf unterschiedlicher Weise.

Die Nacht war mehr als unruhig für mich. Die Bilder, Gespräche und Erinnerungen verfolgen mich bis in meine Träume und quälen mich so immer wieder. Und das nicht einzig in dieser Nacht. Sie kommen immer wieder und lassen mich niemals in Ruhe. Die Zeit heilt eben keine Wunden und man lernt auch nicht, wie man besser mit dem Verlust oder den Schuldgefühlen umgehen kann. Zwischendrin muss Stitch mir beistehen, damit ich wieder zur Ruhe komme und wieder schlafe. Aber immer wieder bin ich wach.

Gegen halb sechs am Morgen stehe ich schlussendlich auf. Ich weiß, dass Cassy in einer halben Stunde aufstehen wird und dann kann ich mich zumindest ums Frühstück kümmern. An Schlaf war sowieso schon lange nicht mehr zu denken. Mit neuen Klamotten und geduscht, stehe ich um kurz nach halb sieben in der Küche. Ich backe die Brötchen frisch auf und stelle das auf den Tisch, was man brauchen könnte. Zudem koche ich auf Kaffee, da wir beide sonst nicht wach werden würden. Vielleicht könnte ich zwar nochmal etwas Schlaf nachholen, aber ich denke, dass das nur ein Traum wäre. Die beiden Tassen stelle ich auf den Tisch. Cassy wird auf den Platz sitzen, auf dem sie immer sitzt. Ich sitze ihr zumeist gegenüber. Ich habe schon schnell bemerkt, dass sie es nicht leiden kann, wenn ich neben ihr sitze. An manches gewöhnt man sich, auch wenn man es nicht will.

Viertel vor Sieben nehme ich die Schritte von Cassy wahr, die kurz darauf auch in der Küche zum Stehen kommt. Vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich nach dieser kurzen Nacht jetzt bereits hier stehe. Über die Schulter schaue ich zu ihr zurück. Deine Haare sind wieder richtig blau, deine Kontaktlinsen sind heller als sonst. Du machst alles, damit keiner sehen würde, von wem du abstammst...damit du dich selbst nicht daran erinnern würdest...auch wenn es innerlich schmerzt, ich lächle nur leicht, während sie zur Schublade geht, wo die Sachen für Stitch sind.
Chris: Morgen, Cassy."
Cassy: Morgen."

Richtig wach ist sie auch nicht. Dafür kommt sie zu sehr nach mir und auch ich bin ein Mensch, der besser abends oder in der Nacht arbeiten kann und am Morgen eigentlich mehr Schlaf benötigen würde. Stitch läuft ihr hinterher, als sie mit seinem Napf in den Flur läuft, damit auch er sein Frühstück bekommt.
Cassy: Ich dachte, ihr seid erst in der Nacht wieder hergekommen."
Chris: Sind wir auch. Ich dachte aber, dass ich beim Frühstück bei dir sein könnte."
Ich erwarte keine Reaktion von ihr. Ich erwarte nicht, dass sie lächelt oder sich darüber freuen würde, denn das macht sie nicht und das würde sie nie machen. Cassy setzt sich einzig schweigend auf ihren Platz und schaut, was sie vor sich stehen hat. Ich weiß zwar nicht, was ich dir angetan habe, aber ich spüre, dass du mich nicht hier haben willst. Zuletzt stelle ich die Kanne mit Kaffee auf den Tisch und setze mich danach auch, wodurch ich einen skeptischen Blick von ihr ernte.

Bedrückende Stille zwischen uns beiden. Wenn man uns von außen sehen würde, könnte man denken, wir haben uns zuvor noch nie gesehen und würden gar nicht zueinander gehören. Dabei sitzen hier Vater und Tochter am Tisch. Aber diese Verbindung wurde schon vor vielen Jahren zerstört. Ich trinke was aus meiner Tasse und beginne damit, mir mein Brötchen aufzuschneiden.
Chris: Bis wann bist du heute in der Schule?"

Zuerst trinkt Cassy was aus ihrer Tasse, bevor sie zu ihrem Satz ansetzt. Dabei schenkt sie mir keinen Blick, starrt einfach auf ihren Teller.
Cassy: Bis halb fünf habe ich heute Unterricht. Also werde ich wohl erst gegen 17 Uhr wieder zu Hause sein."
Chris: Hast du irgendeinen Wunsch fürs Abendessen?"
Cassy: Passt schon. Such du einfach aus."
Nach kurzer Zeit steht sie von ihrem Platz auf, da sie sich noch etwas für den Schultag einpacken will. Für einen Moment atme ich still aus, bevor ich das Messer vor mir auf den Tisch lege und wieder was aus der Tasse trinke, bevor ich zur ihr hinschaue.
Chris: Es kann sein, dass ich bis fünf noch in der Halle bin und-"
Sie klappt ihre Dose zu, schaut zu mir und geht danach Richtung Küchentür.
Cassy: Ist schon okay, Chris."

Danach geht sie die Treppe rauf und ich lasse mich zuerst in den Sitzt fallen, bevor ich meinen Kopf in meine Hände stütze. Es ist immer das gleiche mit uns beiden. Ich kann mich kaum mehr daran erinnern, wann sie mich nicht bei meinen Vornamen angesprochen hat. Sie hat irgendwann damit angefangen. Weil sie dich nicht als Vater haben will, Christian. Ich bekomme mit, dass sie mit ihren Sachen wieder runter kommt und dass sie sich danach anzieht, damit sie zur Schule los kann. Für den Moment stehe ich auf und gehe in den Flur, wobei ich mich gegen die Küchentür lehne und zu ihr schaue.
Chris: Wir sehen uns heute Abend?"
Nur ein stummes Nicken, bevor sie die Haustür öffnet.
Cassy: Bis heute Abend, Chris...

Nameless to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt