Die Klavierstunde war nervig. Ich habe sie gerade eben so durchgestanden und war froh, als es geschaffen war. Die Busfahrt war nervig. Gegenüber von mir saß so ein verliebtes Paar, was auch jedem zeigen musste, dass sie glücklich sind. Dieser dämliche Kiesweg ist nervig. Aber auch nur, weil er mich daran erinnern, dass ich gleich zu Hause ankomme und dann meinem Vater wieder sehen muss. Auch wenn er rein gar nichts dafür kann, sie hat es geschaffen, dass es sich so anfühlt.
Im Flur angekommen schmeiße ich die Tür hinter mir zu und hänge meine Jacke nebenbei auf. Die Schuhe lasse ich dort stehen, wo sie zum Liegen kommen und meinen kleinen Kater schenke ich gerade sehr wenig Beachtung. Wenn es nicht Zeit fürs Abendessen wäre, dann würde ich mich einfach oben im Zimmer einschließen und die Welt still und heimlich für mich hassen. In der Küche steht er. Als wäre rein gar nichts. Weil er es nicht wissen kann!
Chris: Du bist schnell wieder hier."
Er lächelt, ich erzwinge es mir, damit das hier so schnell wie möglich wieder vorbei sein würde. Stitch läuft um meine Beine und ich versuche ihn dabei davon abzuhalten.
Chris: Wie war der Unterricht?"
Christina: Gut."
Ich atme durch, schaue auf den Tisch runter, an den ich mich setze und lege das Handy vor mir ab. Der Hintergrund ist einer dieser Standardbilder. Es war lange das Bild mit Velory, aber seitdem sie mir das angetan hat, ist es wieder die Grundeinstellung. Ich presse meine Lippen aufeinander, damit ich meine Gefühle unterdrückt bekomme. Ich will nicht, dass Papa etwas davon mitbekommt.Zuerst lässt Velory mich sitzen und dann spielt Karina mit meinen Gefühlen. Wenn mein Vater sie immer wieder abgewimmelt hat, sollte sie das einfach mal begreifen. Aber nein, sie nutzt mich aus und nimmt das alles hier in Kauf. Ich wünschte, dass einfach einmal irgendwas in meinem Leben gut laufen würde. Aber nein! Bei Christina kann alles immer so schlecht laufen, wie es nur möglich ist!
Ich schaue zur Seite weg, als Papa seinen Blick in meine Richtung lenkt. Nicht vor ihm, Christina. Reiß dich einmal zusammen! Unter mir sitzt wieder Stitch, den ich mit einer Handbewegung von mir wegschicken will. Natürlich reagiert der Kater nicht.
Chris: Willst du was trinken?"
Christina: Passt schon."
Diesen Satz musste ich hervorpressen, da er anders untergegangen wäre. Meine Hals tut so unfassbar weh, da ich mich innerlich noch immer darüber aufrege, was heute passiert ist. Papa kommt einen Schritt auf mich zu, aber ich wende den Blick nur weiter ab und streichle Stitch nun doch einen Moment. Alles, damit ich ihn nicht anschauen müsste.
Chris: Habe ich was getan?"
Christina: Was?"
Automatisch schaue ich auf und zeige ihn meine schlechte Verfassung. Er weicht ein paar Schritte zurück und lehnt sich gegen die Küchenzeile.
Christina: Warum denkst du das?"
Chris: Weil du genervt bist. Sehr sogar und das vor allem mir gegenüber."Er sollte das nicht zu spüren bekommen. Wie sollte ich aber bitte reagieren, wenn man für den eigenen Vater abserviert wird? Es war kein allgemeines »ich stehe halt nicht auf Frauen und habe dir aus Versehen falsche Signale gegeben«, sie hat das mit Absicht getan, damit mein Vater irgendwie nachgeben würde. Sollte ich sie jemals in seiner Nähe sehen, dann kann sie sich auf etwas gefasst machen!
Nach und nach laufen mir die Tränen über das Gesicht. Ich kann ihn nicht mal die Wahrheit sagen, da ich dann etwas über mich preisgeben müsste, was ich vorher immer für mich behalten hatte. Willst du aber den Rest deines Lebens deinen Dad anlügen, weil du dich nicht traust? Du wirst immer wieder in diese Situation kommen, wenn du es nicht änderst.
Christina: Papa...ich muss dir was sagen..."
Auch wenn er versucht mich nicht mit einem Blick anzusehen, der mich gerade noch mehr verunsichern würde, alles verunsichert mich gerade. Mich weiterhin in irgendwelchen Lügen zu verstricken, macht es aber nicht besser und alles, was ich bisher zu ihm gesagt habe, hat er immer gut aufgenommen. Aber noch nie hatte er irgendwas dazu gesagt. Er dachte immer, dass ich mit einem Freund mal nach Hause kommen würde. Mama wäre enttäuscht, aber Papa ist nicht wie sie. Er ist ein ganz anderer Mensch.
Christina: Ich...ich bin lesbisch...ich stehe auf Frauen..."
Es ist gesagt, kann von mir auch nicht mehr zurückgenommen werden. Zuerst halte ich meinen Blick bei ihm, aber mein Vater gefriert in seiner Pose und rührt sich nicht mehr. Ich wollte dich nicht enttäuschen und dir das hier antun. Meine Hände lege ich vor mein Gesicht. Ich will hier weg, ich will aus dieser Situation hier raus.
Chris: Und ich bin Bisexuell."
Christina: Bitte was?!"Meine Hände reiße ich von meinem Gesicht weg, schaue in den Moment auf, als mein Vater das gesagt hat und es wird mir egal, wie verweint ich gerade aussehen muss. Er hat es so gesagt, als wäre es nichts. Als wäre es das normalste der Welt. Vielleicht, weil es für ihn...
Chris: Ich stehe auf Frauen, war immerhin mit deiner Mutter verheiratet, aber ebenso auch auf Männer. Ich selbst würde sagen, dass ich Bi bin."
Mein verständnisloser Blick bringt ihm zum Lachen und auch dazu, dass er die Küchenzeile hinter sich lässt und zu mir kommt. Zuerst will ich meinen Blick wieder zum Boden oder auf den Tisch senken, aber lasse es am Ende doch. Als Papa vor mir steht, hockt er sich leicht hin, damit wir auf Augenhöhe sind und geht mit seinen Händen über meine Arme.
Chris: Christina...ich bin dein Vater und liebe dich genauso, wie du bist. Mir egal, ob du auf Männer oder auf Frauen stehst, oder ob du mit 40 drei Katzen haben wirst."
Ich bringe ein Lachen hervor, was Papa dazu bringt, dass er wieder etwas lächeln kann.
Chris: Ich will einfach nur, dass du glücklich bist."Seine Umarmungen waren immer schon ehrlich, aber so herzlich wie diese hier, habe ich sie bisher noch nie wahrgenommen. Ich kralle mich in seine Schulter und hoffe, dass das hier niemals wieder enden muss.
Christina: Mama meinte immer..."
Chris: Ich weiß. Daher durfte ich das auch nie jemanden sagen."
Papa lässt mich wieder los, schaut mich an, während ich mir die letzten Tränen wieder wegwische.
Chris: Du musst es niemals jemanden recht machen, Christina. Einzig du musst glücklich mit deinem Leben sein. Und ich als dein Vater, will das auch. Dass du glücklich bist...
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Nameless to You
Fanfiction»Es heißt immer, dass alles im Leben einen bestimmten Grund hat, aber manchmal würde ich diesen nur zu gerne wissen!« Ein anfangs normaler Herbsttag im November zerstört in diesem Fall eine gesamte Familie und keine erbrachte Mühe scheint das Ausmaß...